Vor zwei Jahren
hat Papst Franziskus den „Sonntag des Wortes Gottes“ eingeführt, der
weltweit am 3. Sonntag im Jahreskreis gefeiert wird. Für uns hierzulande
hat die Deutsche Bischofskonferenz entschieden, diesen Sonntag zusammen
mit dem ökumenischen Bibelsonntag zu feiern, der seit 1982 immer am
letzten Sonntag im Januar begangen wird. Also keine Verdopplung, sondern
eine Feier, jeweils am letzten Sonntag im Januar.
Sonntag des Wortes
Gottes und ökumenischer Bibelsonntag.
Da ist es naheliegend,
sich ein paar Gedanken über das „Wort Gottes“ zu machen, über den Umgang
mit ihm und seine mögliche Wirkkraft in unser Leben. Als Einstieg eine
kleine Anekdote:
Bei einer
ökumenischen Tagung
waren die Zimmer knapp.
Ein Pfarrer und ein
Rabbiner mussten sich eines miteinander teilen. Am Abend fragte der
Pfarrer seinen Zimmerkollegen, ob er das Licht noch ein wenig anlassen
dürfe – er könne nämlich nicht einschlafen, wenn er nicht vorher noch in
der Bibel gelesen habe. Der Rabbiner antwortete: „Sie Glücklicher! Ich
kann nicht einschlafen, wenn ich erst noch in der Bibel gelesen habe.“
Der eine braucht das Wort
Gottes zum Einschlafen. Den anderen macht es unruhig und hält ihn wach.
Ob das Wort Gottes einschläfernd auf uns wirkt oder aufrüttelnd – das
kann verschiedene Gründe haben.
Manchmal
mag es auch uns so gehen, dass wir z.B. in der Sonntagsmesse den Anfang
von einem Evangelium hören und denken „Aha, der verlorene Sohn! Kenne
ich“ – und wir schalten ab. Wir erwarten nichts mehr, nichts Neues,
nichts, das mich persönlich angeht, kein Wort, das mich meinen, mich
treffen, mich berühren, aufrütteln und heilsam unruhig machen könnte.
So ähnlich
ist es bei der Predigt, die ja das Wort Gott auszulegen und zu
aktualisieren versucht. Sie kann uns langweilen oder ergreifen. Sie kann
uns fesseln und unter die Haut gehen oder eben langweilen und wie eine
Schlaftablette wirken. Auch hier gilt: Wie eine Predigt wirkt, ob sie
ankommt oder nicht, kann verschiedene Gründe haben. Manchmal hängt es
von uns selber ab, aber bei weitem nicht immer.
Meine Erfahrung
im Umgang mit dem Wort Gottes – auch von vielen biblischen Exerzitien
her, die ich begleitet habe, ist:
Wo
jemand sich intensiv – und in einer Atmosphäre der Sammlung, der Stille
und des Gebetes – mit dem Wort Gottes befasst, wo jemand mit
Interesse und neugierig – selbst an einen schon hundert Mal gehörten
Bibeltext – herangeht bzw. das Wort Gottes an sich herankommen lässt, wo jemand sich dafür öffnet und bereit ist, sich ansprechen und
berühren zu lassen, da kann geschehen, was die Emmausjünger
erlebt haben und voll Verwunderung so auf den Punkt bringen: „Brannte
uns nicht das Herz, als er unterwegs zu uns redete und uns den Sinn der
Schrift erschloss?“
Und es kann geschehen,
was Petrus mit seiner Pfingstpredigt bewirkt hat: „Als sie das
hörten“, heißt es in der Apostelgeschichte (2, 37a), „da traf es sie mitten ins
Herz.“ Wörtlich übersetzt klingt es noch markanter: „Als sie das hörten, stach es ihnen ins Herz.“
Ja, liebe Schwestern
und Brüder,
das gibt es, dass das Wort Gottes trifft, dass es sticht, dass es
herausfordert, nachdenklich und unruhig macht. „Stich-Worte“
im wahrsten Sinn des Wortes! Oder auch „Spreng-Sätze“,
Sätze, die alte und enge Denkmuster aufsprengen und neue Perspektiven
eröffnen, Sätze, die bisherige Gewohnheiten in Frage stellen und Mauern
einstürzen lassen, Sätze, die ein ganzes Leben verändern und umwandeln
können.
Der heilige Augustinus
berichtet in seinen Bekenntnissen wie ihn eines Tages ein Wort der
Heiligen Schrift getroffen und betroffen vom Hocker gerissen hat.
Es war in einem Garten in
Mailand. Da hört er plötzlich eine Kinderstimme: „Nimm und lies! Nimm
und lies!“ – Augenblicklich ergriff er die Heilige Schrift, schlug sie
auf und traf auf die Stelle im Römerbrief, wo es heißt: „Die Stunde ist gekommen, aufzustehen vom Schlaf… Die
Nacht ist vorgerückt, der Tag ist nahe. Darum lasst uns ablegen die
Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichtes. Lasst uns
ehrenhaft leben wie am Tag, ohne maßloses Essen und Trinken, ohne
Unzucht und Ausschweifung, ohne Streit und Eifersucht. Legt als neues
Gewand Jesus Christus an.“
Dieses Wort
hat Augustinus getroffen, es hat ihn „gestochen“. Dieser Satz hat ihn
zutiefst erschüttert und sein bisheriges Leben „aufgesprengt“ und
umgekrempelt, ein Leben der Eitelkeiten, verschiedenster Begierden und
vordergründigen Freuden.
Daraufhin
ließ sich der Rethorikprofessor taufen, kehrte zurück nach Nordafrika,
wurde Priester, lebte mit anderen in einer klosterähnlichen Gemeinschaft
zusammen und wurde der große und berühmte Bischof von Karthago. – Wow!!
Was nicht ein Wort, ein Satz der Bibel auslösen und bewirken kann.
Heute im Evangelium
sind es die Leute von Kafarnaum, die voll Staunen und betroffen sind von
der Lehre Jesu. „Denn er lehrte sie wie einer der Vollmacht hat“,
voll göttlicher Macht, mit Gottes power.
Noch mal zurück
zur Pfingstpredigt des Petrus, welche die Leute von Jerusalem mitten ins
Herz traf. Wissen Sie, wie die Hörer auf diese mitreißende Predigt
reagiert haben? „Sie sagten zu Petrus und den übrigen Aposteln: Was
sollen wir tun, Brüder?“ (Apg 2, 37b)
Liebe Schwestern und
Brüder!
Wer einmal ins Herz
getroffen wurde, wem die „Stich-Worte“ und „Spreng-Sätze“ der biblischen
Botschaft unter die Haut gegangen sind – der wird unruhig wie der
Rabbiner in der kleinen Anekdote vom Anfang. Und er stellt sich die
Frage: Was kann, soll und muss ich tun? – Wort will Antwort. Wie
sieht meine persönliche Antwort aus? – Sehen Sie: Bei wem das
Wort Gottes nicht nur die Ohren, sondern das Herz erreicht hat, der
merkt und spürt, dass er nicht gemütlich sitzen bleiben kann, sondern
aufstehen, sich rühren, sich bewegen und zum Tun des Wortes Gottes
kommen muss, zum Vollzug, zum Befolgen, zum „Leben-nach-der-Weisung-des-Herrn.“
Das Wort Gottes
soll und will in mir / in uns, lebendig und in meinem / unserem Leben
wirksam werden. Dann heilt und befreit es. Dann ist es Trost und gibt
Halt. Dann richtet es auf und weckt zu neuem Leben.
Reinhold Schneider
erzählt in seinem „Verhüllter Tag“, wie er am Weihnachtsabend in Potsdam
die Heilige Schrift aufschlug und nach wenigen Kapiteln auf die kalte,
dunkle Straße floh. „Mir war klar“, schreibt er, „dieses Buch kann man nicht lesen, wie man auch die
Exerzitien des hl. Ignatius nicht lesen kann, man muss es tun. Es ist
Lebensmacht. Und es ist unmöglich, auch nur eine Zeile zu begreifen ohne
den Entschluss, sie zu vollziehen.“
Von Roger Schutz,
dem ersten Prior von Taize, stammt das berühmte und viel zitierte Wort:
„Lebe das, was du vom Evangelium begriffen hast, und sei es auch noch
so wenig!“ - Aber das leb! Das mach konkret! Versuch es umzusetzen!
Lass es Tat werden!
„Selig, die das
Wort Gottes hören und es befolgen!“,
ruft Jesus mehrmals aus. – Und diejenigen sind für ihn „Bruder,
Schwester und Mutter, die das Wort Gottes hören und danach handeln.“
Sie zählen zu seiner neuen Familie. Sie gehören zu ihm.
Bei der Hochzeit zu
Kana
sagt Maria zu den Dienern: „Was Er euch sagt, das tut!“ Hören und
Tun! Hören ist wichtig. Hören auf ihn! Hören, was er sagt. Aber es darf
nicht dabei bleiben. Es muss zum Tun kommen. Das Wort Gottes drängt nach
Verwirklichung.
Zum Schluss noch mal
eine Anekdote:
Eine arme, Not
leidende Frau klopfte bei den Brüdern in Portiunkula an. Die aber hatten
kein Brot mehr im Haus. „Was können wir ihr geben?“ fragte Franziskus
den Guardian des Klosters. Dieser sagte: „Das Einzige von Wert, was wir
noch haben, ist die Bibel.“ (Damals von Hand geschrieben und sehr
kostbar!) – „Aber die brauchen wir Tag für Tag für unsere Gebetszeiten.“
Franziskus sagte zu ihm: „Gib sie ihr, dass sie sie verkaufen und damit
ihre Not lindern kann. Denn in der Bibel steht ja, dass wir den Armen
beistehen sollen. Gott gefällt es mehr, wenn wir tun, was in ihr steht,
als wenn wir sie lesen.
ZWEI ANREGUNGEN
1.
Für den
Gottesdienst: Verehrung des Wortes Gottes
Bei einer
„Wort-Gottes-Feier“ könnte heute ganz bewusst auf die Austeilung und den
Empfang der Kommunion verzichtet und stattdessen folgende
Zeichenhandlung vollzogen werden (ähnlich der Kreuzverehrung der
Gläubigen am Karfreitag):
Nach dem Evangelium oder
nach der Predigt wird die Bibel gut sichtbar – aufgeschlagen – auf einen
dezent geschmücktes Tischchen (oder Ständer) gelegt oder gestellt,
welches am Ende des Mittelgangs im Altarraum steht. Die
Gottesdienstteilnehmer werden eingeladen – wie beim Kommuniongang – nach
vorne zu kommen und sich vor der Heiligen Schrift zu verneigen. Wer will
kann auch eine Kniebeuge vor der Bibel machen oder auch die Bibel mit
der Hand berühren. Während die Gemeinde das Wort Gottes verehrt, kann
meditative (Orgel-)Musik erklingen oder das Lied „Gottes Wort ist wie
Licht in der Nacht“ mehrmals gesungen und gesummt werden (eventuell auch
im Kanon) – oder ein anderer passender Gesang.
2.
Für zu
Hause
(nach einer Anregung von Papst Franziskus)
Wir können der Bibel
einen würdigen Platz im Haus bzw. in der Wohnung geben, anstatt sie nur
in einem Bücherregal stehen zu haben. Ein Platz, wo wir daran erinnert
werden, die Bibel täglich aufzuschlagen, sei es am Beginn des Tages oder
am Ende (oder auch sonst zu einer passenden Zeit), „so dass unter all den Worten, die an unsere Ohren
dringen, der eine oder andere Vers des Wortes Gottes zu unserem Herzen
gelangt. – Dafür bitten wir den Herrn um die Kraft, den Fernseher
auszuschalten und die Bibel aufzuschlagen; das Handy beiseitezulegen und
das Evangelium zur Hand zu nehmen. – In diesem Jahr lesen wir das
Markusevangelium. Es ist das einfachste und kürzeste. Warum lesen wir es
nicht auch allein, jeden Tag einen kurzen Abschnitt? Dies wird uns
spüren lassen, dass der Herr nahe ist, und uns auf unserem Lebensweg mit
Mut erfüllen.“ (Papst Franziskus)