Im Blick
auf die Schar der Heiligen, deren Fest wir heute feiern, fällt mir auf,
dass ihr Lebensweg längst nicht immer geradlinig verlief. Die Heiligkeit
war ihnen keineswegs in die Wiege gelegt.
Es waren
suchende Menschen. Sie hatten Fragen und Zweifel.
Ihr
Lebensweg kannte oft auch Abwege, Umwege und Irrwege. Häufig gab es eine
Phase der Reinigung und Läuterung und eine Zeit der Umkehr oder ein
Umkehrerlebnis.
Und dann
ein Leben lang immer wieder neue Ausrichtung und Hinwendung zu Gott,
Abkehr von selbstherrlichem, und ruhmsüchtigem Streben, ein Loslassen
eigenmächtiger Gedanken und selbstischer Ziele und immer wieder neu
Hören auf Gottes Wort, Folgen seiner Weisung, Gehen auf seinen Wegen,
Leben nach dem Evangelium.
Als
Beispiel: Umkehrerfahrung bei Franziskus und Ignatius von Loyola.
Ein
Mitbruder von mir hat in einer Predigt einmal gesagt:
„Die
größte Hürde im Hindernislauf des Lebens ist das Ego.“
In der
Tat: Wie gern und wie oft stellen wir uns selbst in den Mittelpunkt,
rücken unsere Absichten ins rechte Licht, verteidigen vehement unseren
Standpunkt, suchen den eigenen Vorteil, wollen unsere Ziele und
Interessen unbedingt durchsetzen und sind dabei vielleicht auch manchmal
rücksichtslos.
Eine Form
der Ich-Bezogenheit ist der Eigensinn, auch wenn er noch nicht zur
totalen Sturheit, zu Fanatismus oder gar zur Tyrannei ausgeartet ist.
Eine
andere Form der Ich-Bezogenheit ist das viele und das allzu ängstliche
Sorgen. Wir leben in einer Welt voller Ängste und Sorgen. Es sind immer
„meine“ Gedanken, „meine“ Beschwernisse, „meine“ Sorgen, die ich mir
mache.
Beim
kontemplativen Gebet können wir erfahren, wie sehr wir in Gedanken
leben. Wir geraten ins Grübeln, ins Phantasieren. Wir fangen an zu dösen
und zu träumen.
Nicht
dass es schlecht wäre oder nicht notwendig, sich Gedanken zu machen,
aber beim kontemplativen Gebet sollen wir versuchen, ganz im Schauen und
in der Wahrnehmung zu sein, ganz in der Gegenwart. Ganz gegenwärtig vor
dem und in dem, der da ist, mir näher als ich mir selbst.
Verweilen
in SEINER Gegenwart, das meint kontemplatives Beten. Und doch stürzt oft
eine Flut von Gedanken auf uns ein. Wir haben unzählige Abschweifungen
und Zerstreuungen.
Wie damit
umgehen? Sich immer wieder zurückholen in die Gegenwart Gottes, die
Atembewegung wieder wahrnehmen, mein Wort (z.B. das Jesusgebet) wieder
aufnehmen.
Draußen
vor unserem Meditationsraum hängt eine sehr hilfreiche und gleichzeitig
tröstliche Weisung vom hl. Franz von Sales:
„Wenn
dein Herz wandert oder leidet, bring es behutsam an seinen Platz zurück
und versetz es sanft in die Gegenwart deines Herrn. Und wenn du nichts
getan hast in deinem ganzen Leben außer dein Herz zurückzuholen und in
die Gegenwart Gottes u versetzen, obgleich es jedes Mal wieder
davonlief, nachdem du es zurückgeholt hast, dann hast du dein Leben
erfüllt.“
Doch
zurück zur Ichbezogenheit: Die hl. Schrift und die Theologie kennt vor
allem drei Gruppen von Ich-Bezogenheit: die Habsucht, die
Machtsucht und die Ehrsucht.
Aber
diese Formen der Ich-Bezogenheit können sich wandeln in Du-Bezogenheit
zu den Mitmenschen hin und in Du-Bezogenheit zu Gott hin.
Aus
der Habsucht
kann Teilen, Geben, Schenken werden.
Machtsucht
kann sich in Dasein-für-andere verändern, in Solidarität und
Dienstbereitschaft.
Ehrsucht
verwandelt sich in Ehrfurcht, Achtung und Anerkennung. – Es geht nicht
mehr nur um mich, das liebe Ich steht nicht mehr allein im Vordergrund,
sondern es geht um die Begegnung mit dem Du.
Martin
Buber sagt: „Der Mensch wird am Du zum Ich.“
Und: „Alles wirkliche Leben ist Begegnung.“
Im
Blick auf das Du Gottes kann aus der Habsucht Hingabe werden. Die
Machtsucht
wird auf Gott hin gesehen Gottesdienst. Und die Ehrsucht
wandelt sich in Anbetung und Gotteslob.
Um diese
Wandlung können wir beten, wir können sie von Gott erbitten, dass er sie
uns schenkt, dass er unser Herz in seiner Liebe umgestalte, dass er
unser Herz nach dem Herzen Jesu bilde. Und im Alltag können wir diese
Wandlung immer wieder einüben. Der Alltag ist das eigentliche
Übungsfeld.
Von der
Benediktinerin Kyrilla Spieker stammt das Wort:
„Greifen und Festhalten kann ich seit meiner Geburt.
Teilen
und Schenken musste ich lernen. Jetzt übe ich das Lassen“
Auch in dem bekannten Gebet des Nikolaus von Flüe bitten wir um diese
Umgestaltung, weg von der Ich-Bezogenheit hin zur Ausrichtung auf Gott
bis hin zur gänzlichen Übergabe und Ganzhingabe: „Mein Herr und mein Gott, nimm alles von mir, was mich
hindert zu dir! Mein Herr und mein Gott, gib alles mir, was mich fördert
zu dir! Mein Herr und mein Gott, nimm mich mir und gib mich ganz zu
eigen dir!“
Worum es
geht, lässt sich auch sehr schön am Gebet des Herrn ablesen
und erkennen.
Jesus lehrt uns habsüchtige
Menschen beten: „Dein Reich komme“. Also nicht mein Reich,
o Herr, sondern dein Reich möge sich unter uns entfalten. Deine
Herrschaft soll gelten.
Manchmal wollen wir unseren Willen unbedingt durchsetzen. Wir sind
machtsüchtig
und drängen ihn anderen auf. Jesus lehrt uns beten: „Nicht mein Wille, o Herr, soll geschehen, sondern der
deine.“
Vor allem
beten wir: „Nicht mein Name, o Herr, sondern dein Name werde
geheiligt.“ Wir suchen nicht mehr ehrsüchtig nur unseren Ruhm,
unsere Ehre, unser Ansehen, sondern die Ehre und Verherrlichung Gottes.
Als
wäre das noch nicht genug wiederholen wir diese drei Elemente der
Gott-Bezogenheit noch einmal: „Denn dein ist
das Reich (Besitz) und die Kraft (Macht) und die Herrlichkeit (Ehre)“.
Beeindruckend und beispielhaft finde ich die Haltung und Einstellung der
Gottesmutter. Zwar überlegt Maria auch, sie fragt auch nach. Doch das
Gespräch des Engels endet mit ihrem Ja-Wort, mit ihrer Hingabe:
„Ich bin die Magd des Herrn, mir geschehe…“
Anschließend macht sich Maria auf den Weg zu Elisabeth, um ihr zu
dienen
und singt das schönste Loblied,
das Magnifikat.
Hingabe, Dienstbereitschaft, Gotteslob,
das sind die drei elementaren Ausdrucksformen der Bezogenheit des
Menschen zu Gott.
Habsucht,
Machtsucht, Ehrsucht kann auch unser Beten prägen.
Wir
sollen und dürfen natürlich bitten – Jesus ermuntert uns dazu. Aber wie
oft kreisen wir in unserem Beten nur um uns selbst? Wie oft sind unsere
Bittgebete ein egozentrisches Haben-und von Gott Etwas-bekommen-Wollen?
Es geht uns gar nicht um Gott, sondern um uns selbst. Das Wesentliche im
Gebet ist dagegen Hingabe.
Oft
wollen wir auch vom Gottesdienst etwas haben, er soll uns etwas bringen.
Wir wollen zur Ruhe kommen, abschalten. Wir wollen eine gute Predigt
hören, uns an schönen Liedern und am Orgelspiel erfreuen oder einfach
„religiöse Bedürfnisse“, die wir haben, befriedigen.
So stehen
unsere Wünsche, Probleme, Bedürfnisse im Vordergrund. Wir stellen
uns gleichsam selbst in die Mitte.
In der
Liturgie, besonders auch in der hl. Eucharistie, steht aber Gott im
Zentrum. Es geht darum, Gott selbst zu suchen – sozusagen um seiner
selbst willen – nicht wegen seiner Gaben.
Allein
Gott zu suchen und darauf zu vertrauen, dass er uns alles nötige dazu
schenkt (Mt 6, 33), das ist Kontemplation.
Sich Gott hingeben,
Gott dienen,
Gott loben
kann man mit Worten oder auch mit Handlungen. Hingabe an Gott, Gott
dienen, Gott loben kann man aber auch mit dem Sein. Einfach für Gott da
sein.
Kontemplatives Gebet ist Hingabe, Gottesdienst und Gotteslob mit dem
Sein. Für Gott da sein, vor dem und in dem, der da ist. Das ist unser
Weg. Das üben wir in diesen Exerzitien.
Die
Predigt nimmt Gedanken auf, z.T. auch wörtliche Zitate, aus dem Buch
„Kontemplative Exerzitien“ von P. Franz Jalics, SJ, Seite 97 - 106
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