Zweite Lesung
Der Glaube für sich allein ist
tot, wenn er nicht Werke vorzuweisen hat
Lesung
aus dem Jakobusbrief
14Meine
Schwestern und Brüder, was nützt es, wenn einer sagt, er habe Glauben, aber es
fehlen die Werke? Kann etwa der Glaube ihn retten?
15Wenn ein
Bruder oder eine Schwester ohne Kleidung sind und ohne das tägliche Brot
16und einer von
euch zu ihnen sagt: Geht in Frieden, wärmt und sättigt euch!, ihr gebt ihnen
aber nicht, was sie zum Leben brauchen – was nützt das?
17So ist auch
der Glaube für sich allein tot, wenn er nicht Werke vorzuweisen hat.
18Aber es könnte
einer sagen: Du hast Glauben und ich kann Werke vorweisen; zeige mir deinen
Glauben ohne die Werke und ich zeige dir aus meinen Werken den Glauben.
Ist es Ihnen auch schon so
ergangen? Sie fragen einen Freund oder eine Freundin um Rat und er oder sie gibt
eine Antwort. Dann fragen sie in derselben Angelegenheit noch einmal einen
anderen Freund bzw. Freundin. Und er oder sie sagt genau das Gegenteil. – So was
kommt vor. Nicht nur im alltäglichen Leben. So was gibt es auch in der Bibel.
Da ist z. B. der Apostel
Paulus. Für ihn bedeutet der Glaube alles. Auf den Glauben kommt es an. An
Gott glauben ist hinsichtlich Rettung und Erlösung das Entscheidende. Die Werke
spielen bei ihm keine große, keine bedeutende Rolle. Durch Werke, so sagt
Paulus, wird niemand vor Gott gerecht. Vielmehr „gerecht gemacht aus Glauben,
haben wir Frieden mit Gott“ (Röm 5, 1ff).
Und da ist der Apostel Jakobus.
Bei ihm spielen die Werke eine große Rolle. Auf sie kommt es an. Der Glaube
allein reicht nicht. „Was nützt es“, so schreibt er, „wenn einer sagt, er habe
Glauben, aber es fehlen die Werke? Kann der Glaube ihn retten?“ (Jak 2, 14).
Glaube ohne Werke ist in seinen Augen ein toter Glaube.
Zwei Apostel und zwei ganz
unterschiedliche Auffassungen. Wer hat nun recht? Und an wen sollen wir uns
halten?
Nun, liebe Schwestern und
Brüder, wir wissen heute, dass der Römerbrief und der Jakobusbrief zu
verschiedenen Zeiten verfasst wurden. Da liegen drei oder sogar vier Jahrzehnte
dazwischen. Auch die Situation, in die die beiden Briefe hineingeschrieben
wurden, sind ganz unterschiedlich, ebenso der Adressatenkreis. – Von daher wird
manches verständlich. Und was auf den ersten Blick wie ein regelrechter
Widerspruch aussieht, das zeigt sich bei genauerem Hinsehen als eine durchaus
nachvollziehbare Entwicklung.
Paulus hatte es mit Gegnern
aus dem strengen Judentum zu tun. Diese glaubten, die strikte Befolgung des
Gesetzes verschaffe den Menschen Zugang zu Gott. Gewissenhafte Beobachtung der
Gebote bewirke die Erlösung des Menschen. Vom Halten der Gebote und vom Befolgen
des Gesetzes hängen demnach Heil und Rettung des Menschen ab. – Paulus sieht das
anders. Er widerspricht. Nein, sagt er, so zu denken, das würde bedeuten, alles
hängt vom Tun des Menschen ab. Doch Rettung und Erlösung sind Geschenk. Sie
können nicht verdient werden, beim besten Willen nicht und bei aller Anstrengung
nicht. Gott schenkt uns vielmehr seine Gnade, weil wir ihm wertvoll und wichtig
sind und weil er uns liebt. Das Einzige, was wir tun können, ist, ihm diese
Liebe zu glauben. Und dieser Glaube ist das, worauf es ankommt. Mehr braucht es
nicht. So Paulus.
Jakobus, Jahrzehnte später,
schreibt in eine ganz andere Situation und an ganz andere Menschen. Es waren
Menschen, die sich nicht mehr unbeugsam an das Gesetz und die Befolgung der
Gebote hielten, Menschen, die nicht mehr meinten, sich den Himmel verdienen zu
müssen. Wozu braucht es Werke, so dachten sie, wenn allein der Glaube selig
macht? Wozu das eigene Bemühen und die eigenen Anstrengungen, wenn am Ende
ohnehin alles von Gott gegeben wird?
Hier hakt Jakobus ein und macht
hinter diese Einstellung ein großes Fragezeichen. Und er stellt klar, dass es
nicht allein auf den Glauben ankommt, sondern auch auf die Werke. Denn was ist
das für ein Glaube, dem keine Taten folgen? Ist das überhaupt echter,
wirklicher, lebendiger Glaube? Oder ist solcher Glaube nicht vielmehr tot? So
Jakobus.
Liebe Schwestern und Brüder!
Was zählt und was rettet: Glaube oder Werke?
Die Frage ist falsch gestellt.
Paulus und Jakobus widersprechen sich nicht, sie ergänzen sich vielmehr.
Einerseits kann der Menschen sich die Gnade Gottes nicht verdienen. Heil und
Rettung und Erlösung sind und bleiben ein Geschenk. Da hat Paulus recht. Ob der
Glaube aber wirklich lebendig ist, das zeigt sich an den Taten, vor allem in der
Liebe. Und darauf legt Jakobus den Akzent. Echter Glaube wird immer auch Werke
hervorbringen. Er wird sich in Taten niederschlagen, er wird sich im Handeln
bewähren, er wird sich in einer christlichen Lebenspraxis äußern. Der Glaube
will, soll und muss in der Liebe wirksam werden. Ohne Werke ist er erstarrt,
unfruchtbar, wie tot. Es stimmt: An unseren Werken wird man erkennen, wes
Geistes Kind wir sind.
Glaube oder Werke? Einen
ausgezeichneten und treffenden Kommentar zu dieser Frage habe ich bei Angelus
Silesius gefunden. Er lautet: „Der Glaub‘ / ohn Lieb allein / (wie ich mich
wohl besinne) / ist wie ein hohles Fass / es klingt und hat nichts drinne.“
Glaube oder Werke? Es
braucht beides. Glaube und aus dem Glauben Handeln gehören zusammen. Sie sind
wie die zwei Seiten einer Medaille. Das eine geht nicht ohne das andere. Und so
gilt es, das eine zu tun ohne das andere zu lassen.
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