Ein Vogel lag auf
seinem Rücken, beide Beine starr nach oben gegen den Himmel gerichtet.
Ein anderer Vogel kam vorüber und fragte verwundert: Was ist denn mit
dir los? Was machst du da?
Oh, antwortete der
Vogel, das muss ich tun. ich halte den Himmel. Wenn ich meine Beine
zurückziehe und loslasse, dann stürzt der Himmel ein und alle Menschen
kommen um.
Kaum hatte er das
gesagt, da löste sich ein Blatt vom nahen Baum und fiel leise raschelnd
zur Erde. Der Vogel erschrak, drehte sich um und flog eilends davon. Der
Himmel aber blieb, wo er war und stürzte nicht ein.
Nicht wahr, der Vogel
überschätzt sich erheblich. Er nimmt sich zu wichtig. Er spielt eine
Rolle, die ihm gar nicht angemessen ist. Ein fallendes Blatt genügt, um
dem Wichtigtuer Angst einzujagen und ihm zu zeigen, wie die Verhältnisse
wirklich sind.
„Hochmut kommt vor dem Fall“,
könnte man diese kleine Vogelgeschichte auch überschreiben. Auch das
Wort Jesu aus dem heutigen Evangelium passt zu dem Gehabe des kleinen
Vogels: „Wer sich selbst erhöht, wird
erniedrigt.“
Ob wir nicht auch immer wieder einmal wie
dieser Vogel sind: hochmütig, stolz, überheblich? Und vergessen wir
nicht oft, wer wir in Wahrheit sind, wo von Gott her unser Platz ist und
was wir zu tun haben?
Wenn ich mehr scheine als ich tatsächlich
bin, dann lebe ich nicht mehr in der Wahrheit. Ich mache mir und anderen
etwas vor. Wenn ich mich stolz als den Mittelpunkt der Welt betrachte,
dann verliere ich die Orientierung und jedes Maß.
Das Gegenteil von
Überheblichkeit und Stolz ist Demut.
Vom heiligen Einsiedler
Antonius stammt folgendes Wort über die Demut: „Ich sah alle Schlingen des bösen Feindes über die Erde ausgebreitet. Da
seufzte ich und fragte: „Wer kann ihnen entrinnen? Eine Stimme sagte zu
mir: die Demut!“
In der christlichen
Überlieferung und Frömmigkeit spielt die Demut eine bedeutende Rolle.
Die Demut gilt als eine
der Haupttugenden.
Jeder Christ ist
aufgefordert, sich um diese Tugend zu bemühen.
Doch das Wort „Demut“ und das, was
wir gewöhnlich damit assoziieren, hat heute für viele keinen guten
Klang. Es hat eher einen negativen Beigeschmack. Es löst mehr Unbehagen
und Abwehr aus, als dass es anziehend wäre und etwas Erstrebenswertes.
Kein Wunder, denn mit der Demut ist auch
schon allerhand Schindluder getrieben worden. Sie wurde gebraucht oder
besser gesagt missbraucht, um Menschen klein und zahm zu halten,
einzuengen, sie besser manipulieren zu können oder um Eigeninitiative
und Selbständigkeit zu unterdrücken.
Ja, das Wort Demut ist in Verruf geraten.
Denn das, was unter diesem Namen manchmal praktiziert wurde (auch in
Kloster- und Kirchenkreisen) und was mit Berufung auf die Demut manchmal
verlangt wurde (da und dort auch von Oberen oder Oberinnen), hat nicht
mehr viel mit dem zu tun, was Demut wirklich ist.
Ich finde es sehr schade, dass die Tugend
der Demut an Faszination und Wert so stark eingebüßt hat. Denn wir
laufen in Gefahr, einen kostbaren Schatz zu verlieren und eine wichtige
Lebenshilfe zu verspielen.
Wahre Demut ist gar nichts Künstliches
und nichts Gemachtes. Sie hat nichts zu tun mit Kriecherei und
Selbstverachtung. Sie ist keineswegs etwas für Weicheier oder gutmütige
Trottel.
Eine der besten und
tiefsinnigsten Definitionen von Demut stammt von Theresa von Avila,
von einer Frau, die gewiss nicht auf verkehrte Weise, nämlich buckelig
und kriecherisch, demütig war.
Theresa von Avila hat ja
gegen den Widerstand von kirchlichen Oberen den Karmeliterorden erneuert
und viele Klöster gegründet. Sie stand zu ihrer Überzeugung auch bei
Widerstand und Verfolgung. Theresa von Avila war eine selbstbewusste,
aufrechte, mutige Frau.
Und doch – oder gerade
deswegen – war Demut für sie ein Thema.
Theresa von Avila
sagt: „Demütig
sein heißt: in der Wahrheit sein.“
In der Wahrheit ist ein
Mensch, der weiß, wer er ist und was er kann und gleichzeitig aber auch
zu seinen Grenzen und Schwächen steht.
In der Wahrheit sein heißt auch, die
Grenzen und Schwächen anderer Menschen kennen und annehmen ohne daran
kaputt zu gehen, aber auch ohne die Hände in den Schoß zu legen, ohne zu
resignieren und alles über sich ergehen und mit sich machen zu lassen.
„Demütig sein heißt: in der Wahrheit
sein.“
Welch eine kraftvolle, befreiende
Haltung! Es geht nicht darum, sich klein zu machen oder minderwertig von
sich zu denken. Es geht vielmehr darum, sich nicht stolz über andere zu
erheben. Es geht darum, nicht voll Verachtung auf andere herabzuschauen.
Es geht darum, sich einzuordnen in Gottes Liebesordnung, die kein Oben
und Unten kennt.
Das ist nicht Schwäche, sondern Stärke.
Das engt nicht ein, sondern macht frei. Solche Demut lässt keinen Buckel
wachsen, sondern gibt Boden unter die Füße und richtet auf.
„Demütig sein heißt: in der Wahrheit
sein.“
Weder der, der sich selber kleiner macht,
als er ist, noch der, der meint größer oder bedeutender zu sein als
andere, ist in der Wahrheit.
Wirklich demütig ist, wer es wagt, sich
selber mit allen Begrenzungen und Schwächen den anderen zuzumuten und
gleichzeitig seine Stärken, seine Fähigkeiten und Möglichkeiten mit
ihnen zu teilen.
In dem Wort Demut steckt das Wort „Mut“.
Demut ist der Mut zur eigenen Wahrheit, der Mut, sich zu sich selbst zu
bekennen. Wo dieser Mut fehlt, da müssen Lüge, Prahlerei und Stolz in
die Bresche springen, um Angst und Unsicherheit zu überdecken.
„Demütig sein heißt: in der Wahrheit
sein."
Von Papst Johannes
XXIII. wird überliefert, dass er, als er mit der Last seines Amtes fast
nicht mehr fertig wurde, zu sich selbst sagte: „Giovanni, nimm dich nicht so wichtig. Wer führt die Kirche, du oder der
heilige Geist?“
„Nimm dich nicht so wichtig!“
In dieser Bemerkung leuchtet die Demut dieses bedeutenden und guten
Mannes auf. Er hat sich ins Bewusstsein gerufen, wer er ist vor Gott und
sich auf Amt und Würden nichts eingebildet, noch je andere spüren
lassen, dass er das Sagen hat, am Drücker ist oder am längeren Hebel
sitzt.
Demütig ist der Mensch, der weiß, dass er
letztlich nicht aus sich selbst ist und lebt, sondern, dass dieses Leben
mit all seinen Möglichkeiten Geschenk ist.
Demütig ist ein Mensch, der noch bitten
und danken kann. Demütig ist ein Mensch, der weiß, wie liebebedürftig,
gabebedürftig, gnadenbedürftig er ist.
Das macht gütig, großzügig, barmherzig
und weit auch gegenüber anderen.
„Demütig sein heißt: in der Wahrheit
sein.“
In der folgenden kurzen Stille lade ich
Sie ein, sich vor Gott zu besinnen, welches die Wahrheit Ihres Lebens
ist. Und was es für Sie persönlich konkret bedeuten könnte, aus dieser
Wahrheit zu leben.
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