Nicht wahr, liebe Schwestern und Brüder,
das ist heute wieder einmal ein Evangelium, bei dem es uns schwer fällt,
auf den Ruf „Evangelium unseres Herrn Jesus Christus“ mit
„Dank sei Gott“ zu antworten und dann auch noch ein frohes
„Halleluja“ zu singen.
Was mutet Jesus uns da zu?
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„Wer nicht Vater und
Mutter, Frau und Kinder, Brüder und Schwestern, ja sogar sein
Leben gering achtet“, (wörtlich heißt
es sogar „hasst“), „der kann
nicht mein Jünger sein.“
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„Wer nicht sein Kreuz
trägt und mir nachfolgt, der kann nicht mein Jünger sein.“
-
„Wer nicht auf seinen
ganzen Besitz verzichtet, der kann nicht mein Jünger sein.“
Jünger und Jüngerin Jesu möchten wir doch
alle sein, nicht wahr?
Aber wer hat angesichts der radikalen
Forderungen, die Jesu im heutigen Evangelium stellt, überhaupt eine
Chance, Jünger und Jüngerin zu sein bzw. es zu werden?
Legt Jesus die Messlatte für Jüngerschaft
nicht wahnsinnig hoch, für uns zu hoch?
Bei aller Liebe und bei allem guten
Willen!
Wer kann diesem ungeheuren und
kompromisslosen Anspruch, den Jesus stellt, auch nur einigermaßen
gerecht werden?
Geht das nicht über unsere Kräfte?
Wer darf sich da noch mit gutem Gewissen
„Christ“ nennen?
Ja, ist das überhaupt umsetzbar, machbar
und lebbar?
Widerspricht das, was Jesus hier
verlangt, nicht elementarsten menschlichen Gefühlen?
Will er z.B. tatsächlich, dass wir die
Eltern und Geschwister, einschließlich uns selbst, ablehnen, um seine
Jünger sein zu können?
Hat Jesus nicht selbst den auferweckten
Jüngling von Nain seiner Mutter zurückgegeben (Lk 7, 15)?
Hat er nicht selbst dem Besessenen von
Gerasa nach seiner Heilung befohlen, in sein Haus zurückzukehren (Lk 8,
39)?
Und hat er nicht dem Gesetzeslehrer, die
Liebe, auch die Liebe zu sich selbst, als Weisung zum Leben bestätigt
(Lk 10, 27 - 28)?
Wie also umgehen mit diesem Evangelium,
das uns hoffnungslos zu überfordern scheint?
Meines Erachtens kann uns der
Zusammenhang, in dem der Text steht, den Weg weisen und uns Hilfe zum
Verständnis sein.
Es heißt da:
„Viele Menschen begleiteten Jesus.“
Jesus hat eine Menge Anhänger,
Bewunderer. Heute würden wir sagen: Sympathisanten, Fans.
Aber sind sie auch seine Jünger? Ist es
ihnen Ernst mit der Nachfolge, die auch immer Kreuzesnachfolge sein und
werden kann?
Oder ist die Bewunderung und Begeisterung
der vielen, die mit Jesus gehen, nur Strohfeuer, ein Strohfeuer, das
schnell verlischt, wenn es ernst wird, wenn sich Nachfolge unter
Umständen zur Kreuzesnachfolge wandelt?
Jesus schont die vielen nicht, die ihn
begleiten.
Die Menge der Leute ist ihm eher Anlass,
beängstigend deutlich zu werden.
Er möchte nicht, dass Menschen sich
Illusionen hingeben.
Darum sagt er unverblümt: Nachfolge
bedeutet nicht, in der Menge mitzulaufen.
Jesus nachfolgen, sich ihm anschließen,
den Weg mit ihm gehen, das ist kein Spaziergang.
Jesus nachfolgen das bedeutet vielmehr,
sich von Gott in Besitz nehmen zu lassen, und zwar mehr als von allen
und allem anderen!
Liebe Mitchristen!
Eine ähnliche Situation erlebten die
frühchristlichen Gemeinden, an die Lukas sein Evangelium richtet.
Einerseits breitete sich das Christentum
aus, die Gemeinden wuchsen, die Zahl der Christen nahm ständig zu.
Andererseits war das Martyrium stets eine
drohende Realität.
Sowohl in der Situation der frühen
Christen als auch in der Situation, in der viele Menschen Jesus
begleiteten, ist eines gefordert, nämlich Entschiedenheit.
Nicht nur Mitläufertum, sondern klares
Bekenntnis, treues Stehen zu Jesus, mit allen Konsequenzen, die da
heißen können Kreuz und Martyrium.
Jede Entscheidung aber braucht zuvor
nüchterne Prüfung, ein genaues Abwägen und gutes Kalkulieren.
Und genau darum geht es in den beiden
Gleichnissen, die Jesu erzählt:
von einen Mann, der vorhat, einen Turm zu
bauen und von einem König, der gegen einen anderen in den Krieg ziehen
will.
Es gilt sorgfältig zu prüfen und die
eigenen Möglichkeiten realistisch einzuschätzen.
Reichen die Mittel? Reichen die Kräfte?
Kann ich den „Turmbau“ wagen? Kann ich
den „Feldzug“ riskieren?
Ruhig überlegen, sachlich prüfen
einerseits, dann aber auch, sich klar entscheiden andererseits.
Und das hat immer auch mit Loslassen und
mit Prioritäten-Setzen zu tun.
Um eindeutige Prioritäten geht es Jesus
auch heute im Evangelium.
Nichts ist in seinen Augen so wichtig wie
das Reich Gottes.
Dieses gilt es zuerst und vor allem zu
suchen.
Erstwichtig ist Gott.
Und die Nachfolge Jesu gilt es allem
anderen vorzuziehen:
dem Besitz, den Familienbindungen, den
Sicherungen des Lebens…
Jünger sind eben „Nachfolger“ und nicht
nur Mitläufer und Sympathisanten.
Jesus will nicht nur Bewunderer, sondern
Nachfolger. Er will den Menschen ganz.
Ein bisschen nachfolgen oder eine bequeme
„Schaun-mer-mal“ Einstellung ist zu wenig.
Ganz oder gar nicht, vor diese Wahl
stellt uns Jesus heute.
Liebe Schwestern und Brüder!
Die Härte des Anspruchs bleibt.
Glattbügeln lässt sich dieses Evangelium nicht. Gott sei Dank!
Jesu Wort ist und bleibt ein unbequemes,
ein herausforderndes.
Es erschöpft sich nicht darin, unser
Leben zu verzieren.
Es stellt vielmehr Fragen an unseren
Lebernstil, an unsere Einsatzbereitschaft, an unseren Bekennermut, an
unsere Treue.
Und es stellt uns in Frage in unsere
Trägheit, in unseren Hang zur Bequemlichkeit, in unsere Ängstlichkeit
und in unsere Menschenfurcht.
Auch ich muss mich fragen und jede und
jeder von uns:
-
Wonach richte ich mein Leben aus?
-
Wo und wie setze ich die
Prioritäten?
-
Welchen Stellenwert hat Gott in
meinem Leben?
-
Hat er bei mir das Sagen?
-
Gebe ich seinem Willen Vorfahrt?
Und was mein Weg mit Jesus betrifft,
meine Jüngerschaft:
-
Stehe ich wirklich in seiner
Nachfolge mit allem, was dazu gehört?
-
Bin ich ernsthaft und in der Tat
Jünger und Jüngerin Jesu? Oder bin ich doch bloß mehr Mitläufer,
Sympathisant, Bewunderer?
Lasse ich mich wirklich ganz und ohne
Vorbehalt auf Jesus ein?
Ist mein Glaube nur Sonntagsglaube oder
prägt er auch meinen Alltag?
Wie viel meiner Energie investiere ich in
Dinge, die mich von dem, wozu Jesus mich ruft, ablenken?
Heiße ich nur Christ oder bin ich es
wirklich?
Merkt man etwas von meinem Christsein in
der Familie, in der Nachbarschaft, im Verein, am Arbeitsplatz, in der
Öffentlichkeit?
Welche Werte leiten mich in meinen
Alltagsentscheidungen?
Nicht auf jeden Topf passt ein Deckel.
Nicht jede Predigt braucht ein „Amen“.
Lassen wir einfach dieses Evangelium in
seiner ganzen Ernsthaftigkeit und Härte auf uns wirken.
Lassen wir uns von den Predigtgedanken
zur Besinnung anregen!
Und nehmen wir die Impulsfragen, als
Anstoß, um zu schauen und wahrzunehmen, wie mein Christsein aussieht und
wie es um meine „Nachfolge Jesu“ bestellt ist.
Vielleicht ist auch Umkehr gefordert,
wenn ich erkenne, wo ich mich wieder mehr, konsequenter, radikaler nach
dem Wort und Beispiel Jesu ausrichten sollte. |