„Selig die
Sanftmütigen“
Sanftmut:
Ist das
nicht eine seltsame, altmodische Vokabel?
Sanftmut:
Klingt das
nicht irgendwie muffig, gestrig, lammfromm, realitätsfern?
Sanftmut:
Passt das in
unsere Welt, in eine Welt, in der mit harten Bandagen gekämpft wird, in eine
Welt voller Brutalität, der Korruption, des Mobbing am Arbeitsplatz, der
erbitterten Machtkämpfe, der Rücksichtslosigkeit und unverhohlenen Selbstsucht?
Sanftmut:
Ist das
erstrebenswert? Gelten in unserer Gesellschaft nicht ganz andere Werte? Sind
nicht ganz andere Haltungen gefragt, wenn man’s zu was bringen will, wenn man
nicht unter die Räder kommen, hoffnungslos ab- gehängt, untergebuttert und
ausgenutzt werden will?
Lernen nicht
schon unsere Kinder, sich durchzusetzen, stark zu sein, schlagfertig, sich zu
behaupten und zu wehren?
„Selig die Sanftmütigen!“
Weltfremder, so möchte man meinen, geht’s nicht.
„Selig die Sanftmütigen!“
Ist das
ein Witz? Klingt das nicht wie Hohn? – Im Alltag, im Beruf, in Wirtschaft und
Politik, ja in allen Lebensbereichen zählen doch ganz andere Dinge! – Da gilt
das Gesetz des Stärkeren. Da geht’s nach dem Motto „Wie du mir so ich dir!“
Da weiß man, wo man dran ist. Kann die Welt anders überhaupt in Ordnung gehalten
werden?
Aber, liebe
Schwestern und Brüder, heißt Sanftmut, dass ich alles mit mir machen lasse, mir
alles gefallen lasse, immer nachgebe, alle Gehässigkeiten hinnehme, alle
Demütigungen hinunterschlucke, alle Schläge (und seien es nur Nadelstiche),
verbale und andere, ertrage? Ist man da nicht immer die Dumme? Und wird solche
Gutmütigkeit nicht gnadenlos ausgenützt?
Schauen wir auf Jesus!
Die
Seligpreisungen sind ein Portrait von ihm selbst. Sie sind nur verständlich von
ihm her. Auch die Sanftmut bekommt Sinn von seinem Leben und Wirken, von ihm
her, der die Willkür und Bosheit der Menschen wie kaum ein anderer zu spüren
bekommen hat.
Jesus
sagt einmal: „Lernt von mir, denn ich bin
sanftmütig und demütig von Herzen!“
Sanftmütig
reitet er auf einem Esel, nicht hochmütig, nicht machtbesessen. Er bückt sich
und tut Sklavendienst, wenn er seinen Jüngern die Füße wäscht. Zu Petrus sagt
er: „Steck dein Schwert in die Scheide!“ Jesus verzichtet im
entscheidenden Moment auf Gewalt. Er schlägt nicht mit gleichen Waffen zurück,
obwohl er es könnte. Er verzeiht seinen Henkern. Er durchbricht den Teufelskreis
des Bösen. Hass und Wut laufen sich buchstäblich tot an ihm.
Andererseits
bedeutet für Jesus Sanftmut nicht, zu allem Ja und Amen zu sagen. Jesus war
ohne Zweifel ein konfliktfreudiger Mensch. Er bekennt Farbe. Er sagt offen seine
Meinung. Er scheut nicht die Auseinandersetzung. Als ihn einer beim Verhör
vor Pilatus schlägt fragt er zurück: „Warum schlägst du mich?“ Jesus nennt
Bosheit, Selbstsucht, Heuchelei beim Namen.
An
Jesus sehen wir: Sanftmut hat nichts damit zu tun, Konflikten aus dem Weg zu
gehen oder sich Ärger zu ersparen. Sanftmut hat nichts mit Duckmäusertum oder
Feigheit zu tun. Es ist auch keine Passivität oder Resignation. – Sanftmut ist
sogar höchste Aktivität. Es ist befreiendes Handeln.
Sanftmütige
sind mutig. Sie brauchen den Mut, in einer von Gewalt geprägten Gesellschaft
nicht Böses mit Bösem zu vergelten.
Sanftmütige
brauchen den Mut, den Kreislauf von Gewalt und Gegengewalt zu durchbrechen, den
Mechanismus von Schlag und Gegenschlag zu beenden.
Sanftmütig
sind nicht diejenigen, die alles dulden und hinnehmen. Der Sanftmütige geht
weiter. Er geht darüber hinaus.
Der Sanftmütige
braucht den Mut, an die Stelle des Bösen das Gute zu setzen, statt zu hassen zu
lieben, statt zu verfluchen zu segnen, statt Wunden zu schlagen zu heilen, statt
eisig zu schweigen zu grüßen. Es gehört Mut dazu, sanft zu sein, wenn jeder nur
den Ellbogen gebraucht.
Sanftmütige
sind keine Schwächlinge. Sie sind stark. Diejenigen, die zuschlagen und Gewalt
anwenden, überspielen nur ihre eigenen Schwächen. Und sie suchen sich noch
Schwächere, Wehrlose, um sie zu drangsalieren und auf ihnen herumzuhacken.
Gewalt gegen Frauen, Kinder, alte Menschen, gegen Ausländer und Andersdenkende.
Gewalt in der Schule, am Arbeitsplatz, in der U-Bahn, auf der Straße, Gewalt im
Fernsehen.
Der sanfte Mut
dagegen braucht nicht die Argumente der Faust. Er verzichtet auf die Gewalt der
Zunge und des Herzens.
Musst du wirklich immer stark, mächtig und erfolgreich sein. Musst du
wirklich immer alles besser wissen, recht haben, der Gewinner sein?
Wäre es
nicht besser, andere Menschen zu verstehen, sich in sie einzufühlen, achtsam
mit ihnen umzugehen, weil sie wie du Ebenbild Gottes und Sohn und Tochter Gottes
sind?
Musst du wirklich dauernd konkurrieren, rivalisieren, dich mit anderen
vergleichen. Missgunst, Neid und Eifersucht sind die Folgen.
Wäre es
nicht besser, echte Gemeinschaft zu erleben, menschliche Nähe und Wärme,
Freude und Vertrauen zu spüren?
Musst du wirklich immer oben sein, der Beste, mehr haben? Mit hängender
Zunge? Ein Getriebener und Gehetzter?
Wäre es
nicht schöner
und verheißungsvoller, menschliche Beziehungen aufzubauen, sich um jemanden
zu kümmern, der einen braucht, Zeit haben, zuhören, wo du doch weißt, dass alles
im Leben geliehen ist und du doch nichts mitnehmen kannst?
Musst du dem anderen wirklich immer alles heimzahlen? Warum kennst du kein
Pardon? Muss der Teufelskreis von Hass und Unrecht immer weitergehen, Gewalt
immer noch mehr eskalieren?
„Spreng
die Fesseln der Gewalt!“
heißt es beim Propheten Jesaja. „Zertrümmere jedes
Joch! Gib frei die Misshandelten!“
Das heißt
doch: Sag nein zur Gewalt. Schlag einen Keil in den Kreislauf von Hass und
Rache. Sag ja zum Frieden!.
Das ist nicht
Passivität. Das ist eine neue Initiative. Das ist eine neue Gangart des Lebens.
Nicht das Böse diktiert mehr das Gesetz des Handelns, sondern das Gute und die
Liebe.
„Selig die
Sanftmütigen!“
Sanfter Mut geht
nicht mit dem Kopf durch die Wand.
Sanfter Mut
braucht einen langen Atem und viel Kraft.
Sanfter Mut tut
immer weniger mit Gewalt und mehr mit Geduld.
Sanfter Mut
macht mich Jesus ähnlich, lässt mich evangeliumsgemäß leben.
Sanfter Mut
macht mein Christsein überzeugend und glaubwürdig.
Nicht
nur das: Ich selbst werde ein Ort, wo Menschen aufatmen können, Beheimatung
fühlen, Licht und Wärme spüren, Freiheit und Weite erleben, Hoffnung und Zukunft
erfahren.
Und
vielleicht könnte mancher Verbitterte und Verschlossene, mancher
Hartgesottene und Gewalttätige wieder an Gottes Güte und Erbarmen glauben. Und
manches Misstrauen und mancher Egoismus würde aufgebrochen, wenn ihm gegen alle
Erwartung menschliche Güte, menschliche Anteilnahme, Wertschätzung und herzliche
Liebe begegnen.
Denn
wirklich heilen und versöhnen und zum Leben befreien können nur Geduld und Güte
und vor allem Liebe.
Die Entscheidung dafür ist eine Entscheidung für
Gott und gleichzeitig eine Entscheidung fürs Leben.
Amen