Vor langer Zeit lebte ein alter Mönch. In
der Gemeinschaft der Mönche war er der älteste, weiseste und gütigste.
Er wusste, er werde nicht mehr lange
leben. Darum machte er sich eines Morgens auf den langen, steilen Weg,
der zum Himmelstor führt.
Der alte Mönch pochte erwartungsvoll an
die mächtige eiserne Tür. Einmal, noch einmal. Nichts regte sich. Die
Tür blieb verschlossen. Was ist, dachte er? Bin ich nicht würdig fürs
Himmelreich? – Habe ich zuwenig gefastet, zu wenig gebetet, zu wenig
Opfer gebracht?
Traurig ging er in sein Kloster zurück,
begann härter zu fasten, länger zu beten, tiefer zu schweigen und noch
mehr Opfer zu bringen.
Abgehärmt und abgemagert ging er später
wieder den steilen Weg zum Himmel hinauf.
Erwartungsvoll klopfte er an, klopfte von
neuem. Nichts rührte sich. Was habe ich falsch gemacht, dachte
der Mönch?
Ach
ja, ich war ja immer abgeschieden in meinem Kloster. Ich habe keinen
einzigen Menschen bekehrt.
Kurz entschlossen ging er zurück, direkt
in die große Hafenstadt. Dort bestieg er ein Schiff, das ihn ins
Heidenland mitnahm.
Angekommen, sprang er gleich an Land und
begann im Hafen zu predigen. Doch die Hafenpolizei brachte ihn sofort
aufs Schiff zurück. Im nächsten Hafen wollte er wieder mit dem Predigen
beginnen, aber da war schon ein anderer Missionar aus einer anderen
Kirche.
Ein ganzes Jahr predigte er und litt, so
tapfer, wie noch nie ein Missionar sich ins Zeug gelegt hatte.
Froh ging er zum Himmelstor zurück,
sicher, jetzt eingelassen zu werden. Mit missionarischem Schwung pochte
er an die Pforte. Nichts. Das wahr wohl zu laut, dachte er,
also etwas sanfter. Nichts rührte sich.
Der
Mönch erbleichte: Was fehlt mir denn jetzt
noch?
Ach, schoss es ihm durch den Kopf, ich hab ja immer nur gepredigt, habe
vielleicht nicht genug getan, habe den Dienst an den Menschen vergessen.
Und er machte sich auf, wanderte in eine
große Stadt und ließ sich gleich als Krankenpfleger einstellen. Und er
wollte es besonders gut machen. Es ging ja um seinen Eintritt in den
Himmel! – „Wollen Sie ein bisschen Tee“, fragte er nach jeder
halben Stunde. „Nein“, sagte der Patient, „ich will keinen
Tee, ich hab’s ja vorhin schon gesagt.“ – Bei der Nachtwache schaute
er ständig nach den Schlafenden und weckte sie ebenso regelmäßig auf: „Ich wollte nur schauen, ob Ihnen was fehlt!“ „Lass uns endlich
schlafen“, riefen sie zurück.
Der Mönch arbeitete und rackerte sich ab,
ob er nun gelobt oder ausgeschimpft wurde, - Nach einem Jahr schritt er
selig den Berg hinan. Er klopfte, klopfte abermals – und wieder rührte
sich nichts.
Traurig setzte sich der Mönch neben das
Tor. Er wusste wirklich nicht, was er noch ausgelassen hatte. – Auf
einmal entdeckte er ein Kind, das in der Nähe des Tores eine Sandburg
baute.
„Spielst du mit?“
fragte das Kind. Selbstvergessen begann der Mönch mit dem Kind zu
spielen. Bald wurde es Abend. Die Sonne wurde feurig rot und begann
hinter dem Hügel zu sinken.
„Schau mal, wie schön!“
rief das Kind. „Ja, wie schön das ist“, rief der Mönch. Und sein
Herz wurde ganz weit. „Mein Gott, ist deine Welt schön!“ – In
diesem Augenblick knarrte die Tür in ihren Angeln und öffnete sich. Und
der Mönch wusste, dass er jetzt eintreten durfte.
Für den alten Mönch ist der Glaube eine
einzige große Anstrengung, wie eine Kaskade von Forderungen: Du musst,
du musst... fasten, beten, schweigen, predigen, missionieren, dich
beschimpfen lassen, Kranke pflegen, dich für andere aufopfern, ganz von
dir absehen..., du musst, du musst... Und er tut alles mit zäher
Verbissenheit, mit eisernem Willen. Ein Christentum der Rekorde
sozusagen. - Doch die Himmelstür öffnet sich nicht einen Spalt.
Erst als er meditativ,
absichtslos mit einem Kind an einer Sandburg baut, ganz selbstvergessen
sich dem Spiel hingibt, als er sich von der Schönheit der Welt
überwältigen und beschenken lässt, erst als sein Herz weit und dankbar
wird angesichts solch ungeahnter Schönheit, erst als er von sich selbst
und seiner Leistung wegsieht, hin auf Gott, erst da öffnet sich ihm die
Tür zum Himmel.
Diese Geschichte, liebe Schwestern und
Brüder, könnte uns helfen, von einem überanstrengten, moralinsauren
Christentum loszukommen.
Leider war es bisweilen so. Da wurde der
Glaube zu einer riesigen Anstrengung, zu einer drückenden Last von
lauter Forderungen.
Viele von den Älteren haben das noch so
erlebt und eingetrichtert bekommen: Den Himmel musst du dir sauer
verdienen. Du musst, du sollst, du darfst nicht... Da hat man nie genug
getan. Dies muss man noch und das noch und jenes noch. Nie bist du
fertig, nie vollkommen genug. Bis einem fast die Puste ausgeht.
Da ist diese Geschichte eine wahre
Wohltat. Sie kann uns helfen, in die Mitte unseres Glaubens zu finden.
Der Glaube soll uns nicht den Atem rauben, sondern aufatmen lassen. An
Gott glauben, das heißt in erster Linie: sich geborgen fühlen, Vertrauen
haben, dankbar sein, sich beschenken lassen.
„Gott liebt deine Armut
und nicht deinen Glanz,
deine Sehnsucht und nicht
deine Erfolge.“
Sich ganz tief auf die
wunderbare Wahrheit einlassen: Gott liebt mich. Er liebt mich trotz
meiner Armut, trotz meiner Grenzen. Er liebt mich ganz persönlich.
Wenn ich das begriffen habe, wenn diese
wohltuende Wahrheit tief in mein Inneres eindringt, in mir Wurzeln
schlägt, mich ganz und gar bestimmt, dann werde ich selbst fähig sein,
barmherzig zu sein, weitherzig und großmütig. Dann bin ich ein Mensch,
der selber Frieden in sich hat und so auch Frieden verbreiten kann. Nur
der Beschenkte kann ein Schenkender sein, nur der Gesegnete ein
Segnender.
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