Die
Ausgangssituation:
Johannes der Täufer steht mit zwei Jüngern am Ufer des Jordan.
Jesus
geht vorüber.
Was
geschieht?
Der
Täufer richtet seinen Blick auf Jesus und sagt:
„Seht das Lamm Gottes!“
Wie
reagieren die Jünger?
Sie
sagen kein Wort.
Aber es passiert etwas Entscheidendes:
Die
beiden Johannesjünger lösen sich von ihrem bisherigen Meister und gehen
hinter Jesus her.
Da
wendet sich Jesus um.
Sie
blicken auf Jesus und er blickt auf sie.
Und
dann wird’s spannend:
Jesus
fragt:
„Was wollt ihr?“
Es ist das erste Mal, dass Jesus im Johannesevangelium spricht. Und
seine ersten Worte sind diese: „Was wollt ihr?“
Genauer übersetzt fragt Jesus:
„Was sucht ihr? Was ersehnt ihr?“
Das
ist offenbar die erste Frage, die an den gerichtet werden muss, der zu
Jesus kommt, über die er sich klar werden muss.
Nach
einem Wort von Nelly Sachs beginnt alles mit der Sehnsucht. Jeder hat
Wünsche, Erwartungen, Hoffnungen.
Jesus
nimmt alle Erwartungen und Sehnsüchte ernst. Aber er führt den, der zu
ihm kommt, von den vorläufigen und vordergründigen Wünschen tiefer.
Er konfrontiert ihn mit der Frage:
„Worauf richtet sich deine tiefste Sehnsucht?
Worum geht es dir letztlich?“
„Was sucht ihr?“
Auf was seid ihr aus? Was ersehnt ihr euch?
Verdutzt, vielleicht auch verlegen, fällt den beiden keine Antwort ein.
Stattdessen stellen sie eine Gegenfrage:
„Meister, wo wohnst du?“
Wenn die beiden Jesus fragen:
„Meister, wo wohnst du?“ dann geht es ihnen gar nicht um die
Adresse oder äußere Lebensumstände, sondern sie wollen Jesus persönlich
kennenlernen.
Die beiden wollen vom Herrn wissen:
Wie lebst du? Woher bist du? Wer bist du? Vielleicht auch: Wo bist du zu
Hause? Wo bist du beheimatet? Worauf baust du? Worauf vertraust du?
Die Antwort Jesu überrascht.
Er hält ihnen keinen Vortrag. Er gibt ihnen auch keinen Flyer in die
Hand oder ein Buch, wie wir es heute vielfach tun, wenn jemand zu uns
kommt. „Da, nimm! Lies das mal! Dann weißt du
Bescheid.“
Jesus sagt ganz einfach:
„Kommt und seht!“
Schaut
selber! Lebt mit mir! Dann werdet ihr nicht nur hören, sondern erleben,
wo ich wohne, wo ich verwurzelt bin, woraus ich lebe, woher ich bin, wer
ich bin.
Keine
Erklärungen, keine Theorien, keine Dogmen, keine Moral. Nichts
dergleichen. Stattdessen die höchst persönliche Einladung: „Kommt und
seht!“ – Niemand soll blind glauben, sonder selber Erfahrungen
machen, sich überzeugen, finden.
Zu einer Zeit als die Christen noch eine Minderheit im römischen Reich
waren, wurde Bischof Ambrosius einmal gefragt, wie er es machen würde,
einen Heiden zu bekehren. Da hat er geantwortet:
„Ich würde ihn eine Zeitlang in mein Haus aufnehmen und
bei mir wohnen lassen.“
„Kommt und seht!“
Im persönlichen Beisammensein, gleichsam „bei Jesus zu Hause“
können auch die beiden Jünger ihn am besten kennenlernen und erfahren,
wer er wirklich ist.
„Kommt und seht, wo ich wohne!“
– Mit dieser Einladung sollen die Jünger erfahren, wo Jesus im tiefsten
beheimatet ist, wo er letztlich seinen Ursprung und seine Wurzeln hat.
Wir können sagen:
Im Geheimnis Gottes, im Vater, von dem er ausgegangen ist. Später wird
Jesus sagen: „Wer mich sieht, sieht auch den Vater. Ich und der Vater
sind eins.“ – Wie kein anderer kommt Jesus von Gott. Wie kein
anderer ist er Wohn- und Bleibe-Ort Gottes. In Jesus wohnt die ganze
Fülle der Gottheit.
Und
eben dort, im Vater, werden auch die Jünger Heimat finden können und
Heimat finden dürfen, wenn sie Jesus begegnen, auf ihn schauen, auf ihn
hören, mit ihm gehen, bei ihm bleiben und immer mehr in ihm bleiben.
„Und die sahen, wo er wohnte.“
Die
beiden Jünger nehmen die Einladung an. Sie gehen mit. Es wird nun nichts
darüber gesagt, was sie erlebt oder was sie mit Jesus gesprochen haben.
Was lernten sie kennen?
Seine Einstellung, seine Gesinnung, sein Wesen. Sie lernten zu leben wie
er. Und sie gewannen dabei seine Nähe, die Freundschaft mit Jesus. Im
Sein bei Ihm, im Bleiben bei ihm ging den beiden auf und sie nahmen mit
innerer Freude wahr: Jünger Jesu sein, das heißt: In Einheit und
Gemeinschaft mit dem Herrn zu leben, bemüht zu sein, immer mehr ein Herz
und eine Seele mit ihm zu werden und danach zu streben, das Sinnen
seines Herzens zum Sinnen des eigenen Herzens zu machen.
Am Ende dieses Berichtes
der Jüngerberufung nach dem Johannesevangelium stehen noch zwei
schlichte, aber doch aussagekräftige Bemerkungen:
Die erste:
„Sie blieben jenen Tag bei ihm.“
Kein
Wunder, dass sie bleiben. Sie sind fasziniert von seiner Ausstrahlung.
Sie fühlen sich angenommen, ernst genommen, bejaht und geliebt. Sie
haben gefunden, was sie suchen, den sie suchen, den, der ihnen Weg,
Wahrheit und Leben ist.
„Sie blieben jenen Tag bei ihm.“
Und
aus dem einen Tag werden 3 Jahre und ein ganzes Leben.
„Bleiben“
ist ein Schlüsselwort in den johanneischen Schriften.
Es bezeichnet an vielen Stellen das
Bleiben Jesu im Glaubenden und das Bleiben des Glaubenden in Jesus.
„Bleiben“
ist ein großes Thema bei Johannes.
„Bleibt in mir, dann bleibe ich in euch!“ „Bleibt in meiner Liebe!“
„Wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott und Gott bleibt in ihm.“
„Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht!“
Bleiben,
eine Bleibe haben, Geborgenheit und Sicherheit erfahren ist ein
Urbedürfnis des Menschen. Die echte Bleibe ist für den Menschen nicht
diese Welt, nicht das irdische Leben. Wir haben hier keine dauerhafte
Bleibe. Niemand bleibt hier. Unsere wirkliche Bleibe ist Gott und ist
jetzt schon in Gott.
Die zweite
schlichte Bemerkung am Ende dieser Perikope lautet:
„Es
war um die zehnte Stunde.“
Noch
nach Jahrzehnten weiß der Verfasser des Evangeliums die Stunde dieser
ersten Begegnung mit Jesus. Ein großer, ein bedeutender Augenblick war
das! Unvergesslich!
Selbst
im hohen Alter erinnert er sich genau, wann es war, wie es war. Ganz
tief hat es sich ihm eingeprägt. Wie Liebe auf den ersten Blick!
„Es
war um die zehnte Stunde.“
In
dieser kleinen Bemerkung des Evangelisten spüre ich das Gefühl der
Freude und des Dankes. Freude und Dankbarkeit, die ihn überkommen, wenn
er an jenen Tag und jene Stunde zurückdenkt. Eine Glücksstunde! Die
Gnadenstunde seines Lebens! – IHM begegnen, mit IHM sein, bei IHM sein,
seine Nähe erfahren, seine unmittelbare Gegenwart, das war es. Mit IHM
leben und immer mehr wie ER. Das füllte und erfüllte das Herz.
Wovon
das Herz voll ist, davon läuft bekanntlich der Mund über. Aus der
Begegnung entspringt Zeugnis, Zeugnis für Christus. Schon beginnt das
Fruchtbringen.
„Wir haben den Messias gefunden“,
sagt Andreas zu seinem Bruder Simon. Wer gefunden hat, kann andere zum
Suchen bringen.
„Und er führte ihn zu Jesus.“
– Der Berufene wird
sogleich selbst zum Rufenden und zum Wegbegleiter zu Christus. Berufung
zieht Kreise, schlägt Wellen. Philippus und Nathanael stoßen als Nächste
dazu und beginnen das Wagnis der Nachfolge.
Bin
ich, der ich Christi Namen trage, der ich getauft und gefirmt bin, ein
glühender, ein leidenschaftlicher Christ? Ist bei mir so etwas wie
Begeisterung für Gott, für Jesus und seine Sache, Glaubensfreude und
missionarischer Schwung?
Christen sind missionarische Menschen!
Ist
mir die Weitergabe des Glaubens ein Anliegen? Gebe ich Zeugnis von
meinem Glauben, nicht nur mit Worten, sondern im Beispiel, in der Tat?
Evangelisierung, Neuevangelisierung ist heute etwas vom
Allerwichtigsten. Dazu müssen wir nicht Priester sein oder einem Orden
angehören. Eltern und Großeltern sind die ersten und berufensten
Glaubensboten für ihre Kinder und Enkel.
Wie wäre es,
wenn die nächste Sitzung des Pfarrgemeinderates erst dann einberufen
würde, wenn jedes Mitglied – vom Pfarrer angefangen – einen dem Glauben
und der Kirche Fernstehenden „zu Christus geführt“ hat?
Wie wäre es,
wenn für eine Bischofsernennung nicht die Intelligenz, der Doktortitel
oder ob einer in Rom studiert hat wichtig wäre, sondern wenn unter den
Kandidaten der Glaubwürdigste im Christsein gewählt würde, derjenige,
der schon einmal einen Atheisten zum Glauben bewegt hat?
Jesus hat nicht gesagt:
Seid Hochschullehrer, sondern Glaubenszeugen!
Appelle helfen wenig. Druck bringt nichts. Theorien haben wir genug. Das
Zeugnis ist gefragt, das lebendige Beispiel.
Glauben entzündet sich am Glauben. Nur Ergriffene ergreifen!
Ein bedenkenswertes Wort lautet:
„Rede nur, wenn du gefragt wirst, aber lebe so,
dass du gefragt wirst!“