E ine berühmte Filmschauspielerin
schildert in ihren Lebenserinnerungen ein Gespräch mit einem Dorfpfarrer.
Unter anderem fragt sie ihn: „Wie
denkt man über die Menschen, wenn man viele Jahre lang ihre Beichte gehört hat.“
Die Antwort des Pfarrers: „Wissen Sie, die Leute sind sehr viel unglücklicher als man
denkt.“
Als ich das las,
habe ich spontan zugestimmt. Denn genau so erfahre ich es auch. Als junger
Mensch, als Schüler und Student hätte ich es mir nicht träumen lassen, wie viel Unglück es gibt, wie viel Kaputtes, wie viel
Enttäuschung und Verbitterung, wie viel an zerstörten Beziehungen und
Einsamkeit, wie viel Ratlosigkeit und Angst, wie viel Leid und Not
vielfältigster Art - hinter den glatten Fassaden unserer Wohlstands-, und
Spaßgesellschaft.
Hat nicht Jesus in der Begegnung mit
Menschen ähnliche Erfahrungen gemacht? - Jesus war zutiefst berührt vom
Elend der Menschen. Großes Mitleid packte ihn angesichts der vielen, die „müde und erschöpft waren wie Schafe, die keinen Hirten haben“.
„Wie Schafe, die keinen Hirten haben...!“
–
Auf wie viel Menschen trifft genau dies zu? Auch
heute!
Für mich gehört es zu den bewegendsten
Erfahrungen als Priester, vielen Menschen zu begegnen, die ganz tief entmutigt
sind, sich selber ein Rätsel, Menschen, die angesichts der Erfahrung von Brüchen
und Scherben und Grenzen ganz tief entmutigt sind, nach dem Warum und Wozu
fragen, nach Sinn und Ziel.
Wie kostbar ist da das ermutigende Wort
eines Menschen, wie heilend, wenn einer sich Zeit nimmt und zuhört, wie wertvoll, wenn jemand zu raten, zu trösten und aufzurichten versteht,
wie wohltuend das Verständnis, das jemand zeigt oder die Orientierung, die
einer zu geben vermag. - Wie kostbar und wertvoll ist erst recht die
Hingabe eines Menschen, den Gott zu Hilfe schickt.
Lieber Gebhard!
Wie vielen
Menschen bist Du in den 50 Jahren, da du Priester bist, begegnet? Wie
viele Wege bist Du gegangen, um Menschen den Glauben zu bringen? Wie viele Gespräche hast Du geführt, um Menschen im Vertrauen zu stärken
und sie zu Christus zu führen? Wie viele Stunden
Religionsunterricht hast Du gehalten, Glaubensunterweisung an Schulen oder auch
berufsethischen Unterricht bei der Polizei?
Es sind unzählige,
denen Du Hirte, aber auch Weggefährte und Bruder geworden bist?
Wie viel
Zuversicht konntest du vermitteln, wie viel Gottvertrauen in die
Herzen einpflanzen?
Wie vielen
durftest und konntest Du das Wort Gottes verkünden, das Wort, von dem es in
einem Lied heißt: „Es gibt Trost, es gibt Halt in
Bedrängnis, Not und Ängsten. Es ist wie ein Stern in der Dunkelheit“?
Wie viele
durften durch Dich erfahren, dass es bei Gott immer einen Weg zurück gibt, dass
bei ihm die Tür immer offen ist und dass es keine Sünde gibt, die Gott nicht
verzeihen könnte, weil seine Liebe größer ist als alle Schuld?
Vor ein paar Wochen: Ein Mann von der
Ortenauklinik, etwa 65 Jahre alt, legt eine Lebensbeichte ab. Er will alles
loswerden. Er packt aus. Er macht reinen Tisch. Er will neu anfangen. Für
mich selbst eine „geistliche Sternstunde“. Sehr beglückend darf ich
erfahren: Gott wirkt durch den Dienst des Priesters auch heute noch Wunder!
Und noch etwas: Wie oft
lieber Gebhard, hast Du mit den Gläubigen die hl. Messe gefeiert! 50 Jahre
durftest und konntest Du diesen Dienst ausüben. Die Eucharistiefeier ist der
Höhepunkt priesterlichen Wirkens. Aber es ist nicht nur die Mitte
priesterlicher, sondern überhaupt christlicher Existenz, Quelle und Höhepunkt.
Wie viel Gnade, wie viel Segen geht vom Altar
aus!
Ich finde es eine wunderbare Aufgabe, Priester zu sein,
Menschen begleiten zu dürfen in den Hochzeiten und an den Tiefpunkten, in
leidvollen Zeiten und in frohen Stunden; vor allem ihnen immer wieder die
ermutigende Botschaft von Gott zu sagen, von dem Gott, der an unserem Leben
Anteil nimmt, der mitgeht, auch unsere Umwege, der in Jesus gekommen ist, zu
suchen, was verloren war und zu heilen, was verwundet ist und dem kein Mensch,
kein einziger, egal und gleichgültig ist.
Ja, es ist eine wunderbare Aufgabe, Priester zu sein
und eine notwendige, weil Not wendende, den Menschen in der persönlichen
Begegnung, im Wort, in den Sakramenten sagen und zeigen zu dürfen: Gott
interessiert sich für dich, für dein Schicksal, für dein Leben. Ihm bist du
unendlich wertvoll, kostbar, wichtig.
Er ist für dich da. „Er ist“, wie es in
einem Psalm heißt, „dein Licht und dein Heil. Er ist die Kraft deines
Lebens.“
Darum hab` Mut, vertrau! Gott führt und leitet.
Liebe Schwestern und Brüder!
Ein goldenes Priesterjubiläum ist ein
Anlass, sich zu freuen und Gott zu danken für die Gnade der Berufung und die
Kraft, die Treue und Hingabe, die Gott einem Menschen geschenkt hat. Unser Dank
gebührt Gott. - Wir danken aber auch dem Jubilar, ohne ihn hochzujubeln oder gar
zu beweihräuchern.
Ich weiß,
lieber Gebhard, das möchtest Du auch nicht. Es widerspräche Deinem Naturell,
wenn wir jetzt all Deine Verdienste und was Du geschafft und gemacht und
geleistet hast, aufzählen würden, nicht nur im seelsorglichen, sondern auch im
häuslichen und handwerklichen Bereich besonders in Deiner Offenburger Zeit, aber
auch anderorts z.B. in Münster, wo du drei Jahre lang praktisch aus Deinem
blauen Anton gar nicht herausgekommen bist. Soviel kann ich sagen: Egal
wo Du warst, Du hast Dich nie geschont, Du hast immer all Deine Kräfte
eingesetzt, manchmal bis an die Grenzen der Belastbarkeit und bis zur
Erschöpfung.
Du
möchtest
heute nicht aufs Podest gestellt werden. Aber danken dürfen wir Dir, lieber
Gebhard, der Du den Ruf Gottes gehört bei der Priesterweihe vor 50 Jahren dein
Adsum gesprochen und dieses Ja-Wort bis heute durchgehalten hast. Das ist nicht
selbstverständlich.
Denn, liebe Schwestern und Brüder, auch
ein Priester bleibt vor Krisen in seinem Leben nicht verschont. Auch ein
Priester ist nicht sicher vor Gefährdungen und Anfechtungen. Auch in seinem
Leben gibt es Höhen und Tiefen. Auch er ist Zerreißproben ausgesetzt. Auch er
kennt Mutlosigkeit, Enttäuschung, Zweifel. Und es kann sein, dass er manchmal am
liebsten alles hinschmeißen möchte.
Gott bedient sich armer, schwacher Menschen, um
durch sie für die Menschen segnend und heilend da zu sein.
Und doch,
liebe Schwestern und Brüder, fragen Sie P.
Gebhard, fragen Sie ihn, ob es ihn reut, dem Ruf Christi vor 50 Jahren gefolgt
zu sein und sich in seinen Dienst gestellt zu haben! - Ich bin sicher, er
wird bezeugen: Ich würde es wieder tun. Ich würde
wieder ja sagen. Mit Gottes Hilfe würde ich es wieder wagen!
Liebe
Schwestern und Brüder!
Ein Priesterjubiläum ist ein großer
Festtag, ein Tag der Freude und des Dankes. - Aber wir dürfen auch den dunklen
Hintergrund, vor dem dies alles heute geschieht, nicht übersehen. Denn Sie
wissen, so gut wie ich, dass wir hier zu Lande bittere Erfahrungen machen:
Viele Pfarreien haben keinen eigenen
Pfarrer mehr, geschweige denn einen Kaplan, Schwesternstationen werden
aufgelöst und Klöster aufgehoben. Und eine Trendwende ist nicht in Sicht.
Immer weniger sind es, die einen
geistlichen Beruf ergreifen.
Der Mangel wird immer spürbarer. - Aber nicht nur
der Priestermangel, sondern auch der Gläubigenmangel!
Immer mehr entfremden dem Glauben;
immer mehr entfernen sich von der Kirche; immer mehr glauben, auch ohne Gott
auszukommen. Viele - auch Getaufte - leben praktisch atheistisch.
Gefragt, liebe Schwestern und
Brüder, sind Menschen, die in dieser säkularen und scheinbar sich
selbst genügenden Welt die Frage nach Gott wach halten und immer wieder die
verschüttete, unter allerhand Frust und Kram und Alltagssorgen zugeschüttete
Sehnsucht nach einem letzten tragenden Sinn und Ziel wecken.
Gefragt sind Menschen, die Zeugnis
geben von der Hoffnung, die sie trägt, vom Vertrauen, das sie prägt, von der
Sehnsucht, die sie bewegt, von Gott, der zu uns steht und mit uns geht.
Gefragt sind Menschen, die selber nicht
im Vordergründigen, im Oberflächlichen und Vielerlei aufgehen oder hängen
bleiben, sondern dazu kommen und dann auch andere dazu bringen, über das
Alltägliche hinaus zu fragen und zu hoffen und leidenschaftlich Gott zu suchen.
Gefragt sind Menschen, die nach der
Seele des Menschen fragen. Die Welt braucht im wahrsten Sinn des Wortes „Seelsorger“, Menschen, die darauf achten, dass die Seelen nicht verdursten,
Menschen, die mithelfen, dass wir im Gewühl des Alltags die Seelen nicht
verlieren.
Wir brauchen die „Geistlichen“,
wie wir die Priester auch nennen, Menschen, die in unserer so rational und
funktional eingestellten Zeit den Sinn für das Unsagbare, das Mysterium, für das
Nicht-Machbare und Unfassbare wach und offen halten.
Wir brauchen Menschen, die lebendige
Hinweise sind für die Transzendenz, die Ewigkeit, für Gott, der allein, die
unauslotbaren Tiefen des Menschseins auszufüllen vermag.
Wir brauchen Menschen, die vom
letztlich Beglückenden künden, von der menschgewordenen Liebe Gottes in Jesus
Christus, von der Erlösung durch ihn, der von sich selber sagt: „Ich bin der
Weg, die Wahrheit und das Leben“.
Gefragt sind „Menschen, die aus den
Bächen der Ewigkeit Schalen des Lichtes und des Lebens tragen“ (Carl
Sonnenschein).
Gefragt sind Hirten, Beseeler,
Gefährten des Leides und der Hoffnung, nicht zum Schweigen zu bringende Zeugen
der Gotteserfahrung, Menschen, die erfüllt sind von einem Ruf, von einem
Auftrag, glühende Menschen, erfüllt von einer letzten radikalen Leidenschaft für
Gott.
Liebe
Schwestern und Brüder!
Mit unserem Dank an Gott für die Berufung von P.
Gebhard, seine Treue, den Eifer, die Hingabe in 5 Jahrzehnten priesterlichen
Wirkens verbinden wir die Bitte an Gott um viele und gute Priester- und
Ordensberufe auch in unserer Zeit.
Unserem Jubilar aber wünschen wir, dass
er noch viele Jahre in Gesundheit und mit Freude Bote der Liebe, Werkzeug des
Friedens, Spender der Gnaden und ein guter Hirte für viele Menschen sein kann.
Amen.
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