EVANGELIUM
Was Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen
+Aus
dem heiligen Evangelium nach Markus
2 Da
kamen Pharisäer zu ihm und fragten: Darf ein Mann seine Frau aus der Ehe
entlassen? Damit wollten sie ihm eine Falle stellen.
3 Er
antwortete ihnen: Was hat euch Mose vorgeschrieben?
4Sie
sagten: Mose hat erlaubt, eine Scheidungsurkunde auszustellen und die Frau aus
der Ehe zu entlassen.
5Jesus
entgegnete ihnen: Nur weil ihr so hartherzig seid, hat er euch dieses Gebot
gegeben.
6Am
Anfang der Schöpfung aber hat Gott sie als Mann und Frau geschaffen.
7Darum
wird der Mann Vater und Mutter verlassen,
8und
die zwei werden ein Fleisch sein. Sie sind also nicht mehr zwei, sondern
eins.
9Was
aber Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen.
10Zu
Hause befragten ihn die Jünger noch einmal darüber.
11Er
antwortete ihnen: Wer seine Frau aus der Ehe entlässt und eine andere
heiratet, begeht ihr gegenüber Ehebruch.
12Auch
eine Frau begeht Ehebruch, wenn sie ihren Mann aus der Ehe entlässt und
einen anderen heiratet.
13Da
brachte man Kinder zu ihm, damit er ihnen die Hände auflegte. Die Jünger
aber wiesen die Leute schroff ab.
14Als
Jesus das sah, wurde er unwillig und sagte zu ihnen: Lasst die Kinder zu
mir kommen; hindert sie nicht daran! Denn Menschen wie ihnen gehört das
Reich Gottes.
15Amen,
das sage ich euch: Wer das Reich Gottes nicht so annimmt, wie ein Kind,
der wird nicht hineinkommen.
16Und
er nahm die Kinder in seine Arme; dann legte er ihnen die Hände auf und
segnete sie.
„Was Gott verbunden hat,
das darf der Mensch nicht trennen.“
Starker Tobak. Die Botschaft hör
ich wohl. Aber wie sieht die Wirklichkeit aus?
Gott sei Dank gibt es noch Ehen,
die ein Leben lang halten.
Wenn ich mich in meiner
Verwandtschaft und in meinem Bekanntenkreis umschaue, dann sehe ich eine ganze
Reihe Eheleute, die durch dick und dünn beieinander geblieben sind und es in
Freud und Leid miteinander ausgehalten haben, Ehepaare, die das Ja-Wort vom
Traualtar wirklich „in Gesundheit und Krankheit, in guten und bösen Tagen“
durchgehalten und einander die Treue bewahrt haben. Leicht war’s bestimmt auch
nicht immer.
Auch hier in der Wallfahrtskirche
haben wir immer wieder Goldhochzeiten, diamantene und sogar eiserne Ehejubiläen.
Gewiss waren und sind auch diese
Eheleute nicht alle Engel.
Ich bin sicher, da es da auch ab
und zu Zoff gab, Aggressionen und Konflikte. Eine Ehe, wo das nicht vorkommt, wo
es keinen Streit und keine Auseinandersetzungen gibt, ist das überhaupt eine
Ehe?
Entscheidend ist und bleibt wohl
der Wille, den anderen immer wieder anzunehmen, so wie er ist, Geduld zu haben,
einander zu ertragen und immer wieder der Versöhnung Raum zu geben. Immer wieder
neu miteinander anfangen, weil und wie Gott selber immer wieder neu mit uns
anfängt.
Andererseits – die Spatzen
pfeifen es von den Dächern – sind Ehescheidungen heutzutage und hierzulande gang
und gäbe.
Jede dritte Ehe wird in
Deutschland geschieden. In den Städten oft schon jede zweite.
Von wegen: „Was Gott verbunden
hat, das soll der Mensch nicht trennen.“ – Fakt ist, dass für viele Menschen
eheliche Treue und dauerhafte Bindung nicht mehr umsetzbar und lebbar zu sein
scheinen. Sie heiraten nur noch standesamtlich, wenn überhaupt. Der Trend geht
eindeutig dahin, eher zwanglos und unverbindlich zusammenzuleben, selbst wenn
Kinder da sind.
Hier in Zell und Umgebung gibt es
zwar noch eine ganze Reihe kirchlicher Trauungen. Das Offenburger Tageblatt und
die Schwarzwälder Post berichten immer wieder davon. Aber insgesamt werden
kirchliche Trauungen seltener.
Andererseits zeigen Umfragen,
dass es bei jungen Menschen nach wie vor eine starke Sehnsucht nach dauerhafter
Partnerschaft und Ehe gibt. Gegenseitige Liebe und Treue stehen in den
Wunschlisten ganz oben.
Wie kommt es aber dazu, dass so
viele Ehen scheitern? Woher die hohen Scheidungsraten?
Erfahrene Therapeuten und
Eheberater sehen eine wesentliche Ursache dafür in der mangelhaften
Leidensfähigkeit. Liebe – so sagen sie – geht nicht ohne Leiden. Die Zusage „ich mag dich leiden“ verdeutlicht diese Erfahrung. Ich hab dich so gern,
dass ich auch an dir leiden kann. Einen Menschen lieben, schließt die
Bereitschaft ein, sich durch ihn auch belasten zu lassen.
„Was Gott verbunden hat,
das darf der Mensch nicht trennen.“
Man mag über die derzeitigen
Scheidungsraten lamentieren.
Man mag sich auch wundern, wie
schnell viele heutzutage den Partner wechseln und wie kurz oft die
„Lebensabschnitte“ sind.
Man mag auch darüber klagen, dass
Treue und Verlässlichkeit heute offensichtlich für viele ein Fremdwort geworden
ist.
Man mag darüber hinaus auch
bedauern, dass viele eine Wiederverheiratung zu Lebzeiten des früheren Partners
gar nicht mehr als Ehebruch verstehen.
Andererseits:
Haben viele Menschen in früheren Zeiten ihre Ehe nicht mehr oder weniger als
Pflicht erlebt? Sind viele Paare nicht aus gesellschaftlichen Konventionen
zusammengeblieben? Waren gerade Frauen früher nicht auf Gedeih und Verderb an
ihren Mann gebunden und von ihm abhängig? Die meisten hatten wohl – rein
wirtschaftlich gesehen – gar keine andere Wahl.
„Was Gott verbunden hat,
das darf der Mensch nicht trennen.“
Und was ist, wenn die „Chemie“
dauerhaft nicht mehr stimmt?
Was ist, wenn gemeinsame Wege
immer mehr zu einsamen Wegen werden? Was ist, wenn Liebe sich in Hass wandelt
und die Ehe zur „Hölle“ wird? Was, wenn die versprochene Treue gebrochen und die
Ehe gar einseitig zerstört wird?
Auch für die Kirche
ist es nicht einfach. Auch sie befindet sich seelsorglich in einem Dilemma.
Einerseits will sie und muss sie am Wort Jesus festhalten „Was Gott verbunden
hat, das darf der Mensch nicht trennen“, ebenso am Gebot Gottes „Du
sollst nicht die Ehe brechen!“
Andererseits sucht sie bei so
vielen zerrütteten Ehen und so viel Scheitern nach „pastoralen“ Wegen für die
Betroffenen, besonders auch für die Geschiedenen, die wieder geheiratet haben.
„Was Gott verbunden hat,
das darf der Mensch nicht trennen.“
Jesu klares Wort zur Ehescheidung
ist und bleibt ein Stachel im Fleisch. Da gibt es nichts zu beschönigen. Wir
müssen es mit allen Ecken und Kanten nehmen wie es ist. Gerade hier wird
deutlich, dass der Glaube nicht nur „Wellness“ und nicht zum Nulltarif zu haben
ist.
Jesus vertritt im heutigen
Evangelium keine Kuschelspiritualität, keine „religion light“. Auf die Aussage
der Pharisäer, Mose habe erlaubt eine Scheidungsurkunde auszustellen, antwortet
er: Ja, aber wisst ihr auch warum? „Nur weil ihr so hartherzig seid.“
Hartherzig ist
meines Erachtens, wer nur sich selbst sieht, seinen Vorteil, sein Glück, das
eigene Wohlergehen und wer ihm rücksichtslos hinterhergiert und wem die anderen,
die ihn bisher begleitet haben, egal sind.
Hartherzig ist,
wer sich vom Äußeren blenden lässt, andere am Schönheits- und Jugendideal misst
und dabei übersieht, dass auch bei ihm nicht alles Gold ist, was glänzt. –
Lieben heißt bekanntlich auch einwilligen, mit dem anderen alt zu werden.
Hartherzig ist
aber auch, wer den Splitter im Auge des anderen sieht, aber den Balken im
eigenen Auge nicht wahrnimmt, wer also andere verurteilt und sich zum
Moralapostel aufspielt.
Wer trotz langem und geduldigem
Ringen das Ende seiner Ehe erleben muss, wer die Wunden seines Scheiterns spürt,
die Verletzungen und Narben, dem sind gute Menschen zu wünschen, Menschen, die
nicht vorschnell den Stab brechen.
Und die Kirche sollte es auch
nicht tun und sich nicht abwenden. Warum? Weil Jesus es nicht tut. Er schreibt
niemanden ab. Er lässt niemanden allein. Er hat statt moralischer Entrüstung ein
verständnisvolles Wort, statt erhobenem Zeigefinger ein Herz, das sich erbarmt.
„Auch ich verurteile dich nicht!“
„Was Gott verbunden hat,
das darf der Mensch nicht trennen.“
Ehescheidung kann die Kirche
grundsätzlich nicht akzeptieren und Wiederverheiratung nach einer Scheidung
ebenfalls nicht, weil es der Botschaft Jesu widerspricht.
Ob sie aber im Einzelfall nicht
doch einen gütigen Umgang mit den Betreffenden erkennen lassen sollte und ein
Schlupfloch der Barmherzigkeit gewähren entsprechend dem Beispiel Jesu?
„Wer von euch ohne Sünde ist,
der werfe den ersten Stein“
(Joh 8, 7).
Es braucht in der Seelsorge das
gute Hinschauen auf die jeweilige Situation. Es braucht die Betrachtung jedes
einzelnen Falles. Und es braucht vor allem einfühlsame Begleitung – ohne dass
dabei die Weisung und Forderung Jesu im heutigen Evangelium zur Worthülse
verkommt. |