Ich
schaue gern Karikaturen an. Sie sagen mit wenigen Strichen oft mehr als
ein langer Vortrag oder eine wortreiche Predigt.
Ein
Cartoon mit sechs kleinen Bildern hat mich besonders angesprochen. Ich
finde ihn sehr treffend und vielsagend:
Bild 1:
Über einer begeisterten und jubelnden Menschenmenge schwebt der Heilige
Geist in Gestalt einer Taube.
Bild 2:
Die Taube flattert noch immer über den Menschen, doch diese sind
inzwischen still geworden und schauen gespannt auf eine Figur, die am
rechten Bildrand auftaucht. Es handelt
sich um einen Kirchenmann, wie an der Kleidung zu erkennen ist. Er trägt
eine Stange und geht damit auf die Taube zu.
Bild 3:
Die Stange entpuppt sich als Netz, das man zum Fangen von
Schmetterlingen benutzt. Mit diesem Netz hat der Kirchenmann die Taube
gefangen und trägt sie zufrieden davon. Zwei aus der Menge schauen ihm
erschrocken und bekümmert nach.
Bild 4: Ein riesiger Vogelkäfig in Form einer Kirche. Die Taube darf in diesem
Käfig wieder fliegen. Der Kirchenmann schaut ihr interessiert zu.
Bild 5:
Der Kirchenmann spielt Dompteur. Er knallt mit der Peitsche. Und die
Taube muss auf einem Trapez andressierte Übungen ausführen.
Bild 6:
Der Dompteur steht einsam in seiner Vogelkäfig-Kirche. Er hat die
Peitsche sinken lassen und schaut fassungslos der Taube nach, die ihrem
Gefängnis entwichen ist und gerade am
Bildrand verschwindet.
Ein
frecher Cartoon, nicht wahr?
„Der Geist weht, wo er will“
– steht als Überschrift darüber.
Ist
dieser Cartoon nicht eine geniale Predigt zur ersten Lesung des heutigen
Sonntages (Num 11, 25 - 29)?
Da wird
berichtet, dass Gott nicht nur 70 Älteste begeistert und befähigt hat,
Mose bei der Leitung des Volkes zu helfen, sondern auch zwei Männer, die
gar nicht zum Offenbarungszelt gekommen waren.
Josua
fordert daraufhin Mose auf, den beiden Abständigen und Weggebliebenen zu
verbieten, prophetisch zu reden.
Doch er
muss sich sagen lassen: Der Geist weht, wo er will.
Er
ergreift nicht nur diejenigen, die offiziell beauftragt sind.
„Wenn doch alle im Volk so begeisterte Propheten würden wie die beiden“,
wünscht sich Mose.
Ist
dieser Cartoon nicht auch eine hervorragende Auslegung der kleinen
Szene, die wir am Anfang des heutigen Evangeliums gehört haben (Mk
9, 38 - 41)?
Da wirkt
ein Mann unter Berufung auf Jesus Wunder. Er treibt im Namen Jesu
Dämonen aus. Aber er ist von Jesus gar nicht in die Nachfolge gerufen
worden. Er gehört gar nicht zum Jüngerkreis.
Johannes
will den Mann an seinem Tun hindern, es ihm verbieten. Doch auch er muss
sich von seinem Meister sagen lassen: Der Geist weht, wo er will.
„Wer nicht gegen uns ist, der ist für uns“, sagt Jesus.
Auch
außerhalb des Kreises der zwölf Apostel und außerhalb der Jüngergemeinde
kann Gutes geschehen im Sinne Jesu und im Sinne des Reiches Gott.
Josua und Johannes
kommen mir vor wie zwei erfolglose Geist-Dompteure, zwei Vertreter eines
Käfig-Denkens, eines Denkens, das mit Offenheit und Freiheit seine
Probleme hat.
Mose und Jesus
hingegen sind zwei Kontrastfiguren. Diese beiden haben innere Größe und
Weite. Sie zeigen sich weitherzig, souverän, mit Gespür für das
großzügige und grenzenlose Wirken Gottes, mit Gespür für seinen
„unbändigen“ Geist.
Freut
euch doch – so sagen uns Mose und Jesus – wenn der Geist Gottes auch
anderswo am Werk ist!
Freut
euch doch, wenn auch außerhalb der Kirche Gutes geschieht und Menschen
Liebe üben!
Freut
euch über jeden guten Gedanken, über jede gute Tat, über jede Tugend,
auch wenn Menschen nicht euer Parteibuch oder euer Gesangbuch haben!
Der hl.
Augustinus hat das Wort geprägt:
„Viele
sind drinnen, die draußen sind und viele sind draußen, die drinnen
sind.“
Ich
verstehe das so:
Jemand,
der sich Christ nennt und sich zur Kirche gehörig zählt, kann „draußen“
sein, wenn er nur fromme Worte macht, ansonsten aber hartherzig und
gnadenlos ist.
Und
jemand der nicht Christ ist und kein Kirchenmitglied, kann „drinnen“
sein, wenn er hilfsbereit ist, sich einsetzt für Arme und Schwache, wenn
er bereit ist zu teilen, zu dienen und zu lieben, wenn er sein Herz
nicht vor der Not des Mitmenschen verschließt.
Vielleicht ist so jemand mehr als einer, der „drinnen“ ist, ein
lebendiger Zeuge des Erbarmens und der Güte Gottes, auch wenn er sich
dessen gar nicht bewusst ist.
Nicht von
ungefähr hat Karl Rahner einmal das Wort vom „anonymen Christen“
geprägt.
„Der
Geist weht, wo er will.“
Weht er
nicht auch in vielen Menschen, die nicht zur Kerngemeinde in der Pfarrei
zählen?
Weht er
nicht auch bei Menschen, die anders fromm und anders gläubig sind als
wir?
Weht er
nicht auch bei Menschen in anderen Konfessionen und Religionen?
Kann es
nicht sogar sein, das Gott in Menschen, die ungläubig sind, am Werk ist?
Gott ist
größer als unser Herz, das manchmal so kleinkariert ist, die Grenzen so
eng zieht, schwarz-weiß malt und die Menschen in Schubladen steckt.
Die
Predigt unseres Geist-Cartoons könnte uns heilen von einem allzu engen
Schubladendenken, von der Angst vor der Freiheit, von unserer Neigung zu
meinen, den Geist Gottes gepachtet zu haben.
Und sie
könnte uns anregen, uns über die Vielfalt der Geistesgaben zu freuen und
dankbar zu sein für die vielen „Sympathisanten“, die im Geiste Jesu
Gutes tun.
(Den Cartoon sowie Gedanken
und Formulierungen zu den 6 Bildern des Cartoons verdanke ich einer
Predigtvorlage von Wolfgang Raible) |