Evangelium
Im Himmel herrscht Freude über einen
einzigen Sünder, der umkehrt
+
Aus dem heiligen Evangelium nach Lukas
In jener Zeit
1kamen
alle Zöllner und Sünder zu Jesus, um ihn zu hören.
2Die
Pharisäer und die Schriftgelehrten empörten sich darüber und sagten:
Dieser nimmt Sünder auf und isst mit ihnen.
3Da
erzählte er ihnen dieses Gleichnis und sagte:
4Wenn
einer von euch hundert Schafe hat und eins davon verliert, lässt er dann
nicht die neunundneunzig in der Wüste zurück und geht dem verlorenen
nach, bis er es findet?
5Und
wenn er es gefunden hat, nimmt er es voll Freude auf die Schultern,
6und
wenn er nach Hause kommt, ruft er die Freunde und Nachbarn zusammen und
sagt zu ihnen: Freut euch mit mir, denn ich habe mein Schaf
wiedergefunden, das verloren war!
7Ich
sage euch: Ebenso wird im Himmel mehr Freude herrschen über einen
einzigen Sünder, der umkehrt, als über neunundneunzig Gerechte, die
keine Umkehr nötig haben.
8Oder
wenn eine Frau zehn Drachmen hat und eine davon verliert, zündet sie
dann nicht eine Lampe an, fegt das Haus und sucht sorgfältig, bis sie
die Drachme findet?
9Und
wenn sie diese gefunden hat, ruft sie die Freundinnen und Nachbarinnen
zusammen und sagt: Freut euch mit mir, denn ich habe die Drachme
wiedergefunden, die ich verloren hatte!
10Ebenso,
sage ich euch, herrscht bei den Engeln Gottes Freude über einen einzigen
Sünder, der umkehrt.
Sicher ist es Ihnen auch
schon passiert, dass Sie etwas Wichtiges verloren und dann ganz
verzweifelt danach gesucht haben: einen Schlüssel z. B. die Brille, das
Portemonnaie, das Smartphone oder ein Dokument, das sie dringend
benötigt hatten.
Da ist man vielleicht
ohnehin schon spät dran, es eilt und man will los – und dann ist der
Autoschlüssel weg. Zigmal wird alles auf den Kopf gestellt. Noch einmal
und noch einmal wird alles durchsucht: Schubladen, Taschen, Ablagen usw.
In Gedanken geht man noch mal an Stellen und Orte, wo man in letzter
Zeit war.
Und je länger und
fieberhafter man sucht, desto nervöser und aufgeregter wird man. Wut und
Aggressionen steigen hoch. Man gerät immer mehr außer Fassung,
beschuldigt vielleicht auch noch andere, die gar nichts damit zu tun
haben …
Ludwig van Beethoven hat
für diese alltägliche Situation ein Klavierstück geschrieben. Es trägt
den Titel: „Die Wut über den verlorenen Groschen.“ Bei You Tube kann man
es sich anschauen und anhören. Es ist ein ganz rasantes Stück, heftig
und aggressiv. Man sieht den Pianisten, wie er sein Instrument
bearbeitet: Immer ruheloser, immer wütender, immer wilder haut er auf
die Tasten. – Kunstvoll hat Beethoven die innere Not vertont, die den
Suchenden befallen hat und die sich immer mehr steigert. Es ist zum
Verrücktwerden! Der Groschen lässt sich einfach nicht finden.
Wenn das lang Gesuchte
dann endlich gefunden ist, sind wir erleichtert und froh. Der
wiedergefundene Schlüssel wird begrüßt: „Das gibt‘ doch nicht! Wo
steckst du denn?“ Das im Kaufrummel verlorene Kind wird in die Arme
genommen: „Gott sei Dank, da bist du ja!“
Suchen und Finden – Not
und Verzweiflung einerseits und Freude und Erleichterung andererseits –
das kennen wir alle und haben vielfältige Erfahrungen damit gemacht.
Und genau mit dieser
alltäglichen Situation sind wir mitten im Evangelium. Da geht auch um
Suchen und Finden.
Einmal geht eines von
hundert Schafen verloren und der Hirt macht sich auf die Suche. Das
andere Mal geht eine von zehn Drachmen verloren und eine Frau sucht ganz
akribisch danach.
Manch einer mag das für
übertrieben halten. Eines von hundert Schafen. Eine von zehn Drachmen.
Was macht das schon?
Für einen reichen
Schafherdenbesitzer mag ein Schaf noch zu verschmerzen gewesen sein. Oft
aber waren die Schafhüter Pächter oder nur angestellte Knechte,
Mietlinge, arme Schlucker und mussten jeden Verlust ersetzen oder teuer
bezahlen. Da hat es sich schon gelohnt, loszugehen und keine Mühe zu
scheuen, das Verlorene zu suchen. Die neunundneunzig Zurückgelassenen
mussten ja auch nicht unbedingt unbewacht und ungeschützt zurückbleiben.
Da gab es vielleicht noch Mitknechte und Schäferhunde, die aufpassten
und die Herde vor Räubern und wilden Tieren beschützten.
So ist es mit der Drachme,
die eine Frau verloren hat. Eine Drachme war ein Geldstück von hohem
Wert. Für eine reiche Dame war der Verlust vielleicht zu verkraften,
aber eine normale Hausfrau oder sogar arme Witwe war der Verlust einer
Drachme sehr schmerzlich.
Und darum tut sie im
Gleichnis, das Jesus erzählt, alles, um die Drachme wieder zu finden.
Mit einer Lampe leuchtet sie in alle Ecken und Winkel. Mit einem Besen
fegt sie sorgfältig jedes Zimmer aus. Sie stellt gleichsam das ganze
Haus auf den Kopf. Und ich stell mir vor, wie sie auch den Kehricht auf
der Schaufel nochmal ganz genau anschaut.
Nun, liebe Schwestern und
Brüder, in den beiden Gleichnissen vom verlorenen Schaf und der
verlorenen Drachme, da ist es Gott selbst, der dem Verlorenen nachgeht.
Er selbst macht sich auf die Suche.
Der Hirt und die Frau sind
Bilder für Gott. Nicht nur ein männliches Bild, sondern – auffallend und
beachtenswert – auch ein weibliches Bild für Gott.
So wie der Hirt nach dem
Schaf sucht und die Frau nach der Drachme, so sucht Gott den Menschen,
besonders den, der im Leben gestrauchelt ist, der ins Abseits geraten
ist, der sich verheddert und verhaspelt hat, der aus dem Netz des Guten
herausgefallen ist und den Schuldgefühle plagen.
Doch damit sind die
Geschichten vom verlorenen Schaf und der verlorenen Drachme noch nicht
zu Ende. Als der Hirt das Schaf findet und es voll Freude auf seinen
Schultern heimträgt, und als die Frau ihr Geldstück findet, da sind
beide außer sich vor Glück und Freude. Doch wovon das Herz voll ist,
davon quillt der Mund bekanntlich über. So rufen beide andere herbei –
der Hirt seine Freunde und Nachbarn, die Frau ihre Freundinnen und
Nachbarinnen – und laden zur Mitfreude ein: „Freut euch mit mir, ich
habe das Schaf bzw. die Drachme wiedergefunden!“ Und es wird gefeiert.
Es gibt ein Fest.
Liebe Schwestern und
Brüder!
Wem erzählt Jesus diese
Gleichnisse und gleich darauf noch ein drittes, das vom verlorenen Sohn?
Er erzählt sie den Frommen seiner Zeit. Er erzählt sie den 99 Gerechten,
damit sie Verständnis hätten für das hundertste Schaf. Er erzählt sie
denen, die sich darüber ärgern und empören, dass er sich mit Zöllnern
und Sündern abgibt, ja sogar mit ihnen isst. Er erzählt sie denen, die
sich selbst für rechtschaffen, gut und fromm halten, die aber doch so
hart, so verbittert, so unversöhnlich und unbarmherzig sein können und
voll Hochmut und Verachtung auf die Gescheiterten, Gestrauchelten und
Verlorenen herabschauen. Ihnen erzählt Jesus diese Gleichnisse als
Verteidigung gegen ihre Angriffe, als Rechtfertigung für seine Zuwendung
zu den Sündern.
Am Schluss vom ersten
Gleichnis, dem vom verlorenen Schaf, heißt aus dem Mund Jesu: „Ich sage
euch: Ebenso wird auch im Himmel mehr Freude sein über einen einzigen
Sünder, der umkehrt, als über neunundneunzig Gerechte, die es nicht
nötig haben umzukehren.“
Liebe Schwestern und
Brüder!
In den Gleichnissen vom
Suchen und Finden veranschaulicht Jesus die unermessliche Liebe Gottes.
Wie der Hirt sich über das verlorene Schaf und die Frau sich über die
Drachme zusammen mit anderen freuen, so freut sich Gott über jeden, der
heimfindet in seine Liebe.
„Ein einziger Sünder, der umkehrt!“ –
Ich finde, nur ein Gott, der unendliche groß ist, kann sich über etwas
so Kleines freuen. Andererseits – das ist auch wahr: nur der Sünder ist
in der Lage, Gott diese Freude zu bereiten. Aber, sagen Sie es selbst:
Wer ist kein Sünder?
Wir sind ja noch längst
keine Engel.
Doch Gott sucht nach mir,
wenn ich verloren gegangen bin.
Keine Ecke ist ihm zu
schmutzig, kein Weg zu weit, keine Anstrengung zu groß. Nichts ist ihm
zu viel, um mich zu finden. Und Gott freut sich und feiert – und mit ihm
die Engel und der ganze Himmel, wenn ich mich habe finden lassen. Und
das nicht nur einmal, sondern immer wieder aufs Neue. Gott hört nicht
auf zu suchen, egal wie oft ich verloren gehe. – Das ist wirklich
Evangelium. Nicht Drohbotschaft, sondern frohe Botschaft.
Noch etwas: Ich denke,
Gottes Suchen nach mir unterscheidet sich von der Wut und dem Zorn über
den verlorenen Groschen.
Gottes Suchen ist
sehnsuchtsvoll, verlangend, ausdauernd und geduldig. Es ist geradezu
eine heilige Suche. Denn wir, ich, jede und jeder von uns, sind ihm
überaus wertvoll und kostbar. |