Exerzitien mit P. Pius

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Kraft in der Schwachheit

zur 2. Lesung im Jahreskreis, Lesejahr B; 2. Kor 12, 7 - 10

 

 

Zweite Lesung

Ich will mich meiner Schwachheit rühmen, damit die Kraft Christi auf mich herabkommt

Lesung

aus dem zweiten Brief des Apostels Paulus

an die Gemeinde in Korínth

Schwestern und Brüder!

7Damit ich mich wegen der einzigartigen Offenbarungen nicht überhebe, wurde mir ein Stachel ins Fleisch gestoßen: ein Bote Satans, der mich mit Fäusten schlagen soll, damit ich mich nicht überhebe.

8Dreimal habe ich den Herrn angefleht, dass dieser Bote Satans von mir ablasse.

9Er aber antwortete mir: Meine Gnade genügt dir; denn die Kraft wird in der Schwachheit vollendet. Viel lieber also will ich mich meiner Schwachheit rühmen, damit die Kraft Christi auf mich herabkommt.

10Deswegen bejahe ich meine Ohnmacht, alle Misshandlungen und Nöte, Verfolgungen und Ängste, die ich für Christus ertrage; denn wenn ich schwach bin, dann bin ich stark.

 

„Wer angibt, hat mehr vom Leben.“

Es gibt viele Situationen, in denen sich Menschen nach diesem Motto verhalten. Nicht nur am Stammtisch, auch bei Klassen- und Familientreffen, bei Wahlveranstaltungen, Vorstellungsrunden oder im Kollegenkreis.

Auch sonst wird gerne dick aufgetragen, die eigene Leistung herausgestellt, der Erfolg hervorgehoben und das Ego gestreichelt. Schauen wir nur in die Politik! Da sehen wir das fast jeden Tag.

Immer geht es ums Image, um Prestige und Anerkennung.

Immer geht es darum, Eindruck zu machen, groß herauszukommen und gut dazustehen. Mehr scheinen als sein.

Schwächen, Scheitern und Niederlagen werden versteckt oder gekonnt überspielt.

 

„Wer angibt, hat mehr vom Leben.“

In der Gemeinde von Korinth gab es offensichtlich auch „Angeber“: Leute, die sich wichtig machten, Leute, die sich etwas einbildeten auf ihre Herkunft, ihren Einsatz in der Gemeinde, ihre Begabungen, Leute, die sich ihrer geistlichen Erfahrungen und mystischen Erlebnisse rühmten.

Gleichzeitig versuchten sie, Paulus, den Gründer der Gemeinde, in seiner Abwesenheit verächtlich zu machen, ihn in Misskredit zu bringen, seine Autorität zu untergraben. Paulus nennt diese Leute, die ihn anfeinden „falsche Apostel“ oder auch ironisch „Über-Apostel“, „Super-Apostel“.

 

Eigentlich ist Angeben kindisch, lächerlich und abstoßend.

Auch Paulus ist Selbstlob und Angeberei zuwider.

Aber in seinem zweiten Brief an die Korinther, da fühlt Paulus sich gezwungen, dieses dumme Spiel, diese Prahlerei und Narretei einmal mitzumachen. Und er kann gut mithalten.

Er hat eine ganze Menge vorzuweisen:

 

„Sie sind Hebräer – ich auch. Sie sind Israeliten – ich auch. Sie sind Nachkommen Abrahams – ich auch. Sie sind Diener Christi – jetzt rede ich ganz unvernünftig – ich noch mehr.“

Dann fährt er fort: „Ich ertrug mehr Mühsal, war häufiger im Gefängnis, wurde mehr geschlagen, war oft in Todesgefahr. Fünfmal erhielt ich von Juden die neununddreißig Hiebe, dreimal wurde ich ausgepeitscht, einmal gesteinigt, dreimal erlitt ich Schiffbruch, eine Nacht und einen Tag trieb ich auf hoher See.“

Das ist nicht alles. Paulus schreibt weiter: „Oft auf Reisen, gefährdet durch Flüsse, gefährdet durch Räuber, gefährdet durch das eigene Volk, gefährdet durch Heiden, gefährdet in der Stadt, gefährdet in der Wüste, gefährdet auf dem Meer, gefährdet durch falsche Brüder. Ich erduldete Mühsal und Plage, durchwachte viele Nächte, ertrug Hunger und Durst, häufiges Fasten, Kälte und Blöße.

Um von allem anderen zu schweigen, weise ich noch auf den täglichen Andrang zu mir und die Sorgen für alle Gemeinden hin.“

 

Merken Sie, liebe Mitchristen, Paulus zählt gar nicht seine Stärken auf, sondern Gefahren und Leiden, Nöte und Strapazen, Ohnmachts- und Grenzerfahrungen.

 

Und dann erzählt Paulus noch ausführlich von einer Vision, die ihn bis in den dritten Himmel geführt und ins Paradies entrückt hat. Ein gewaltiges und überaus freudvolles Erlebnis, das sich sehen lassen kann und alle vergleichbaren Visionen und Offenbarungen in den Schatten stellt. Nicht zu toppen.

 

Aber genau an der Stelle, liebe Mitchristen, erfolgt ein Umschwung. Paulus wird still und nachdenklich.

Er schreibt: „Damit ich mich der einzigartigen Offenbarungen nicht überhebe, wurde mir ein Stachel ins Fleisch gestoßen: ein Bote Satans, der mich mit Fäusten schlagen soll, damit ich mich nicht überhebe.“

 

Man hat oft gerätselt, was es mit diesem „Stachel im Fleisch“, diesem „Boten Satans“, auf sich hat, der Paulus wie mit Fäusten schlägt. – War Paulus chronisch krank? Hatte er ein Augenleiden? Litt er an Migräne, Epilepsie, Nierenkoliken, an Depressionen oder sonst etwas? – Wir wissen es nicht. Im Grunde kann man nur darüber spekulieren.

 

Auf jeden Fall handelte es sich nicht um keine Kleinigkeit, sondern etwas Gravierendes, ein schlimmes und schmerzhaftes Übel.

 

Liebe Schwestern und Brüder!

Ich denke, es ist gar nicht so wichtig, genau zu wissen, was dem Apostel so schrecklich zugesetzt hat, was ihn so teuflisch gepiesackt und beeinträchtigt hat. Viel wichtiger und spannender ist es zu sehen, wie Paulus darauf reagiert hat und wie er damit umgegangen ist.

 

Wir haben es in der Lesung gehört: Paulus ruft Gott mehrmals und inständig um Hilfe an. Er fleht zu Gott, diese teuflische Sache, die ihn kolossal belastet und quält, von ihm zu nehmen.

Aber Paulus findet keine Erhörung, keine Erlösung, keine Heilung. Der Stachel bleibt im Fleisch. Der Satansbote drangsaliert ihn weiter.

 

Geht es uns nicht auch oft wie Paulus? Wir bitten Gott inständig in Angst und Leid, in Sorgen und Nöten. Aber wir werden anscheinend nicht erhört, jedenfalls nicht so wie wir es uns wünschen.

 

Paulus erkennt, wofür in seinem Fall der Stachel gut ist: Zweimal sagt er: „Damit ich mich nicht überhebe.“

Damit ich nicht abhebe, damit ich nicht stolz und hochmütig werde, damit ich auf dem Teppich bleibe, geerdet, demütig.

 

Dann bekommt Paulus eine Antwort, die auch für uns hilfreich und wegweisend sein kann. Sie lautet: „Meine Gnade genügt dir; denn sie erweist ihre Kraft in der Schwachheit.“

 

Dass die Gnade Gottes genügt, hat Paulus immer wieder erfahren. Er hat erfahren, dass Gott ihm in seiner Schwachheit beisteht. Er hat erfahren, dass seine Schwachheit sich in Kraft verwandelt. Er hat erfahren, dass aus seiner Schwachheit Mitgefühl erwächst, Rücksicht, Geduld und Güte.

 

Dass die Gnade genügt, liebe Schwestern und Brüder, darauf dürfen auch wir hoffen und vertrauen.

Allerdings, Gott hilft uns nicht immer, so wie wir es uns vorstellen. Er befreit uns nicht auf jeden Fall von Mühsal und Angst, von unseren Nöten und Sorgen. Auch wer an Gott glaubt, gehört nicht automatisch zu den Gewinnern und Siegern. Gott bewahrt nicht vor allem Leid, aber in allem Leid.

Er ist da. Er ist mittendrin. Und er sieht weiter. Er weiß, was für uns gut ist. Er schenkt seine Kraft, seine Gnade, seine Gegenwart.

 

Am Schluss der heutigen Lesung schreibt Paulus:

„Ich bejahe meine Ohnmacht, alle Misshandlungen und Nöte, Verfolgungen und Ängste, die ich für Christus trage. Denn wenn ich schwach bin, dann bin ich stark.“

 

Paulus hat gelernt, anzunehmen, was nicht zu ändern ist.

Er hat dahin gefunden, den Stachel im Fleisch zu akzeptieren und zum Unvermeidlichen ja zu sagen. Leicht war’s sicher nicht. Es ist ein langer und schmerzhafter Lernprozess.

 

Was dem Apostel wohl geholfen hat, seinen Stachel anzunehmen und zum Schweren und Leidvollen Ja zu sagen, sind die Worte „für Christus“. Paulus weiß, dass all sein Leiden ein Leiden mit und „für Christus“ ist, in seinem Dienst, in seiner Kraft.

Nicht mehr „warum“, sondern „wozu“, „wofür“. Auf einem Abreißkalender habe ich einmal gelesen: „Wer ein ‚Wofür‘ zu leben hat, erträgt fast jedes ‚Wie‘ ".

 

Liebe Schwestern und Brüder!

Wer angibt, hat nicht mehr vom Leben. „Eigenlob stinkt.“

Wer ja sagen kann, wer Glück und Unglück, Freude und Leid annehmen kann, der hat mehr vom Leben, dessen Leben ist auf einer guten Spur, dessen Leben vermag eher zu gelingen. Wer ja sagen kann, dessen Leben bekommt Sinn und Ziel.

 

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