Ein Besucher
fragte den Wüstenvater Antonius, woher er seine große Weisheit habe,
obwohl ihm doch gar keine Bibliothek zur Verfügung stehe. Er erwiderte:
Alle Erkenntnis schöpfe ich aus zwei Büchern. Das eine ist die heilige
Schrift. Das andere ist so groß, dass es in meiner Zelle keinen Platz
findet.
Daher führte der Heilige den Besucher vor die Tür seiner Hütte und
sagte: Hier ist das Buch über den Schöpfer-Gott aufgeschlagen. Es hat
nur zwei Blätter: den blauen Himmel und die fruchtbare Erde.
Der
Himmel preist mit den goldenen Buchstaben der Sterne die Allmacht
Gottes. Das Wachsen und Blühen der Erde preist seine Güte und Weisheit.
Im Lied
„Wer recht in Freuden wandern will“ lautet die zweite Strophe:
Die
ganze Welt ist wie ein Buch / darin uns aufgeschrieben / in bunten
Zeilen mancher Spruch / wie Gott uns treu geblieben. / Wald und Blumen
nah und fern / und der helle Morgenstern / sind Zeugen von seinem
Lieben.
Von
Theresa von Avila stammt das Wort:
„Ich betrachte gerne Felder, Wiesen, Blumen. Diese Dinge helfen mir zur
Sammlung.
Die
Natur ist mein Betrachtungsbuch.
Bernhard von Clairveaux hat einmal gesagt:
„Ich habe von
Bäumen mehr gelernt als von vielen Büchern.“
Liebe Schwestern und Brüder!
Es
gibt so viele Wunder der Schöpfung!
Täglich sind wir davon umgeben.
Aber
wir nehmen sie selten bewusst wahr.
Wir
gehen meist gedankenlos daran vorbei.
Es
fehlt uns an Stille und Ruhe.
Leben
wir nicht viel zu schnell, zu rastlos, zu fiebrig? Wir sind ständig auf
Trab, in action, eingespannt und angespannt. Wir sind voller Pläne und
Absichten. Hektik und Stress macht sich breit. Und manchmal sehen wir
vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr.
Neulich habe ich den Satz gelesen:
„Wir sollten viel öfter etwas tun, das kein Ziel verfolgt, keine Eile
hat und sich nicht lohnen muss.“
Diesen
Satz habe ich ganz dick unterstrichen und ein großes Ausrufezeichen dazu
gemacht.
An einer Schutzhütte im Schwarzwald steht geschrieben:
„Dem Wanderer ist die Ruhe heilig. Nur Verrückte haben’s eilig!“
Haben
wir vor lauter Geldverdienen verlernt, wie man sich besinnt, singt,
spielt, feiert und sich erholt? Übersehen wir vor lauter Gier nach
Reichtum und Streben nach Profit die Schätze und Reichtümer in unserer
nächsten Umgebung?
Die Schöpfung
ist Gottes wunderbares Geschenk an uns Menschen.
Von Ernesto Cardenal, einem lateinamerikanischen Dichter und Theologen,
stammt das Wort: „Die Schöpfung ist die
Schönschrift Gottes.“
Alle
geschaffenen Dinge und Wesen, sagt er, sind gleichsam „Liebesbriefe
von Gott.“
Man
braucht kein Fernglas und auch kein Mikroskop, um die Wunder der
Schöpfung wahrzunehmen. Es genügen offene Augen und Ohren, eine wache
Seele und ein fühlsames Herz.
Der
heilige Bonaventura schreibt:
„Wer durch den Glanz der geschaffenen Dinge nicht erleuchtet wird, ist
blind; wer von ihrem lauten Rufen nicht erwacht, ist taub; wer ob all
dieser Schöpfungen nicht lobt, ist stumm; wer aufgrund dieser Zeugnisse
den ersten Ursprung nicht erkennt, ist ein Tor.
Öffne also deinen Augen, neige dein geistiges Ohr, löse deine Lippen und
bereite dein Herz, damit du in allen Geschöpfen deinen Gott sehen mögest
und loben und lieben und verehren und preisen.“
Wenn ich in der Natur bin
und Gottes gute Schöpfung betrachte und auf mich wirken lasse, dann
begegne ich nicht nur der Größe und Allmacht Gottes, sondern ich stoße
auch auf seine Güte, seine Freigebigkeit und Großzügigkeit.
Mir geht auf:
Gott ist nicht kleinlich.
Samen, Blumen, Pflanzen,
Früchte in Menge. So viele Farben und Formen. Tiere aller Art. Fische,
Vögel, Insekten in vielen Variationen. Quellen sprudeln Wasser
immerfort, die Sonne strahlt permanent Fluten des Lichtes aus, Sterne
leuchten ohne Zahl.
Ja, Gott ist nicht
kleinlich.
Das Meer in seiner
unendlichen Weite voller kleinster und großer Lebewesen. Der Himmel, das
All, voll bekannter und unbekannter Gestirne, Sonnensysteme,
Fixsternwelten.
Gott knausert
nicht.
Er kalkuliert und
berechnet nicht. Er gibt verschwenderisch, im Überfluss, mit offener
Hand.
Welche Fülle an Gutem und
Schönem!
Welcher Reichtum kommt uns
täglich zu!
Nichts ist
selbstverständlich.
Wie generös, wie gut ist
Gott!
Meine Oma
hat angesichts eines Sonnenuntergangs oder im Anblick des nächtlichen
Sternenhimmels oder anderer Naturschönheiten oft ausgerufen:
„O Gott, wie
groß, wie gut bist du! Wie schön ist deine Welt!“
Und sie hat hinzugefügt: „Gib,
dass ich dir zulieb auch tu, was Vater dir gefällt!“
Gottes Güte, Gottes
Großzügigkeit will Antwort.
Gottes Liebe ruft
unsere Liebe. „Gib, dass ich dir zulieb auch
tu, was Vater dir gefällt.“
Ein neunjähriges
Mädchen hat an Gott folgenden Brief
geschrieben:
„Lieber Gott,
wenn ich eine
Sonnenblume wäre, dürftest du alle meine Sonnenblumenkerne haben.
Wenn ich ein
Kastanienbaum wäre, würde ich rosa und weiße Blütenkerzen aufstecken.
Nur für dich!
Und im Herbst würde ich
dir alle Kastanien schenken.“
Gottes Liebe erwidern, gut
sein, großzügig sein!
Empfangen und geben, das
ist unser Leben.
Papst Johannes Paul II. hat einmal gesagt:
„Nicht nur die Hl.
Schrift, auch die Natur ist in einem gewissen Sinn das Buch Gottes.“
Wir
müssen nur wieder lernen still zu werden, innezuhalten, zu verweilen, zu
schauen, zu hören, zu lauschen, zu staunen.
Solches Staunen ist bereits Gebet.
Die
ganze Natur ist voller Stimmen.
Alles
in ihr ist Gesang.
Bei
Josef von Eichendorf findet sich der Vers:
„Schläft ein Lied
in allen Dingen, die da träumen fort und fort. Und die Welt hebt an zu
singen, triffst du nur das Zauberwort.“
Der heilige Franziskus
ahnte und vernahm die Melodie Gottes in allem Geschaffenen.
Das
Schöne war ihm Abglanz Gottes.
Jedes
Kunstwerk pries den ewigen Künstler.
Die
Pflanzen und Tiere und alle Gestirne waren ihm Geschwister.
In
jeder Gabe sah er den Geber aller Gaben.
In
jedem Guten den Ursprung von allem Guten.
In
allem schaute er Gott: Den Aussätzigen küsste er. Er zähmte den
reißenden Wolf. Und Vögeln predigte er die Größe des Schöpfers. Sein
Sonnengesang ist ein einziges Preislied auf Gottes Größe und Güte.
Liebe Schwestern und
Brüder!
Jeder Lichtstrahl, jede
Blume, jeder neue Ausblick am Weg kann uns ein Bote Gottes sein, der
uns einlädt, mit Gott ins Gespräch zu kommen.
Der
kleine Käfer, das Lied der Vögel, die laufende Ameise, ein tanzender
Schmetterling, die Blütenpracht einer Wiese, ein taubehängter Grashalm,
die wohltuende Morgenfrische, das goldene Abendrot, der funkelnde
Sternenteppich – alles kann zu uns sprechen von Gottes grenzenloser
Güte, von seiner Allmacht, von seiner Treue.
Immer
und überall können wir seine Liebe finden. In allem, was ist und lebt,
hat Gott eine Spur seiner Liebe und Treue hinterlassen.
In einem Gedicht heißt
es:
Alle Worte, alle Winde,
aller Himmel leuchtend
Blau,
alle Blätter, die mir
rauschen,
alle Wiesen, Feld uns Au,
alle Stimmen, hoch und
nieder,
aller Vögel Lobgesang,
alles Summen, alle Lieder
und der Bäche heller
Klang,
alles, alles, was ich sehe
mit den Augen, mit dem
Herzen,
alles, alles, was ich
fühle,
Freude, Wonne, Glück und
Schmerzen,
alles strömt aus deinen
Händen,
alles lebt von deiner
Macht.
alle Sonnen, Mond und
Sterne
und die Stille in der
Nacht.
Alles lebt von deiner
Liebe,
Erd und Himmel, Mensch und
Tier.
Und ich stehe, staune,
lausche.
Und dann dank ich – dank
ich Dir.
M. Lang-Sommer