Evangelium
Wenn ihr doch Glauben
hättet wie ein Senfkorn!
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Aus dem heiligen Evangelium nach Lukas
In jener Zeit
5baten
die Apostel den Herrn: Stärke unseren Glauben!
6Der
Herr erwiderte: Wenn ihr Glauben hättet wie ein Senfkorn, würdet ihr zu
diesem Maulbeerbaum sagen: Entwurzle dich und verpflanz dich ins Meer!
und er würde euch gehorchen.
7Wenn
einer von euch einen Knecht hat, der pflügt oder das Vieh hütet, wird er
etwa zu ihm, wenn er vom Feld kommt, sagen: Komm gleich her und begib
dich zu Tisch?
8Wird
er nicht vielmehr zu ihm sagen: Mach mir etwas zu essen, gürte dich und
bediene mich, bis ich gegessen und getrunken habe; danach kannst auch du
essen und trinken.
9Bedankt
er sich etwa bei dem Knecht, weil er getan hat, was ihm befohlen wurde?
10So
soll es auch bei euch sein: Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen
wurde, sollt ihr sagen: Wir sind unnütze Knechte; wir haben nur unsere
Schuldigkeit getan.
Liebe Schwestern und Brüder!
Erinnern Sie sich noch? Am Anfang unseres
heutigen Evangeliumsabschnittes haben die Apostel Jesus gebeten:
„Stärke unseren Glauben!“ – Nun, die Apostel waren sicher nicht
ungläubig. Sie waren allesamt gläubige Juden. – Und doch hat Jesus sie
in verschiedenen Situationen wiederholt gefragt, z. B. nach der Stillung
des Seesturmes: „Habt ihr noch keinen Glauben?“ Oder: „Wo ist
euer Glaube?“ Oder: „Glaubt ihr denn immer noch nicht?“
Auch wir beten am Anfang vom
Rosenkranz: „Jesus, der in uns den Glauben vermehre?“ – Ist
das eine sinnvolle Bitte? Kann man den Glauben „vermehren“ wie eine
Geldsumme oder einen Energievorrat?
Ein Bild kann uns helfen, über diese
Frage nachzudenken.
Das Bild zeigt ein Kind, das auf einer
Mauer steht und gerade dabei ist, in die offenen Arme seines Vaters zu
springen.
Ein gesundes Kind, das eine gute Beziehung zu seinen Eltern hat, wird
bei diesem Spiel kaum Angst haben. Im Gegenteil: Es macht ihm Spaß. Es
kann gar nicht genug bekommen und wird den Sprung gern und mit
Vergnügen, so oft wie möglich, wiederholen. Es weiß: Mir kann nichts
passieren. Die Arme meines Vaters sind groß und stark. Er hält mich. Ihm
kann ich mich anvertrauen. – Über die „Größe“ dieses Vertrauens macht
sich das Kind keine Gedanken. Es fühlt sich einfach mit dem Vater
verbunden und in seiner Macht und Liebe geborgen.
Zurück zu Jesus und den Aposteln.
Jesus geht auf die Bitte der Apostel, ihren Glauben zu vermehren, nicht
ein. Indirekt bestätigt er jedoch, dass der Glaube der Apostel „klein“
ist. Er gleicht – so sagt Jesus – einem „Senfkorn“, und das ist eines
der kleinsten Samenkörner überhaupt. Doch erstaunlich: Jesus schreibt
diesem Glauben wunderbare Wirkungen zu. „Ihr könnt mit diesem
Glauben“, sagt er den Aposteln, „einen Maulbeerbaum, der als
besonders fest und tief verwurzelt gilt, ins Meer pflanzen und ihn gegen
seine Natur dort weiterwachsen lassen.“
Ein groteskes Bild, das
selbstverständlich nicht wörtlich genommen werden will, dass uns aber
gerade deshalb fesselt und zum Nachdenken bringt. Echter Glaube ist
stark, auch wenn er – vom Menschen hergesehen – so winzig ist wie ein
Senfkorn. Und zwar ist er deswegen stark, weil er nicht nur eine
irdisch-menschliche Angelegenheit ist, sondern in den Bereich Gottes
vorstößt.
„Wenn ihr Glauben hättet wie ein
Senfkorn…“
Keine Drohung, sondern Ermutigung! Und
ungemein tröstlich! Mein/unser Glaube, wenn auch nur so groß wie ein
Senfkorn, reicht aus, ist genug. Gott kann damit etwas anfangen. Der
„kleine Finger“ meines Glaubens – Gott hingehalten – mehr braucht‘s
nicht und Gott kann viel daraus machen.
Liebe Schwestern und Brüder!
Glaubend verbindet sich der Mensch mit
Gott. Er macht es wie das Kind auf unserem Bild. Er schaut nicht primär
auf seine „Kleinheit“, sondern auf die Größe und Güte Gottes. Er lässt
sich nicht entmutigen von der Einsicht, dass dies oder jenes „bei
Menschen unmöglich ist“, sondern vertraut der Stimme seines Herzens,
die ihm sagt, „dass bei Gott alles möglich ist“ (vgl. Mt 19, 26).
Deshalb ist der Gläubige ein Optimist,
der immer wieder etwas zu tun wagt, das einem Sprung ins Ungewisse
gleicht. Dabei ist er ebenso sicher wie das Kind auf unserem Bild, dass
er nicht ins Leere fällt, sondern von der Vorsehung Gottes aufgefangen
wird.
Liebe Schwestern und Brüder!
Der wahrhaft Gläubige wartet also nicht,
bis sein Glaube für ein Leben nach dem Evangelium „groß genug“ ist,
sondern beginnt – wie es Jesus es heute im Evangelium empfiehlt – mit
einem kleinen Glauben zu leben und zu handeln, in der Zuversicht, dass
Gott ihm zur rechten Zeit schenken wird, was er aus eigener Kraft nicht
schaffen kann.
In einer jüdischen Anekdoten-Sammlung
gibt es zu unserem Bild und zum Thema „Glauben und Vertrauen“ eine
makabre Geschichte. – Ein jüdischer Handwerker, der es in seiner Jugend
und auch später im Leben schwer gehabt hat, bringt eines Tages seinen
kleinen Sohn in eine ähnliche Situation, wie sie unser Bild zeigt, und
fordert ihn auf: Spring in meine Arme! Als der Junge losspringt, zieht
der Vater die Arme zurück und lässt das Kind auf den Boden fallen, wo es
sich verletzt und in Tränen ausbricht. – Als ihn die Umstehenden wegen
seiner Herzlosigkeit zur Rede stellen, antwortet der Vater: „Das
gehört zur Erziehung. Der Junge muss lernen, dass man im Leben niemand
trauen darf, mag er noch so nah mit einem verwandt sein und sich noch so
freundlich gebärden.“
Nicht wahr, eine schlimme
Lebenseinstellung! Sie mag auf dem Hintergrund vieler
Enttäuschungen, die dieser Mann erlebt hat, verständlich sein. Trotzdem
ist sie in ihrem Pessimismus, der alles vergiftet, lebensfeindlich – und
gottesfeindlich. Man kann mit ihr weder leben noch sterben.
Liebe Schwestern und Brüder!
Bitten wir Gott, dass er uns einen
wenigstens senfkorn-großen Glauben schenke, damit wir in den Abgründen,
die uns gelegentlich bedrohen, nicht nur die bodenlose Schwärze sehen,
sondern auch die Umrisse seiner gütigen Hände.
Und möge er uns eine Erfahrung machen
lassen, die Rainer Maria Rilke einmal in einem Herbstgedicht so
beschrieben hat:
„Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.
Und sieh dir andre an: es ist in allen. Und doch ist Einer, welcher
dieses Fallen unendlich sanft in seinen Händen hält.“
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