So scheint es auch heute im
Evangelium zu sein.
Da sind die Pharisäer und
Schriftgelehrten. Sie regen sich auf, weil die Jünger Jesu gewisse
Reinheitsvorschriften missachten. Und da ist Jesus, der ihnen – ebenfalls fast
zornentbrannt – eine „saftige“ Antwort gibt. – Eine spannungsgeladene Szene!
Doch lohnt sich die Aufregung auf
beiden Seiten überhaupt?
Ist das, worum es geht, nicht
recht belanglos? Und wen juckt das heute noch?
Die Sache, an der der Streit sich
entzündet, ist in der Tat nicht mehr unser Problem heute. Und doch legt Jesus
den Finger in eine Wunde und brandmarkt etwas, das auch uns angeht. Er zeigt
eine Gefahr auf, die zu jeder Zeit besteht und nach wie vor aktuell ist.
Die Pharisäer und
Schriftgelehrten legen höchsten Wert auf die Einhaltung religiöser
Überlieferungen und Bräuche.
Als die Jünger Jesu mit
ungewaschenen Händen essen, also die Reinheitsvorschriften nicht beachten –
wobei es nicht um hygienische Reinheit ging, sondern um kultische, also aus
religiösen Gründen – da ist das für sie ein Anlass, Jesus anzugreifen und ihm
Vorwürfe zu machen.
Er als ihr Lehrer, ihr Rabbi,
hätte diese Vorschriften, an seine Jünger weitergeben müssen. Die Pharisäer
regen sich auf, weil sie meinen: Wer sich nicht an das Überlieferte hält, dem
ist auch Gott nicht wichtig, der ist nicht rechtgläubig.
Jesus nennt sie „Heuchler“.
Korrekt und sauber sein ist gut, aber es ist nicht alles. Es geht um die
Reinheit des Herzens.
Die Frömmigkeit der Pharisäer und
Schriftgelehrten ist nach außen hin großartig und bewundernswert. Aber sie ist
oberflächlich und unehrlich. Und dagegen richtet sich der Widerwille Jesu.
Liebe Schwestern und Brüder!
Sind diese pharisäischen Züge
nicht immer wieder in der Kirche aufgetaucht? Hat nicht so mancher Bischof oder
Ordensobere den Kodex des Kirchenrechts wichtiger genommen als das Evangelium?
Ordnung, Gehorsam, reibungsloser Ablauf, stand das nicht manchmal über allem
anderen?
Oder die Liturgie?
Gab es nicht immer wieder Bestrebungen alles bis ins Kleinste zu regeln und zu
reglementieren?
Oder die Moral?
Wurde das Gute und Erlaubte – aber noch mehr das Unerlaubte – nicht oft
zentimetergenau abgemessen und festgelegt? War das nicht oft Einschnürung und
Knechtung statt Hilfe und Befreiung zum Leben?
Doch bleiben wir bei uns selbst,
bei unseren eigenen religiösen Vollzügen.
Nehmen wir z. B. mal das
Tischgebet.
Kommen Bitte und Dank und der Segen für Speise und Trank wirklich aus dem
Herzen? Oder ist das Tischgebet mehr oder weniger bloß eine mechanische
Erledigung? Wird da nur einer Form genüge getan? Wird da nur etwas abgehakt ohne
innere Beteiligung, ohne bewusstes und andächtiges Vollziehen? – Das äußere,
gewohnheitsmäßige Tun genügt nicht, ja es kann hohl und leer sein. Auf die
innere Einstellung, auf das Herz kommt es an.
Das gleiche gilt auch für
anderes, z.B.: Das Kreuzzeichen, die Kniebeuge, das Weihwasser, Dinge,
die einem praktizierenden Katholiken und regelmäßigem Kirchgänger in Fleisch und
Blut übergegangen sind. Ganz ehrlich: Wie oft denken wir uns gar nichts dabei?
Dem entsprechend sind dann auch oft die Gebärden, Gesten und Zeichen:
oberflächlich, geschwind, fahrig, routinemäßig.
Ein anderes Beispiel:
Wenn im Gottesdienst der Priester sagt „Erhebet die Herzen!“ kommt
automatisch die Antwort: „Wir haben sie beim Herrn!“ – Aber ist das auch
wahr, was da so routiniert von den Lippen kommt? Stimmt das? Haben wir die
Herzen beim Herrn?
Oder das Vaterunser:
Eine mögliche Hinführung in der hl. Messe lautet: „Dem Wort unseres Herrn und
Erlösers gehorsam und getreu seiner göttlichen Weisung wagen wir zu beten.“
Wie oft wird das Vaterunser sehr
hastig und eilig gesprochen?
In welch einem Tempo wird es
manchmal heruntergerattert.
Oder der Kommunionempfang:
Gehe ich nach vorne, weil alle gehen, weil man bankweise geht? Oder gehe ich,
weil ich Jesus liebe und in hl. Kommunion mit ihm eins werden will?
Entscheidend ist nicht Mund- oder
Handkommunion. Entscheidend ist die Ehrfurcht. Und die kann bei beiden Formen
vorhanden sein oder auch nicht. – Auf das Herz kommt es an.
Oder der Kirchgang am Sonntag:
Neulich meinte jemand: „Das wichtigste ist, dass man drin war!“ Ist das
wirklich das wichtigste?
Wenn es nur Gewohnheit ist, pure
Pflichterfüllung, dem Buchstaben genüge getan, dann ist es zu wenig. Auf das
Herz kommt es an, auf die innige, herzliche und andächtige Teilnahme, auf das
aktive und bewusste Mitfeiern.
Noch ein Beispiel: Das
Freitagsgebot.
Weil Christus an einem Freitag sein Leben als Opfer hingab, deshalb sollen wir
uns mit ihm an diesem Tag mit einem echten Opfer vereinen. Ist es aber mit dem
Verzicht auf Fleisch getan? Oder wäre etwas anderes für mich eher Ausdruck
meiner Liebe, meines Dankes und meiner Verbundenheit mit dem gekreuzigten Herrn?
Auch da kommt es auf das Herz an.
Dass wir uns bei all dem nicht
missverstehen!
Nichts gegen Gewohnheiten,
Traditionen, Bräuche. Sie haben ihren Sinn. Sie können Stütze und Halt sein.
Auch in der religiösen Praxis braucht es Rituale und Verbindlichkeiten.
Aber spüren wir auch, wie leer
und hohl, wie nichtssagend und sinnlos, wie oberflächlich und routinemäßig alles
werden kann?
Es geht um Echtheit bei allem,
gerade auch beim religiösen Tun.
Denn frommes Geplapper und
oberflächliches oder auch scheinheiliges Getue nimmt Gott als Gott nicht ernst.
Vor Gott, dem Heiligen, kann nur bestehen, was bis ins Innerste echt ist,
stimmig und gut.
Sehen Sie, liebe Schwestern
und Brüder!
Gott will keinen kalten
Gesetzesgehorsam. Er will kein reibungslos funktionierendes Religionssystem,
sondern uns selbst, unsere Hingabe, unsere Treue, unser Herz. Er will die
Antwort unserer Liebe.
Daran ist der Wert oder Unwert
von Regeln und Vorschriften zumessen, ob sie der Ehrfurcht und Liebe Ausdruck
geben, ob sie die Liebe Gottes zum Leuchten bringen, ob die Hingabe des Herzens
gemehrt wird, ob sie tiefer ins Geheimnis Gottes führen.
Gott fragt nach dem Herzen des
Menschen, nicht nach seinem äußeren Tun. Wenn wir in unserem Leben dem Herzen
und damit der Liebe Vorfahrt einräumen, der Liebe zu Gott und zum Nächsten, dann
sind wir auf einem guten Weg. Und dann gereicht uns unser religiöses Tun zum
Segen. Es geschieht Heil und Heilung.