Während seines Aufenthaltes in Paris kam der Dichter Rainer Maria Rilke
täglich an einer Bettlerin vorbei. Sie saß stumm und scheinbar
teilnahmslos an einer Gartenmauer. Hatte einer ein Geldstück in ihre
Hand gelegt, ließ sie die Münze rasch in ihrer Manteltasche
verschwinden.
Sie
dankte für keine Gabe und sah zu keinem Geber auf.
Ihrem
Schicksal ergeben hockte sie Tag für Tag an der Mauer.
Eines
Tages bleibt Rilke mit seiner Freundin bei der Bettlerin stehen. Und er
legt in die Hand der Frau – eine Rose.
Da
geschieht etwas, was noch nie geschehen war: die Bettlerin sieht auf,
ergreift die Hand des Dichters und küsst sie.
Dann
geht sie mit der Rose davon.
Am
nächsten Tag saß die Frau nicht mehr auf ihrem gewohnten Platz. So blieb
es am zweiten und dritten Tag. So blieb es eine ganze Woche lang.
Verwundert fragte die Freundin den Dichter nach der beängstigenden
Wirkung der Gabe. Rilke sagte:
„Man
muss dem Herzen schenken, nicht nur der Hand.“
Noch
etwas anderes interessierte sie: Wovon denn die Bettlerin all die Tage
gelebt habe, da ihr niemand Geld in die Hand legte.
Rilke
antwortete: „Von der Rose.“
Wovon
lebt der Mensch?
Doch
nicht allein vom Geld und vom Bankkonto, nicht allein von der Arbeit und
vom Erfolg. Wir brauchen das Verständnis des anderen. Wir brauchen seine
Zeit und die Zeichen der Zuneigung:
einen
freundlichen Gruß, einen Händedruck – die Rose.
Mark
Twain hat einmal gesagt:
„Von
einem guten Kompliment kann ich zwei Monate leben.“
Wovon
lebt der Mensch?
Die
Werbung will uns jeden Tag einreden, was wir brauchen und weckt
Bedürfnisse.
Dabei
wissen wir eigentlich genau: All diese Dinge genügen nicht.
Wenn
Werte wie Freundschaft, Treue, Liebe und Vertrauen fehlen, kann man noch
so viel haben und sich noch so viel leisten können, man wird doch nicht
zufrieden und glücklich sein.
Viele
reiche Leute sind arme Leute mit viel Geld.
Wie wahr
das ist, zeigt die Tatsache, dass die Selbstmordziffern in Zeiten des
Überfluss und in den Ländern des Wohlstands am höchsten sind.
„Ich habe es satt, nur satt zu sein und sonst nichts“,
so der Ausspruch eines
Jugendlichen.
Wovon
lebt der Mensch?
Nicht nur
von der Erfüllung seiner äußeren Bedürfnisse.
Die
meisten in unserem Land sind gut versorgt. Es gibt kaum noch einen
Brothunger.
Man
braucht aber nicht viel Erfahrung, um zu wissen, wie viel Ratlosigkeit,
Angst und seelische Not sich hinter den Wohlstandsfassaden verbirgt.
Sinnleere
breitet sich aus, seelische Erkrankungen nehmen zu, Depressionen,
Burnout usw.
Die
Unzufriedenheit wächst, Einsamkeit, Öde, Langeweile,
trotz
aller Freizeitangebote und Ablenkungsmöglichkeiten,
trotz
aller Glücksversprechungen und Heilsangebote.
Bei
Petrus Ceelen habe ich folgendes Gebet gefunden:
„Wir
kennen keine Armut, aber wir sind arm:
arm an
Freude, arm an Lebensinhalt, arm an Idealen.
Wir
essen uns jeden Tag satt, aber wir leiden an Hunger:
Hunger
nach Verständnis, nach Geborgenheit, nach Zärtlichkeit.
Wir
sind übersättigt mit materiellen Gütern,
aber
sie können unseren Hunger nicht stillen.
Wir
ersticken am Überfluss, aber innerlich sind wir leer.
Gott,
wir haben alles, aber so vieles fehlt uns.“
Ja, wir
verhungern – trotz aller Jagd nach Schnäppchen, trotz Schnellimbiss und
Supermarkt, trotz Fastfood und Überschuss an Lebensmitteln.
Was
fehlt, sind Freunde, die zuhören können; Eltern, die ihren Kindern nicht
nur Taschengeld geben, sondern auch Zeit schenken; Verwandte, die für
ihre alten Angehörigen Geduld und Verständnis aufbringen.
Auf einem
Kalenderblatt habe ich einmal gelesen:
„Jeder
Mensch – ob jung oder alt - sehnt sich nach einem Du, nach jemandem, der
ihm sagt und zeigt, wie viel er ihm wert ist.“
Wovon
lebt der Mensch?
Jesus sagt: „Der Mensch lebt nicht vom Brot
allein, sondern von jedem Wort, das aus dem Munde Gottes kommt.“
Wovon
lebt der Mensch?
Jesus geht noch weiter. Er sagt:
„Müht euch
nicht nur um die Speise, die verdirbt, sondern um die Speise, die zum
ewigen Leben bleibt.“
Und
er geht noch weiter und sagt: „Ich bin das Brot
des Lebens. Wer zu mir kommt, wird nicht mehr hungern und wer an mich
glaubt, wird nie mehr Durst haben.“
Und
Jesus geht noch weiter und sagt – und das klingt nicht nur in den Ohren
der Zuhörer damals unerhört, sondern auch heute: „Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der hat das
ewige Leben. Und ich werde ihn auferwecken am letzten Tag.“
Ein
Tischgebet, das ich bei Kursen gern spreche, bringt, meine ich, sehr
schön und treffend zum Ausdruck, worum es geht:
„Herr
und Bruder, Jesus Christus!
Wir
Menschen bleiben Suchende und Hungrige. Kein Angebot der Welt erfüllt
uns ganz. Keine Mahlzeit sättigt uns für immer. Kein irdisches Glück
genügt uns. Sei du uns die Speise zum endgültigen Leben und führe uns
zum Gastmahl der ewigen Herrlichkeit.“
Jesus
will unsere tiefste Sehnsucht nach Leben stillen. Er lädt uns ein an
seinen Tisch.
Er selbst
ist die Gabe Gottes, die uns reich und froh macht.
Mehr als
irgendwo gilt von der Eucharistie: „Ich bin bei euch alle Tage.“
Ja noch mehr: „Du in mir – ich in Dir!“
Welche
Nähe! Welche Freude, welches Glück geht da von ihm aus!
Jesus
selbst kommt zu uns, schenkt sich uns im Brot des Lebens! Lassen wir uns
von ihm einladen und erfüllen!
Es ist
ein ganz kurzes, aber tiefes Glaubensbekenntnis, wenn wir beim
Kommunionempfang auf den Zuspruch: „Leib Christi“ mit „Amen“
antworten, also „ja“ sagen.
„Leib Christi!“ „Ja, ich glaube.“
Meine
Augen sehen Brot. Doch der Glaube bekennt:
„Du bist hier. Du gibst dich mir. Du in mir – ich in Dir.“
Ich danke
Dir, Jesus, und ich bitte Dich:
Mach mich
immer mehr eins mit Dir!
Lass mich
mit dir verbunden sein und bleiben!
Wandle
mich in deiner Liebe um!
Mache
mich selber zu einem Menschen, der Brot ist für andere! Mache mich zu
einem Werkzeug Deines Friedens und zu einem Boten Deiner Liebe!
Und lass
mich und lass uns alle einst zum Gastmahl des ewigen Lebens gelangen,
wo Du
unseren Hunger stillst mit Deiner immerwährenden Liebe. Amen |