EVANGELIUM
Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben; du sollst deinen Nächsten lieben wie
dich selbst
+Aus
dem heiligen Evangelium nach Markus
In jener Zeit
28b ging
ein Schriftgelehrter zu Jesus hin und fragte ihn: Welches Gebot ist das erste
von allen?
29 Jesus
antwortete: Das erste ist: Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der einzige
Herr.
30Darum
sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit
all deinen Gedanken und all deiner Kraft.
31Als
zweites kommt hinzu: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Kein
anderes Gebot ist größer als diese beiden.
32Da
sagte der Schriftgelehrte zu ihm: Sehr gut, Meister! Ganz richtig hast du
gesagt: Er allein ist der Herr, und es gibt keinen anderen außer ihm,
33und
ihn mit ganzem Herzen, ganzem Verstand und ganzer Kraft zu lieben und den
Nächsten zu lieben wie sich selbst, ist weit mehr als alle Brandopfer und
anderen Opfer.
34 Jesus
sah, dass er mit Verständnis geantwortet hatte, und sagte zu ihm: Du
bist nicht fern vom Reich Gottes. Und keiner wagte mehr, Jesus eine
Frage zu stellen.
Die Tage um Allerheiligen
und Allerseelen stimmen uns nachdenklich. Wir werden in diesen
Novembertagen mehr als sonst mit dem Tod und der Vergänglichkeit unseres
Lebens konfrontiert. Wir schauen über das Jetzt und Heute hinaus und
fragen uns: Wozu leben? Was hat unser Leben für ein Ziel? Worauf kommt
es in diesen wenigen Jahrzehnten, die wir zu leben haben, an? Was zählt?
Was ist wichtig? Was lässt mein Leben gelingen?
Sehen Sie, liebe Mitchristen,
das ist genau das Anliegen, mit dem der Schriftgelehrte im heutigen Evangelium
zu Jesus kommt.
Er will wissen, worauf es am
meisten und vor allem anderen ankommt im Leben.
Es gab damals 248 Gebote und 365
Verbote, also insgesamt 613 Gesetze. Da sieht ja ein gewöhnlich Sterblicher vor
lauter Bäumen den Wald nicht mehr. Wie soll man da durchblicken und wissen, wo
man dran ist? Es können doch nicht alle Gebote und Verbote gleich wichtig sein.
Da muss es doch wohl eine Rangordnung geben? Was zählt? Wo sind die Prioritäten
zu setzen?
Jesus gibt in zwei knappen
Sätzen Antwort:
Erstens:
Liebe den Herrn, deinen Gott, mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen
Seele, mit deinem ganzen Denken und mit deiner ganzen Kraft.
Zweitens:
Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.
Gott lieben und den Nächsten wie
sich selbst, das ist das allerwichtigste. Darauf kommt es an, wenn dein Leben
Sinn und Ziel haben, wenn es erfüllt sein und gelingen soll.
Das klingt uns sehr vertraut,
nicht wahr? So
vertraut und bekannt, dass wir Mühe haben hinzuhören und das Gewicht dieser
Aussage zu spüren. Die Antwort Jesu reißt uns nicht vom Sitz.
Auch für den Schriftgelehrten in
unserem Evangelium ist die Antwort nicht neu. Er kennt beide Gebote aus den
heiligen Schriften.
Aber Jesus tut etwas Kühnes: Die zwei Gebote
stehen im Alten Testament an verschiedenen Stellen. Jesus bringt sie zusammen.
Er verknüpft und bindet die Liebe
zu Gott an die Liebe zum Nächsten.
Das, was zählt, das wichtigste
überhaupt, ganz zentral ist dieses Doppelgebot der Gottes- und Nächstenliebe.
Für Jesus
sind das zwei Seiten einer Medaille. Die Liebe zu Gott, die Vertikale, die nach
oben zeigt, und die Liebe zum Nächsten, die Horizontale, die zu den Mitmenschen
zeigt, beißen sich nicht, rivalisieren nicht miteinander. Sie ergänzen einander,
sie bedingen sich gegenseitig, sie gehören untrennbar zusammen.
Liebe Schwestern und Brüder!
Indem Jesus die Liebe zu Gott und
die Liebe zum Nächsten zusammenschweißt und über alles andere stellt,
veranschaulicht er zugleich eindrücklich und prägnant sein eigenes
Lebensprogramm. Er selbst lebt die Gottes- und Nächstenliebe. Das bestimmt sein
eigenes Handeln. Man kann ihn ruhig beim Wort nehmen. Reden und Tun stimmen bei
ihm überein. Sein ganzes Leben zeigt, was Liebe ist.
Ja, in ihm, in Jesus,
ist Gottes unbegreifliche Liebe sichtbar geworden. In ihm wendet sich Gott
selbst uns Menschen zu. In Jesus begegnet uns die Güte und
Menschenfreundlichkeit Gottes.
Es ist eine Liebe, die sich nicht
unterkriegen lässt, eine Liebe, die vor allem auch die Schwachen, die Armen, die
Kranken und Sünder sucht und meint, eine Liebe, die größer ist als alle Schuld.
Jesus ist das Ja Gottes zu uns.
„So sehr hat Gott die Welt
geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt,
nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat.“
(Joh 3, 16)
„Da er die Seinen liebte, die
in der Welt waren, liebte er sie bis zur Vollendung.“
(Joh 13, 1)
„Nicht darin besteht die
Liebe, dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt hat.“
(1 Joh 4, 10)
Gottes Liebe
steht am Anfang. Wir haben sie nicht gemacht. Sie kommt nicht aus uns, sondern
zu uns. Ihr Zeichen ist die Krippe, das Kreuz und der Altar. Da sehen wir seine
Liebe und wie weit er geht in seiner Liebe.
„Eine größere Liebe hat
niemand als wer sein Leben hingibt für seine Freunde.“
(Joh 15, 13)
Gott hat nicht nur Liebe. Gott
ist Liebe, nichts als Liebe, Liebe, die alles Begreifen übersteigt.
Gottes Liebe
aber ist eine Einladung an uns zur Gegenliebe. Seine Liebe lockt und ruft unsere
Liebe, dass wir Antwort geben, dass wir seine Liebe erwidern.
Wie kann das aussehen, liebe
Schwestern und Brüder?
Wie kann das geschehen? – Vor
allem dadurch, dass wir selber liebe üben!
Dazu ruft der Evangelist Johannes
uns auf: „Wenn Gott uns so geliebt hat, müssen auch wir einander lieben!“
Und Paulus mahnt: „Nehmt einander an, wie auch Christus euch angenommen hat.“
Und Jesus selbst sagt in der Bergpredigt: „Seid barmherzig, wie euer Vater im
Himmel barmherzig ist.“ Und nach der Fußwaschung im Abendmahlssaal: „Liebt einander, wie ich euch geliebt habe!“
Liebe Mitchristen!
Ein italienisches Sprichwort
lautet: „Die Liebe hat zwei Töchter: die Güte und die
Geduld.“
Geduld ist die Alltagsform der
Liebe. Güte und Verzeihen die Höchstform und der Ernstfall der Liebe.
Solche Liebe
ist eine Kunst, die Kunst der kleinen Schritte.
Dazu gehört z. B. das Zeithaben
und sich Zeit nehmen für einander. Dazu gehören die kleinen Aufmerksamkeiten,
die schlichten Freundlichkeiten, die gern gegebenen Hilfen. Dazu gehört: wissen,
was den anderen freut, ahnen und spüren, was ihm weh tut und was ihn traurig
macht.
Die Liebe ist wie ein großer Geldschein,
der täglich umgewechselt werden will in kleine Münzen.
Wo immer dann aber es Liebe in
dieser Welt gibt, wo immer Menschen Freude schenken, wo immer jemand zur
Versöhnung bereit ist, wo immer jemand sich um Geduld bemüht und den anderen
erträgt, wo immer jemand mit Gewalt und Betrug aufhört und mit Ehrlichkeit und
Wohlwollen beginnt, wo immer jemand das Gute an die Stelle des Bösen setzt, - überall da wird Gottes Liebe sichtbar, Strahlen der Liebe Gottes in dieser
Welt.
Liebe Schwestern und Brüder!
Worauf kommt es an in unserem
Leben? Was zählt? Die Liebe, die Liebe zu Gott und die Liebe zum Mitmenschen.
Dabei ist die Nächstenliebe der Prüfstein und Echtheitsbeweis der Gottesliebe.
Ja, das geht soweit, dass beide
ineinander fallen, identisch sind:
„Was ihr einem der Geringsten
meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan!“ (Mt 25, 40)
Wie kommen wir zur Erfüllung
unseres Lebens? Als Liebende!
Wozu bin ich da? Was ist meine
Bestimmung? Die Antwort des Evangeliums ist eindeutig: Gott zu lieben und den
Nächsten wie mich selbst!
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