Zweite Lesung
Ich will mich meiner
Schwachheit rühmen, damit die Kraft Christi auf mich herabkommt
Lesung
aus dem zweiten Brief des
Apostels Paulus
an die Gemeinde in Korínth
Schwestern und Brüder!
7Damit
ich mich wegen der einzigartigen Offenbarungen nicht überhebe, wurde mir
ein Stachel ins Fleisch gestoßen: ein Bote Satans, der mich mit Fäusten
schlagen soll, damit ich mich nicht überhebe.
8Dreimal
habe ich den Herrn angefleht, dass dieser Bote Satans von mir ablasse.
9Er
aber antwortete mir: Meine Gnade genügt dir; denn die Kraft wird in der
Schwachheit vollendet. Viel lieber also will ich mich meiner Schwachheit
rühmen, damit die Kraft Christi auf mich herabkommt.
10Deswegen
bejahe ich meine Ohnmacht, alle Misshandlungen und Nöte, Verfolgungen
und Ängste, die ich für Christus ertrage; denn wenn ich schwach bin,
dann bin ich stark.
„Wer angibt, hat mehr vom Leben.“
Es gibt viele Situationen,
in denen sich Menschen nach diesem Motto verhalten. Nicht nur am
Stammtisch, auch bei Klassen- und Familientreffen, bei
Wahlveranstaltungen, Vorstellungsrunden oder im Kollegenkreis.
Auch sonst wird gerne dick
aufgetragen, die eigene Leistung herausgestellt, der Erfolg
hervorgehoben und das Ego gestreichelt. Schauen wir nur in die Politik!
Da sehen wir das fast jeden Tag.
Immer geht es ums Image,
um Prestige und Anerkennung.
Immer geht es darum,
Eindruck zu machen, groß herauszukommen und gut dazustehen. Mehr
scheinen als sein.
Schwächen, Scheitern und
Niederlagen werden versteckt oder gekonnt überspielt.
„Wer angibt, hat mehr vom
Leben.“
In der Gemeinde von
Korinth gab es offensichtlich auch „Angeber“: Leute, die sich wichtig
machten, Leute, die sich etwas einbildeten auf ihre Herkunft, ihren
Einsatz in der Gemeinde, ihre Begabungen, Leute, die sich ihrer
geistlichen Erfahrungen und mystischen Erlebnisse rühmten.
Gleichzeitig versuchten
sie, Paulus, den Gründer der Gemeinde, in seiner Abwesenheit verächtlich
zu machen, ihn in Misskredit zu bringen, seine Autorität zu untergraben.
Paulus nennt diese Leute, die ihn anfeinden „falsche Apostel“
oder auch ironisch „Über-Apostel“, „Super-Apostel“.
Eigentlich ist Angeben
kindisch, lächerlich und abstoßend.
Auch Paulus ist Selbstlob
und Angeberei zuwider.
Aber in seinem zweiten
Brief an die Korinther, da fühlt Paulus sich gezwungen, dieses dumme
Spiel, diese Prahlerei und Narretei einmal mitzumachen. Und er kann gut
mithalten.
Er hat eine ganze Menge
vorzuweisen:
„Sie sind Hebräer – ich
auch. Sie sind Israeliten – ich auch. Sie sind Nachkommen Abrahams – ich
auch. Sie sind Diener Christi – jetzt rede ich ganz unvernünftig – ich
noch mehr.“
Dann fährt er fort:
„Ich ertrug mehr Mühsal, war häufiger im Gefängnis, wurde mehr
geschlagen, war oft in Todesgefahr. Fünfmal erhielt ich von Juden die
neununddreißig Hiebe, dreimal wurde ich ausgepeitscht, einmal
gesteinigt, dreimal erlitt ich Schiffbruch, eine Nacht und einen Tag
trieb ich auf hoher See.“
Das ist nicht alles.
Paulus schreibt weiter: „Oft auf Reisen, gefährdet durch Flüsse,
gefährdet durch Räuber, gefährdet durch das eigene Volk, gefährdet durch
Heiden, gefährdet in der Stadt, gefährdet in der Wüste, gefährdet auf
dem Meer, gefährdet durch falsche Brüder. Ich erduldete Mühsal und
Plage, durchwachte viele Nächte, ertrug Hunger und Durst, häufiges
Fasten, Kälte und Blöße.
Um von allem anderen zu
schweigen, weise ich noch auf den täglichen Andrang zu mir und die
Sorgen für alle Gemeinden hin.“
Merken Sie, liebe
Mitchristen, Paulus zählt gar nicht seine Stärken auf, sondern Gefahren
und Leiden, Nöte und Strapazen, Ohnmachts- und Grenzerfahrungen.
Und dann erzählt Paulus
noch ausführlich von einer Vision, die ihn bis in den dritten Himmel
geführt und ins Paradies entrückt hat. Ein gewaltiges und überaus
freudvolles Erlebnis, das sich sehen lassen kann und alle vergleichbaren
Visionen und Offenbarungen in den Schatten stellt. Nicht zu toppen.
Aber genau an der Stelle,
liebe Mitchristen, erfolgt ein Umschwung. Paulus wird still und
nachdenklich.
Er schreibt: „Damit ich
mich der einzigartigen Offenbarungen nicht überhebe, wurde mir ein
Stachel ins Fleisch gestoßen: ein Bote Satans, der mich mit Fäusten
schlagen soll, damit ich mich nicht überhebe.“
Man hat oft gerätselt, was
es mit diesem „Stachel im Fleisch“, diesem „Boten Satans“,
auf sich hat, der Paulus wie mit Fäusten schlägt. – War Paulus chronisch
krank? Hatte er ein Augenleiden? Litt er an Migräne, Epilepsie,
Nierenkoliken, an Depressionen oder sonst etwas? – Wir wissen es nicht.
Im Grunde kann man nur darüber spekulieren.
Auf jeden Fall handelte es
sich nicht um keine Kleinigkeit, sondern etwas Gravierendes, ein
schlimmes und schmerzhaftes Übel.
Liebe Schwestern und
Brüder!
Ich denke, es ist gar
nicht so wichtig, genau zu wissen, was dem Apostel so schrecklich
zugesetzt hat, was ihn so teuflisch gepiesackt und beeinträchtigt hat.
Viel wichtiger und spannender ist es zu sehen, wie Paulus darauf
reagiert hat und wie er damit umgegangen ist.
Wir haben es in der Lesung
gehört: Paulus ruft Gott mehrmals und inständig um Hilfe an. Er fleht zu
Gott, diese teuflische Sache, die ihn kolossal belastet und quält, von
ihm zu nehmen.
Aber Paulus findet keine
Erhörung, keine Erlösung, keine Heilung. Der Stachel bleibt im Fleisch.
Der Satansbote drangsaliert ihn weiter.
Geht es uns nicht auch oft
wie Paulus? Wir bitten Gott inständig in Angst und Leid, in Sorgen und
Nöten. Aber wir werden anscheinend nicht erhört, jedenfalls nicht so wie
wir es uns wünschen.
Paulus erkennt, wofür in
seinem Fall der Stachel gut ist: Zweimal sagt er: „Damit ich mich
nicht überhebe.“
Damit ich nicht abhebe,
damit ich nicht stolz und hochmütig werde, damit ich auf dem Teppich
bleibe, geerdet, demütig.
Dann bekommt Paulus eine
Antwort, die auch für uns hilfreich und wegweisend sein kann. Sie
lautet: „Meine Gnade genügt dir; denn sie erweist ihre Kraft in der
Schwachheit.“
Dass die Gnade Gottes
genügt, hat Paulus immer wieder erfahren. Er hat erfahren, dass Gott ihm
in seiner Schwachheit beisteht. Er hat erfahren, dass seine Schwachheit
sich in Kraft verwandelt. Er hat erfahren, dass aus seiner Schwachheit
Mitgefühl erwächst, Rücksicht, Geduld und Güte.
Dass die Gnade genügt,
liebe Schwestern und Brüder, darauf dürfen auch wir hoffen und
vertrauen.
Allerdings, Gott hilft uns
nicht immer, so wie wir es uns vorstellen. Er befreit uns nicht auf
jeden Fall von Mühsal und Angst, von unseren Nöten und Sorgen. Auch wer
an Gott glaubt, gehört nicht automatisch zu den Gewinnern und Siegern.
Gott bewahrt nicht vor allem Leid, aber in allem Leid.
Er ist da. Er ist
mittendrin. Und er sieht weiter. Er weiß, was für uns gut ist. Er
schenkt seine Kraft, seine Gnade, seine Gegenwart.
Am Schluss der heutigen
Lesung schreibt Paulus:
„Ich bejahe meine
Ohnmacht, alle Misshandlungen und Nöte, Verfolgungen und Ängste, die ich
für Christus trage. Denn wenn ich schwach bin, dann bin ich stark.“
Paulus hat gelernt,
anzunehmen, was nicht zu ändern ist.
Er hat dahin gefunden, den
Stachel im Fleisch zu akzeptieren und zum Unvermeidlichen ja zu sagen.
Leicht war’s sicher nicht. Es ist ein langer und schmerzhafter
Lernprozess.
Was dem Apostel wohl
geholfen hat, seinen Stachel anzunehmen und zum Schweren und Leidvollen
Ja zu sagen, sind die Worte „für Christus“. Paulus weiß, dass all
sein Leiden ein Leiden mit und „für Christus“ ist, in seinem
Dienst, in seiner Kraft.
Nicht mehr „warum“,
sondern „wozu“, „wofür“. Auf einem Abreißkalender habe ich einmal
gelesen: „Wer ein ‚Wofür‘ zu leben hat, erträgt fast jedes ‚Wie‘ ".
Liebe Schwestern und
Brüder!
Wer angibt, hat nicht mehr
vom Leben. „Eigenlob stinkt.“
Wer ja sagen kann, wer
Glück und Unglück, Freude und Leid annehmen kann, der hat mehr vom
Leben, dessen Leben ist auf einer guten Spur, dessen Leben vermag eher
zu gelingen. Wer ja sagen kann, dessen Leben bekommt Sinn und Ziel.
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