EVANGELIUM
Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben
+Aus
dem heiligen Evangelium nach Johannes
I n jener Zeit
sprach Jesus zu seinen Jüngern:
1 Euer
Herz lasse sich nicht verwirren. Glaubt an Gott, und glaubt an mich!
2 Im
Haus meines Vaters gibt es viele Wohnungen. Wenn es nicht so wäre, hätte ich
euch dann gesagt: Ich gehe, um einen Platz für euch vorzubereiten?
3 Wenn
ich gegangen bin und einen Platz für euch vorbereitet habe, komme ich wieder und
werde euch zu mir holen, damit auch ihr dort seid, wo ich bin.
4 Und
wohin ich gehe - den Weg dorthin kennt ihr.
5 Thomas
sagte zu ihm: Herr, wir wissen nicht, wohin du gehst. Wie sollen wir
dann den Weg kennen?
6 Jesus
sagte zu ihm: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand
kommt zum Vater außer durch mich.
Liebe
Frauen, liebe Wallfahrerinnen und Wallfahrer!
Wir leben
in einer spannenden Zeit. Vieles bewegt sich. Vieles verändert sich.
Vieles ist im Umbruch. Vieles gerät durcheinander. Das gilt für Politik,
Wirtschaft und Technik. Das gilt für Gesellschaft und Kirche. Und es
gilt auch für die Berufs- und Arbeitswelt.
Und mir kommt vor,
die Räder drehen sich immer schneller, die Veränderungen geschehen immer
rasanter. Die fortschreitende Digitalisierung beschleunigt alle
Lebensbereiche. Wachstum, Beschleunigung, Innovation. Das ist fast wie
eine Diktatur.
Eine Sekretärin
von einer Ortsverwaltung klagte neulich über dauernd neue
Computersysteme, immer neue Programme, immer wieder Umstrukturierungen.
Kein Stein bleibt auf dem anderen. Und überall wird Personal eingespart.
Immer mehr wird ihr aufgehalst. Immer mehr, immer schneller, immer
rationeller, immer noch effizienter und noch gewinnbringender. – „Hast und Eile, Zeitnot und Betrieb nehmen mich gefangen, jagen mich“,
heißt es in einem Lied.
Überforderung,
Druck, Zwänge, Ängste, Stress sind Lebensbremsen. Sie rauben Kraft und
Lebensfreude. Und auf Dauer machen sie krank. Dazu kommt in unserer
multioptionalen, multikulturellen und multireligiösen Gesellschaft ein
unwahrscheinlicher Werte- und Normenpluralismus. Alles ist gleich
gültig.
Doch was ist richtig? Was ist wichtig? Was ist wahr?
Wo finden
wir Orientierung im Dschungel des Lebens? Wer zeigt uns den Weg? Wo ist
Sinn und Ziel? Was gibt Halt und was trägt, wenn das Leben einem übel
mitspielt?
Im alten Gotteslob
(623) stand ein Lied, das diese Situation meines Erachtens einmalig gut
einfängt und aufnimmt, aber auch Antwort gibt. Der Text stammt von
Lothar Zenetti. Er lautet:
-
„Worauf sollen
wir hören, sag uns worauf? So viele Geräusche, welches ist
wichtig? So viele Beweise, welcher ist richtig? So viele Reden!
Ein Wort ist wahr.
-
Wohin sollen wir
gehen, sag uns wohin? So viele Termine, welcher ist wichtig? So
viele Parolen, welche ist richtig? So viele Straßen! Ein Weg ist
wahr.
-
Wofür sollen wir
leben, sag uns wofür? So viele Gedanken, welcher ist wichtig? So
viele Programme, welches ist richtig? So viele Fragen! Die Liebe
zählt.“
Wohin
sollen wir gehen? Worauf sollen wir hören? Wofür sollen wir leben? – Weg, Wahrheit, Leben.
Liebe Schwestern und Brüder!
Sie haben es vorhin gehört. Jesus offenbart sich am Schluss des heutigen
Evangeliums seinen Jüngern genau so: als der Weg, die Wahrheit und das
Leben. Und zwar sagt er: „Ich bin der
Weg und die Wahrheit und das Leben.“
Es
ist eines von sieben Ich-bin-Bildworten, die uns der Evangelist Johannes
aus dem Mund Jesu überliefert. Die anderen lauten: „Ich bin die Tür“;
„Ich bin der wahre Weinstock“; „Ich bin das Brot des Lebens“;
„Ich bin der gute Hirt“; „Ich bin das Licht der Welt“; und als
letztes zu Marta bei der Auferstehung des Lazarus gesprochen: „Ich bin die Auferstehung und das Leben.“
Liebe
Wallfahrerinnen und Wallfahrer! Schwestern und Brüder!
In diesen
Ich-bin-Bildworten dürfen wir das „Ich-bin-da“ durchtönen
hören, mit dem Gott sich dem Mose zu erkennen gab: die große
Gottesoffenbarung am brennenden Dornbusch.
Die Situation des Mose
ist – wie bei uns oft – Angst, Unsicherheit, Verzagtheit. Gott hat
Großes mit ihm vor. Er soll das Volk Israel aus der Knechtschaft in die
Freiheit führen, aus dem Sklavenhaus Ägyptens in das gelobte Land. Eine
Riesenaufgabe! Mose fühlt sich hoffnungslos überfordert. Es plagen ihn
Selbstzweifel und Minderwertigkeitsgefühle. – Sehen Sie: In
dieser Situation macht Gott ihm Mut. „Fürchte
dich nicht! Ich bin mit dir! Ich, der ich bin da. Und ich werde da sein,
immer, zu jeder Zeit und werde all deine und eure Wege mitgehen.“
Liebe
Schwestern und Brüder!
Einige
Jahrhunderte später eine ähnliche Situation: Jerusalem wird in Trümmer
gelegt, das Heiligtum des Tempels zerstört und große Teile des Volkes
Israel nach Babylon verschleppt. Dort im fremden Land, in der Not der
Verbannung fragen sich die Israeliten: Wo ist Gott? Hat Gott uns
vergessen, hat er uns verlassen? Wo ist sein starker Arm? Wo ist Rettung
und Hilfe.
Auch da
wieder Unsicherheit, Zweifel, Frustration, Resignation. Wer von uns
kennt das nicht? Sind diese Gefühle uns nicht ganz vertraut?
Sehen Sie:
In dieser missmutigen Stimmung, die Hoffnung am Nullpunkt, kein Licht am
Ende des Tunnels, da ist es der Prophet Jesaja, der im Elend des Exils,
in dieser ausweglos scheinende Situation Worte hat, die aufrichten und
trösten, Worte, die das Mit-Sein Gottes bestätigen und Befreiung
verheißen.
Gott will sein Volk retten und heimführen.
Wir haben diese wunderschönen und aufbauenden Worte vorhin in der Lesung
gehört (Jes 43, 1 - 5a). Es sind gleichsam Worte aus dem Herzen Gottes.
– Auch hier wieder – wie schon bei Mose – das „Fürchte dich nicht!“
Und ebenso das ICH BIN. „Ich bin mit dir!“ „Denn ich bin dein Gott. Ich, der Heilige Israels, bin
dein Retter.“
Übrigens,
liebe Schwestern und Brüder, das Evangelium von heute, das in der
Aussage Jesu aufgipfelt „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“,
dieses Evangelium ist ebenfalls in eine Situation der Ratlosigkeit und
Unsicherheit hineingesprochen. Der Abschnitt entstammt nämlich den
Abschiedsreden Jesu.
Jesus
teilt den Seinen mit, was ihm bevorsteht. Er lässt sie wissen, dass er
nicht mehr lange unter ihnen sein wird. Er spricht von seiner Heimkehr
zum Vater. Er redet von himmlischen Wohnungen, die er vorbereiten will.
Er verspricht ihnen einen anderen Beistand. Doch die Jünger haben
keine Ahnung, was Jesus meint. Sie blicken nicht durch. Sie verstehen
nur Bahnhof. Sie sind ratlos und verzagt. Gleichzeitig machen die Worte
Jesu sie traurig und betrübt.
Da sagt
Jesus zu ihnen: „Euer Herz lasse sich nicht verwirren!“ Eine
andere Übersetzung lautet: „Euer Herz
erschrecke nicht!“
Fridolin Stier übersetzt (ganz nah am Urtext):
„Euer Herz lasse sich nicht durcheinander bringen!“ Jesus
will, dass die Seinen sich nicht ängstigen, dass sie nicht verzagen.
Aber dabei belässt er es nicht. Er fügt hinzu: „Glaubt an Gott und
glaubt an mich!“
Mit Glaube
ist hier kein Satz-Glaube gemeint, keine Katechismuswahrheiten. Glauben
meint hier Vertrauen! Jesus sagt: „Vertraut auf Gott und vertraut auf
mich“. Das heißt: Habt keine Angst! Habt Mut! Glaubt und
vertraut!
Liebe
Wallfahrerinnen und Wallfahrer!
Diese
Worte Jesu dürfen wir auf uns hin hören und auf uns anwenden. Denn Jesu
Worte sind überzeitlich. Sie sind immer aktuell. Sie sind jetzt und
heute uns gesagt: „Euer Herz lasse sich nicht verwirren!“ Es
ängstige sich nicht und verzage nicht! Macht es fest in Gott! Glaubt an
Gott! Vertraut auf Gott!
Sehen Sie: Bei allem Unwägbaren, bei aller Ungewissheit, dem unser persönliches,
gesellschaftliches und kirchliches Leben ausgesetzt ist, bei allen
Veränderungen und Umbrüchen, bei allem rasanten Wandel – nicht die
Dinge, die uns erschrecken, sollen uns beherrschen, sondern der Glaube
soll die Kraft unseres Lebens sein. Jedoch nicht
so, dass all unsere Befürchtungen, Sorgen und Probleme mit einem frommen
Zuckerguss überzogen werden, sondern so, dass wir in den Ängsten, Nöten
und Sorgen nicht untergehen, dass wir vielmehr einen tragenden Grund
spüren, Stand haben und die Kraft, die Dinge, die uns ängstigen,
bedrücken und bedrängen, durchzustehen, sie zu bestehen, dass wir sie zu
überwinden vermögen. Und darum gläubig, voll Hoffnung und mit Zuversicht
leben können.
Liebe
Frauen, liebe Schwestern und Brüder!
Heute, an
diesem Walldürner Wallfahrtstag, da können und dürfen wir alles zu Jesus
bringen, all unsere Nöte und Ängste, all unsere Anliegen und Sorgen zum
kostbaren Blut Jesu Christi. Alles ihm geben, alles ihm anvertrauen,
alles in seine Hände legen. – Da ist Trost und Heil. Da ist Liebe und
Frieden. Da ist Licht und Segen. Und uns neue Kraft schenken lassen,
Zuversicht schöpfen, starke Hoffnung und frohen Mut, um unseren Weg
getröstet und gestärkt weitergehen zu können.
Ein Psalmwort lautet:
„Gut ist es zu vertrauen auf den Herrn, gut zu hoffen auf den Herrn!“
Und ein anderes: „Hoffe auf den Herrn
und sei stark! Hab festen Mut und hoffe auf den Herrn!“
Ja,
wir können, wie der Jesuitenpater Alfred Delp in der Nazihaft
geschrieben hat, „Wir können dem Leben trauen, weil wir es nicht
allein zu leben haben, sondern weil Gott es mit uns lebt“.
Beachten Sie auch
die
Fotoimpressionen aus diesem Festhochamt am 03. Juli 2019 in Walldürn |