Was wäre eigentlich noch zu sagen zu diesem
bekannten Evangelium, das Sie, liebe Schwestern und Brüder, nicht schon wissen?
Dass auch heute noch viele Menschen „unter die
Räuber fallen“?
Wem wäre das neu? Wir wissen doch, wie es zugeht
im Leben! Wir hören, sehen oder lesen doch jeden Tag, was los ist in der Welt,
wie Menschen Opfer von Gewalt und Verbrechen werden.
Wahrlich, die Lebenswege unserer Zeit sind nicht
sicherer geworden – und die Räuber nicht barmherziger.
Eine andere Frage: Wo ist unser Platz in dieser Geschichte?
Gehören wir zu den Räubern, die
andere rücksichtslos und brutal ausplündern, um so an Geld und Reichtum zu
kommen? Gewiss nicht! Jedenfalls nicht in dieser krassen Form. Solche Leute
gehen sohl kaum sonntags in die Kirche Die sitzen eher im Gefängnis.
Allerdings, man braucht nicht erst körperliche
Gewalt anzuwenden, um einen niederzuschlagen oder fertig zu machen. Oft genügt
auch schon eine Lüge, um jemanden klein zu kriegen, ein hartes Wort oder ein
hämisches Grinsen. Oft sind es die kleinen, subtilen, verdeckten Gehässigkeiten,
Gemeinheiten, Zynismus, die einen in die Nähe der Räuber bringen. Ich nenne nur
das Stichwort „Mobbing“. Es ist noch nicht lange her, da habe ich bei
Einzelexerzitien von zwei Fällen gehört, die man durchaus als „Mobbing im
Kloster“ bezeichnen kann.
Wo ist unser Platz in dieser Geschichte?
Bei denen, die vorübergehen wie der Priester und
der Levit?
Nein, es wäre ungerecht, einfach pauschal zu
behaupten, wir kümmern uns nicht um die Not in der Welt. Gibt es nicht bei
Erdbeben, Überschwemmungen und anderen Katastrophen große Spendenaktionen? Haben
wir nicht „Misereor“, „Adveniat“, „Brot für die Welt“? Haben wir nicht eine gut
organisierte Caritas, das Rote Kreuz, die Malteser, den Samariterbund, Amnesty
International, Unicef... Na bitte! Außerdem: wir haben Wärmestuben für
Nichtsesshafte, Essensausgaben für Wohnsitzlose, Therapieplätze für
Drogensüchtige. Wir haben Heime für Pflegebedürftige, Hospize für Aidskranke und
Beratungsstellen für in Not Geratene verschiedenster Art...
Wir haben ein soziales Netz, das Arme und
Schwache auffängt. Nein, wir lassen keinen liegen, der unter die Räuber gefallen
ist. Alles ist geregelt, die Zuständigkeiten geklärt, das Krisenmanagement
funktioniert. – Können wir uns also zufrieden zurücklehnen in den Lehnstuhl
unseres guten Gewissens?
Folgende Geschichte kann uns nachdenklich machen:
Die Hölle war total überfüllt,
und noch immer stand eine lange Schlange am Eingang. Schließlich musste sich der
Teufel selbst herausgehen, um die Bewerber fortzuschicken. „Bei mir ist alles
so überfüllt, dass nur noch ein einziger Platz frei ist“, sagte er. „Den muss
der ärgste Sünder bekommen. Sind vielleicht ein paar Mörder da?“ – Und nun
forschte er unter den Anstehenden und hörte sich deren Verfehlungen an. Was auch
immer sie ihm erzählten, nichts schien ihm schrecklich genug, als dass er dafür
den letzten Platz in der Hölle hergeben mochte. – Wieder und wieder blickte er
die Schlange entlang. Schließlich sah er einen, den er noch nicht gefragt hatte.
„Was ist eigentlich mit Ihnen, dem Herrn, der da für sich allein steht? Was
haben Sie getan?“
„Nichts“ sagte der Mann, den er so angesprochen
hatte. „Ich bin ein guter Mensch und nur aus Versehen hier. Ich dachte, die
Leute ständen hier um Zigaretten an.“
„Aber sie müssen doch etwas getan haben“, sagte
der Teufel. „Jeder Mensch stellt etwas an.“ - „Ich sah es wohl“, sagte der gute
Mensch, „aber ich hielt mich davon fern. Ich sah, wie Menschen ihre Mitmenschen
verfolgen, aber ich beteiligte mich niemals daran. Sie haben Kinder hungern
lassen und in die Sklaverei verkauft. Sie haben auf den schwachen
herumgetrampelt und die Armen zertreten. Überall um mich herum haben Menschen
von Übeltaten jeder Art profitiert. Ich allein widerstand der Versuchung und tat
nichts.“
„Absolut nichts?“ fragte der Teufel ungläubig.
„Sind Sie sich völlig sicher, dass Sie das alles mitangesehen haben?“ – Vor
meiner eigenen Tür“, sagte der „gute Mensch“. – Und nichts haben Sie getan?“
wiederholte der Teufel. – „Nein!“
„Komm herein, mein Sohn, der Platz gehört dir!“
Und als er den „guten Menschen“ einließ, drückte
sich der Teufel zur Seite, um mit ihm nicht in Berührung zu kommen.
Wochenlang wird in der
Nachbarschaft ein Kind misshandelt. Viele hören die Hilfeschreie. Keiner der
Anwohner tut etwas. Auch ich kann sagen: Was geht mich das an? Nur keine
Scherereien!
Doch es geht mich an. Ich kann der Nächste sein für diese Kind.
In meiner Straße gibt es Aussiedler oder
Asylanten. Sie hoffen auf Verständnis und Akzeptanz. – Bin da nicht auch ich
gefragt?
Ein Ehepaar mit vier Kindern sucht eine Wohnung.
Natürlich gibt es dafür Ämter und zuständige Stellen. – Aber bin nicht auch ich
gefragt? Und wenn es nur mein Zuhören ist, mein Mittragen ihrer Not, mein
Mutmachen zum Dranbleiben und Weitersuchen.
Ein anderes Beispiel: Was nützt einem schwer
Gehbehinderten seine Rente und alle offizielle Fürsorge, wenn er vor einer
Treppe steht und nicht allein hinauf oder hinunter kommt? – Da bin ich gefragt!
Man kann eine ganze Litanei aufzählen. Immer geht
es um mein Eingreifen, um meine kleine Tat, um meine Aufmerksamkeit, um den
Erweis meiner Barmherzigkeit und helfenden Güte, um meine schlichte Zuwendung
zum anderen in konkreter Stunde, dass ich mich stören lasse, dass ich mich
einfühle und mitempfinde, dass ich mich betreffen lasse von fremder Not und dem
Schicksal des anderen, dass ich mir Zeit nehme, dass ich tut, was ich vermag,
dass ich helfe, wo Hilfe nötig ist.
Mein Nächster ist immer der, der gerade meiner
bedarf. Da brauchen wir nicht lange suchen oder bis Weihnachten oder Ostern zu
warten.
Noch etwas ist mir in letzter Zeit sympathisch
und bedeutsam geworden bei dieser Geschichte vom barmherzigen Samariter.
Beispielhaft und beeindruckend finde ich nämlich nicht nur, was der Samariter
tut, sondern auch was er bleiben lässt:
-
Er lässt sich von seiner Reise nicht abhalten. Er unterbricht
sie. Er leistet erste Hilfe. Er tut, was er tun kann. Dann setzt er seinen
Weg aber auch fort.
-
Er hält sich nicht für den einzigen, der wirklich helfen
kann. Nachdem die akute Not gelindert ist, bringt
er den Verwundeten in eine Herberge und betraut einen anderen mit der
Pflege, der besser und langfristig helfen kann.
-
Er gibt Geld für die weitere Betreuung, reist dann aber ab
und verspricht auf der Rückreise rein zu schauen, sich nach dem Befinden zu
erkundigen und gegebenenfalls mehr zu geben.
Es geht um das Wahrnehmen der eigenen Grenzen und
Möglichkeiten. Jemand hat mir einmal gesagt:
„Tu, was du kannst, mit dem, was du hast, dort,
wo du bist.“
Das ist es. Nicht mehr, und nicht weniger. Ich fand das sehr
hilfreich. Auch das gehört zum: „Geh hin und handle
genauso!“
Amen
|