Über eine Blume oder einen Schmetterling zu staunen, können das
nur noch Kinder? Haben wir Erwachsene das verlernt?
Wir wundern uns manchmal noch über Fortschritte in der Forschung,
in der Informatik oder Gentechnik zum Beispiel. Aber ist nicht
auch die Natur voll bezaubernder und verblüffender Geheimnisse?
Man muss sich nur einmal die Mühe machen, eine Muschel oder eine
Löwenzahnpflanze zu beachten. Und welches Wunderwerk ist ein
Eiskristall!
Es gibt so viele Wunder der Schöpfung.
Täglich sind wir davon umgeben. Aber wir nehmen sie selten
bewusst wahr. Wir gehen meist gedankenlos daran vorbei.
Es fehlt uns an Stille und Ruhe. Leben wir nicht viel zu schnell,
zu rastlos, zu fiebrig?
Wir sind ständig auf Trab, "in action", eingespannt und
angespannt. Wir sind voller Pläne und Absichten. Hektik und
Stress macht sich breit. Und manchmal sehen wir vor lauter Bäumen
den Wald nicht mehr.
Neulich habe ich den Satz gelesen:
„Wir sollten viel öfter etwas tun, das kein Ziel verfolgt, keine Eile
hat und sich nicht lohnen muss.“ Diesen Satz habe ich ganz dick
unterstrichen und ein großes Ausrufezeichen nebenan gemacht.
Gott wollte weder das Arbeitstier noch den Manager, die in
der Arbeit ertrinken. Gott hat uns auch die Berge, Wiesen
und Wälder nicht nur gegeben, dass wir sie bearbeiten. Das auch, aber er
hat sie uns auch geschenkt zur Freude, zur Besinnung, zur Erholung.
Haben wir vor lauter Geldverdienen verlernt, wie man sich
besinnt, spielt, feiert, sich erholt? - Übersehen wir vor lauter
Gier nach Reichtum und Streben nach Profit und Prestige die Schätze und
Reichtümer in unserer nächsten Umgebung?
Viele fahren und fliegen „last minute“ in den Urlaub weit weg.
Warum denn in die Ferne schweifen, wenn das Gute und Schöne so nah ist,
unmittelbar vor der Haustür?
Es ist gut, wenn wir uns Zeit dafür nehmen, es beachten, ihm
Aufmerksamkeit schenken.
Das ist Nahrung für die Seele, Balsam, Heilmittel, einfach eine Wohltat.
Und wir lernen dabei das Staunen und Danken und Lieben. Und wir erfahren
uns als Gesegnete und Beschenkte.
„Schläft ein Lied in allen Dingen, die da träumen fort und fort. Und
die Welt hebt an zu singen, triffst du nur das Zauberwort.“ (J. v.
Eichendorf)
Die Schöpfung ist Gottes wunderbares Geschenk an uns Menschen. „Die
Schöpfung“, hat einmal jemand gesagt, „ist die Schönschrift
Gottes.“ Alle geschaffenen Dinge und Wesen sind gleichsam
„Liebesbriefe von Gott“.
Alle Geschöpfe strahlen ihren Schöpfer wieder: die Sonne seine
Hoheit, die Früchte seine Freigebigkeit, die Tiere seine Lebenskraft,
das Feuer seine Liebe, die Berge seine Größe, das Meer seine Tiefe, Mond
und Sterne seine Lieblichkeit, der Mensch seine Göttlichkeit.
Man braucht kein Fernglas und auch kein Mikroskop, um die Wunder
der Schöpfung wahrzunehmen. Es genügen offene Augen und Ohren, eine
wache Seele und ein fühlsames Herz.
Der heilige Bonaventura schreibt:
„Wer durch den Glanz der geschaffenen Dinge nicht erleuchtet wird,
ist blind; wer von ihrem lauten Rufen nicht erwacht, ist taub; wer ob
all dieser Schöpfungen nicht lobt, ist stumm; wer aufgrund dieser
Zeugnisse den ersten Ursprung nicht erkennt, ist ein Tor.
Öffne also deinen Augen, neige dein geistiges Ohr, löse deine Lippen und
bereite dein Herz, damit du in allen Geschöpfen deinen Gott sehen mögest
und loben und lieben und verehren und preisen.“
Bernhard von Clairveaux hat einmal gesagt:
„Ich habe von Bäumen
mehr gelernt als von vielen Büchern.“
Ja, wir können von Gottes
Schöpfung lernen:
Von der Sonne können wir lernen zu wärmen; von den Wolken, leicht
zu schweben.
Vom Wind können wir lernen, Anstöße zu geben; von den Vögeln, Höhe zu
gewinnen und von den Bäumen, standhaft zu sein.
Von den Blumen können wir das Leuchten lernen; von den Steinen das
Bleiben und von den Büschen im Frühling Erneuerung.
Von den Blättern im Herbst können wir das Loslassen lernen; vom Sturm
die Leidenschaft; vom Regen, sich zu verströmen und von der Erde
mütterlich zu sein.
Vom Mond können wir lernen, sich zu verändern; von den Sternen, einer
von Vielen zu sein; von den Jahreszeiten, dass das Leben immer von neuem
beginnt.
(nach Ute Lütendorf)
Was können wir von Gottes Schöpfung noch lernen? - Wenn ich sie
betrachte, stoße ich immer wieder auf Gottes Freigebigkeit und
Großzügigkeit.
Samen, Blumen, Früchte in Menge, Quellen sprudeln Wasser immerfort, die
Sonne strahlt Fluten des Lichtes aus, Sterne leuchten ohne Zahl. Gott
knausert nicht, kalkuliert nicht, berechnet nicht. Er teilt aus, ohne zu
messen, er gibt verschwenderisch, im Überfluss, mit offener Hand. Welche
Fülle an Gutem und Schönem! Welcher Reichtum kommt uns täglich zu!
Nichts ist selbstverständlich. „Aus seiner Fülle haben wir alle
empfangen...“ Wie generös, wie gut ist Gott!
Papst Johannes Paul II.
hat einmal gesagt:
„Nicht nur die Heilige Schrift, auch die Natur ist in einem gewissen
Sinn das Buch Gottes.“
Wir müssen nur wieder lernen still zu werden,
innezuhalten, zu verweilen, zu schauen, zu hören, zu lauschen zu
staunen. Solches Staunen ist bereits Gebet. Die ganze Natur ist
voller Stimmen. Alles in ihr ist Gesang.
Der heilige Franziskus ahnte und vernahm die Melodie Gottes in allem
Geschaffenen.
Das Schöne war ihm Abglanz Gottes. Jedes Kunstwerk pries den
ewigen Künstler. Die Pflanzen und Tiere und alle Gestirne waren ihm
Geschwister.
In jeder Gabe sah er den Geber aller Gaben, in jedem Guten den
Ursprung von allem Guten.
In allem schaute er Gott: den Aussätzigen küsste er, er zähmte
den reißenden Wolf und Vögeln predigte er die Größe des Schöpfers. Sein
Sonnengesang ist ein einziges Preislied auf Gottes Größe und Güte.
Jeder Lichtstrahl, jede Blume, jeder neue Ausblick am Weg kann uns ein
Bote Gottes sein. Er lädt uns ein, mit Gott ins Gespräch zu kommen.
Der kleine Käfer, das Lied der Vögel, die laufende Ameise, ein tanzender
Schmetterling, die Blütenpracht einer Wiese, ein taubehängter Grashalm,
die wohltuende Morgenfrische, das goldene Abendrot, der funkelnde
Sternenteppich – alles kann zu uns sprechen von seiner
grenzenlosen Güte, von seiner Allmacht, seiner Treue. Immer und
überall können wir seine Liebe finden.
Die Welt ist Gottes so voll.
Aus allen Poren der Dinge
quillt er gleichsam uns entgegen.
Wir aber sind oft blind.
Wir bleiben in den schönen
und in den bösen Stunden hängen
und erleben sie nicht durch
bis an den Brennpunkt,
an denen sie aus Gott herausströmen.
Die gilt für das Schöne
und auch für das Elend.
In allem will Gott Begegnung feiern
und fragt
und will die anbetende,
hingebende Antwort.
Die Kunst und der Auftrag
ist nur dieser:
aus diesen Einsichten und Gnaden
dauerndes Bewusstsein und dauernde Haltung
zu machen bzw. werden zu lassen.
Dann wird das Leben frei
in der Freiheit,
die wir oft gesucht haben.
Alfred Delp, SJ
hingerichtet: 2.2.1945
Gedanken aus seiner Gefängniszeit |