Evangelium
Wenn dein Bruder
auf dich hört, so hast du ihn zurückgewonnen
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Aus dem heiligen Evangelium nach Matthäus
In jener Zeit sprach Jesus zu
seinen Jüngern:
15Wenn
dein Bruder gegen dich sündigt, dann geh und weise ihn unter vier Augen zurecht!
Hört er auf dich, so hast du deinen Bruder zurückgewonnen.
16Hört
er aber nicht auf dich, dann nimm einen oder zwei mit dir, damit die ganze Sache
durch die Aussage von zwei oder drei Zeugen entschieden werde.
17Hört
er auch auf sie nicht, dann sag es der Gemeinde! Hört er aber auch auf die
Gemeinde nicht, dann sei er für dich wie ein Heide oder ein Zöllner.
18Amen,
ich sage euch: Alles, was ihr auf Erden binden werdet, das wird auch im Himmel
gebunden sein, und alles, was ihr auf Erden lösen werdet, das wird auch im
Himmel gelöst sein.
19Weiter
sage ich euch: Was auch immer zwei von euch auf Erden einmütig erbitten, werden
sie von meinem himmlischen Vater erhalten.
20Denn
wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter
ihnen.
Liebe Schwestern und Brüder!
Die Zurechtweisung eines Bruders oder einer
Schwester – gar nicht so einfach! Jeder von uns weiß, wie schwierig das ist.
Und dennoch: Es ist ein Auftrag unseres Herrn
Jesus Christus.
Die Theologen nennen unser heutiges Evangelium
eine „Gemeindeordnung“. Und sie zeigt: Auch die junge Christengemeinde damals
brauchte eine Ordnung, damit sie in Frieden miteinander leben konnte. Ohne das
ging es auch dort nicht immer. Auch die Christen damals waren wahrlich nicht
alle Heilige.
Und das Interessante ist: Da wird nicht schnell
„kurzer Prozess gemacht“, sondern da muss man mit Geduld rangehen. Von drei
Anläufen ist die Rede. Erst das Gespräch unter vier Augen. Wenn das nicht hilft:
„Nimm einen oder zwei hinzu“! Diese zwei Schritte geschehen in einem
geschützten, privaten Raum. Wenn das nichts bringt, kommt die Gemeinde ins
Spiel, das heißt, die für die Gemeinde Zuständigen werden einbezogen.
Drei Anläufe. Es dreimal versuchen. Also nichts
einfach übers Knie brechen, sondern – um des Bruders, der Schwester willen –
Geduld haben. Nicht einfach richten, sondern retten.
Ja, Jesus gibt den Auftrag, dem, der schuldig
geworden ist, eine Chance zu geben. Es geht darum, so mit einem, der schuldig
geworden ist, umzugehen, dass er da wieder rauskommen kann, ohne sein Gesicht zu
verlieren.
Ich bin auf eine Geschichte gestoßen, die uns
vielleicht etwas helfen kann, das, was Jesus meint, deutlich zu machen. Es ist
eine Geschichte aus der alten Mönchsliteratur und handelt von Abt Ammonas:
Diesem Abt wird von aufgebrachten Mönchen
zugetragen, dass sich in der Zelle eines Mitbruders eine Frau aufhalte. Der Abt
muss der Sache nachgehen und sie machen sich auf den Weg dorthin. Als der Abt
samt Gefolge die Mönchszelle betritt, kann der Mönch die Frau gerade noch in
einem Fass verstecken. Ammonas überblickt sofort die Lage. Und er setzt sich auf
das Fass und ordnet an, die Zelle gründlich zu durchsuchen. Natürlich findet man
nichts. Da sagt der Abt Ammonas zu den Mönchen: Was es auch war, Gott soll euch
allen vergeben! –
Er ließ ein Gebet sprechen und schickte alle
Mönche hinaus. Dann nahm er den Bruder bei der Hand und ermahnte ihn: Gib auf
dich acht, Bruder! Nach diesen Worten ging er hinaus.
Liebe Schwestern und Brüder!
Wieviel Taktgefühl hat dieser Abt wohl besessen!
Wieviel Respekt und Liebe dem gegenüber, der ihm Bruder ist! Und wieviel
Selbstdisziplin, um aus dem Fehler des anderen, nicht noch einen wunderschönen
Skandal zu machen, an dem sich alle hätten hochziehen können. Sondern ihm so zu
helfen, dass er sein Gesicht wahren und sich weiterhin in der Mönchsgemeinde
sehen lassen konnte, ohne dass alle mit dem Finge auf ihn gezeigt hätten.
Die Schuld wird nicht einfach übergangen, nicht
einfach unter den Teppich gekehrt, sondern sie wird wahrgenommen. Aber sie wird
vergeben.
Ich denke, genau das ist es, worum es Jesus geht:
Nicht über einen Menschen reden, der etwas falsch gemacht hat, sondern mit ihm.
Nicht abwatschen, sondern zurückgewinnen! Ihn wieder in die Gemeinschaft
hineinnehmen, in die Familie, in die Pfarrgemeinde, aus der er herausgefallen
war.
Und das geht wohl wirklich nur dann, wenn ich ihn
nicht in die Pfanne haue, sondern wenn ich ihm einen Raum gebe, in dem er sich
auch ändern kann und eine neue Chance bekommt. – Und das ist oft echt Arbeit für
beide Seiten. Und da bedarf es großer Geduld.
Aber was ist, wenn das nichts nützt? Wenn da
einem nicht zu helfen ist, weil der uneinsichtig ist, sich stur stellt und
nichts in seinem Leben ändern will? Auch das wir im heutigen Evangelium
angesprochen. Dann darf man auch mal sagen: Bisher und nicht weiter! Dann
trennen sich jetzt unsere Wege. Dann ist auch mal Schluss. – Und dennoch, selbst
wenn man zu einem solchen Schluss kommt, dann muss das immer noch nicht das Ende
sein.
Liebe Schwestern und Brüder!
Wo anscheinend nichts mehr geht, da „geht“
vielleicht noch eins: das fürbittende Gebet. „Alles, was zwei auf Erden einmütig
erbitten, das wird ihnen vom Vater im Himmel gewährt“, sagt Jesus.
Wo menschliche Zurechtweisung und wo gute Worte
nichts mehr bewirken, da ist für uns Christen immer noch das Gebet da und die
Fürbitte. – Und das sollte uns als christliche Familien, als christliche
Gemeinschaften unterscheiden von allen anderen: Dass wir dann, wenn wir nicht
mehr weiterwissen, immer noch beten können.
Wie gut ist das! Denn das befreit uns doch von
dem Wahn, wir müssten alles selbst regeln. Wir können nicht alles regeln – und
wir müssen es auch nicht!
Manchmal ist es einfach besser, selbst den Mund
zu halten – und einen Menschen, mit dem wir nicht zurechtkommen, Gott
anzuvertrauen, eben für ihn zu beten. – Denn wer gerade betet, der kann
wenigstens in dieser Zeit nichts Dummes sagen, nichts Falsches und nichts
Verletzendes.
Das Gebet einer Familie, einer Gemeinschaft oder
auch einer Gemeinde für den, der sich verrannt hat – als Hilfe und als unser
Dienst an einem anderen – dieses Gebet hat eine Macht, die über alles andere
hinausgeht, weil dann, wenn wir nicht mehr weiterkönnen – ein anderer dran ist,
nämlich Gott. – Ihm sollten wir diesen Menschen dann anvertrauen und ans Herz
legen – im Gebet.
Ob der es dann so macht, wie wir es gerne hätten,
das weiß ich nicht. Aber wir haben jedenfalls unser Möglichstes getan.
Und Gott wird es in jedem Fall richtig machen,
denn er ist größer als unser Herz und größer als unsere Schuld. Und er weiß oft
immer noch einen Weg für einen anderen – und für uns –, an den wir selbst nie
gedacht hätten.
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