Ein Gouverneur in Indien unterbricht seine Reise, um einem bekannten
geistlichen Meister seine Ehrerbietung zu erweisen. Frank und frei sagt
er gleich: „Staatsgeschäfte lassen wir keine Zeit für lange Abhandlungen
oder gelehrte Erörterungen. Könnt Ihr den Kern Eurer Weisheit, das
Wesentliche der Religion für einen aktiven Menschen wie mich in eins,
zwei Sätzen zusammenfassen?“ – „Ich werde es in einem einzigen Wort
tun.“ „Unglaublich! Wie heißt dieses außergewöhnliche Wort?“ – „Stille“.
( nach
Antony de Mello)
Unsere
Zeit ist hektisch, betriebsam, schnelllebig, lärmerfüllt.
Beachtet
wird, was mit Getöse und großem Gebaren daherkommt. Leise Töne sind
out.
Dazu
kommt: Viele fühlen sich wie in einem Hamsterrad: ständig beansprucht,
pausenlos gefordert, immer auf Trab, dauernd in action, eingespannt und
darum angespannt, übermüdet, gereizt, erschöpft.
Der dänische Philosoph Sören Kierkegaard schreibt einmal:
„Die
Welt ist krank! Wenn ich Arzt wäre und man mich fragen würde, was getan
werden sollte? – Ich würde antworten:
Das
erste, was geschehen muss, ist: Schaffe Schweigen!
Hilf
anderen zum Schweigen!“
Was
Kierkegaard fordert ist leichter gesagt als getan!
Wir
wissen, wie schwer es ist zur Stille zu finden. Je unruhiger wir sind,
umso schwerer ertragen wir Stille und Schweigen.
Aber es
gibt auch eine große Sehnsucht nach Ruhe und Stille.
Diese
Sehnsucht ist wie ein Zeichen aus unserer eigenen Seele, wie ein
Lockruf, vielleicht auch wie ein Wink oder ein Fingerzeig.
WAS FÜR
EINEN WERT HAT DIE STILLE, DAS SCHWEIGEN?
WAS
BRINGT DIE EINKEHR, DIE BESINNUNG?
Dazu
eine Geschichte:
Zu
einem Einsiedler kamen Leute und fragten ihn:
“Was
für einen Sinn siehst du in deinem Leben in dieser Stille und
Einsamkeit? Was für eine Bedeutung hat für dich die Einsiedelei?“ Der
Mönch war gerade dabei, im Klosterhof mit einem Eimer Wasser aus dem
Brunnen zu holen. Er sagte zu den Besuchern: „Schaut in den Brunnen, was
seht ihr da?“
Sie
schauten hinein. „Wir sehen nichts.“ – Nach einer Weile forderte der
Mönch die Besucher noch einmal auf, in den Brunnen zu schauen. Als sich
die Leute über den Brunnenrand beugten, fragte er sie: „Was seht ihr
jetzt?“
Sie
antworteten: „Jetzt sehen wir wie sich der Himmel im Wasser spiegelt und
wir sehen uns selbst.“ Und was seht Ihr noch? Schaut in die Tiefe!“
sagte der Mönch. „Wir sehen den Boden, wir sehen bis auf den Grund“,
erwiderten die Leute. – „Seht ihr, sagte der Mönch, das ist die
Erfahrung der Stille, das ist der Wert des Schweigens. Du siehst den
Himmel. Du siehst dich selbst. Und du blickst durch bis auf den Grund.“
Als der
Mönch das Wasser schöpfte, war es in Bewegung, in Unruhe. Es war
unklar. Die Leute sahen nichts. Das ruhige Wasser aber spiegelte den
Himmel und die Leute sahen sich selbst.
Stille
und Schweigen machen uns fähiger zum Aufnehmen, zum Empfangen, zum
Wahrnehmen. Wir erkennen uns selbst.
Das
ruhige Wasser lässt bis auf den Grund blicken.
In der
Stille blicken wir durch. Wir entdecken unsere Tiefe.
Aber auch
Verdrängtes und Weggeschobenes kann hoch kommen, Ängste, Sorgen,
Misstrauen, Rachegedanken, Schuldgefühle… – Deswegen scheuen manche die
Stille oder halten sie nur schwer aus, flüchten in die Arbeit, den
Zeitvertreib, die Unterhaltung.
Stille
und Schweigen vermögen zu klären, zu reinigen.
Die Dinge
setzen sich. Leben kann sich ordnen.
Im
Zeitalter der Kommunikation ist Stille zum Luxus geworden.
Wer nicht
ständig zu erreichen und zu sprechen ist, wer nicht zu allem etwas sagen
muss, ist fast schon privilegiert.
Sich dem
dauernden Lärmpegel zu entziehen, ist ein Geschenk für die Seele. Und
einander Stille und Schweigen zu gönnen, kann auch ein Geschenk sein.
Meine
Erfahrung ist: Wenn man mit sich selbst zur Ruhe kommt, wenn es still in
einem wird, wenn auch das Ich schweigt, dann sieht man die Welt und das
Leben mit anderen Augen.
Und noch
etwas: Ich vermag auch besser auf Gott zu hören, auf sein Wort, auf
seine Klopfzeichen, auf seine leise Stimme in mir.
Wenn ich
nämlich laut bin, dann ist Gott nicht noch lauter.
Gott
lärmt nicht. Er dröhnt uns nicht zu.
Wichtig
aber ist, nicht nur den äußeren Lärm zu meiden und sich der Flut der
Worte zu entziehen, sondern auch das Gebrodel der Gedanken zu beruhigen
und den schrillen Chor der inneren Stimmen zum Schweigen zu bringen, „herunterzufahren“ und
„herunterzukommen“.
Man muss
still sein, schweigen und warten, um zu erfahren, dass Gott nicht im
Erdbeben ist, nicht im Sturm oder im Feuer, sondern im leisen Säuseln
des Windes, in der „Stimme verschwebenden Schweigens“, wie Martin
Buber 1 Kön 19, 12 übersetzt.
Das ist
die Erfahrung, die Elija am Berg Horeb macht.
Das ist
die Erfahrung auch vieler Gestalten der christlichen Spiritualität,
angefangen von den Wüstenvätern über die Mystiker bis hin zu Therese von
Lisieux, Br. Konrad von Parzham oder Edith Stein: Die Stille ist der
Raum der Gottesbegegnung. Das Schweigen der Ort seiner besonderen Nähe
und Gegenwart.
In der
Stille des Herzens, da, wo ich nicht mehr plane und überlege, wo ich
nicht mehr über andere nachdenke und urteile, da, wo ich auch aufhöre,
mich selbst zu bewerten, da wird Gott in mir geboren.
Im
Schweigen, wenn ich alles loslasse und mir keine Gedanken mehr machen,
auch nicht über Gott, da zeigt sich Gott als der Nahe, als der, der da
ist. Und in Gott erfahre ich dann mein wahres Selbst. Ich werde frei von
allem Zwang, mich beweisen, mich rechtfertigen, mich mit anderen
vergleichen und mich erklären zu müssen. Und das ist unwahrscheinlich
entlastend und befreiend. Es macht ruhig und gelassen.
So
gesehen sind in der Tat – nach einem Wort von Friedrich Nietzsche
„die größten Ereignisse nicht die lautesten, sondern unsere stillsten
Stunden.“ – Oder wie Sören Kierkegaard sagt:
„Wenn alles still ist, geschieht am meisten“.
Gott ist
ein Freund der Stille.
„Hüte
die Stille und die Stille wird dich hüten!“
Wenn es
nur einmal so ganz stille wäre.
Wenn das
Zufällige und Ungefähre
verstummte und das nachbarliche Lachen,
wenn das
Geräusch, das meine Sinne machen,
mich
nicht so sehr verhinderte am Wachen –
Dann
könnte ich in einem tausendfachen
Gedanken
bis an deinen Rand dich denken
und dich
besitzen (nur ein Lächeln lang),
um dich
an alles Leben zu verschenken
wie
einen Dank.
Rainer Maria Rilke |