Evangelium
Selig, die arm sind vor
Gott
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Aus dem heiligen Evangelium nach Matthäus
In jener
Zeit,
1als
Jesus die vielen Menschen sah, die ihm folgten, stieg er auf den Berg. Er setzte
sich und seine Jünger traten zu ihm.
2Und
er öffnete seinen Mund, er lehrte sie und sprach:
3Selig,
die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmelreich.
4Selig
die Trauernden; denn sie werden getröstet werden.
5Selig
die Sanftmütigen; denn sie werden das Land erben.
6Selig,
die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit; denn sie werden gesättigt
werden.
7Selig
die Barmherzigen; denn sie werden Erbarmen finden.
8Selig,
die rein sind im Herzen; denn sie werden Gott schauen.
9Selig,
die Frieden stiften; denn sie werden Kinder Gottes genannt werden.
10Selig,
die verfolgt werden um der Gerechtigkeit willen; denn ihnen gehört das
Himmelreich.
11Selig
seid ihr, wenn man euch schmäht und verfolgt und alles Böse über euch redet um
meinetwillen.
12aFreut
euch und jubelt: Denn euer Lohn wird groß sein im Himmel.
Von
Gandhi, dem großen Kämpfer für die Unabhängigkeit Indiens, dessen Todestag
sich morgen (30.01.2023) zum 75. Mal jährt, von ihm wird berichtet,
dass er einmal vor einer großen Menschenmenge reden sollte. Er kam und stand
eine Weile schweigend da. Schließlich zog er ein kleines Buch hervor, die Bibel.
Er las daraus die Seligpreisungen vor. Dann sagte er: „Mehr habe ich euch
nicht zu sagen. Geht nach Hause und denkt darüber nach!“
Das sagt
ein Nichtchrist. Er ist fasziniert von der Lehre Jesu.
Er hält es
für erstrebens- und lohnenswert, sich damit zu befassen. Lohnenswert sicher auch
in dem Sinne, dass dort, wo jemand etwas vom Geist der Seligpreisungen versteht
und anfängt, aus diesem Geist zu leben, dass dort nicht alles so bleibt, wie es
ist, sondern dass sich dort etwas verändert zum Guten hin, zu mehr
Gerechtigkeit, zu mehr Barmherzigkeit, zu mehr Versöhnung, zu mehr Liebe und
Frieden.
Liebe Schwestern und Brüder!
Vom heutigen
Sonntag an begleitet uns – bis zum Beginn der Fastenzeit – die Bergpredigt Jesu.
Und die Seligpreisungen bilden den Auftakt. Sie sind sozusagen das Tor zur
Bergpredigt.
In den
Seligpreisungen Jesu schlägt das Herz Gottes ganz unmittelbar. Sie sind
gleichsam der Kern des Evangeliums. Sie sind eine Art Magna Charta des
Christentums. Ihrer Form nach sind es Glückwünsche bzw. Verheißungen, ihrem
Inhalt nach Einlassbedingungen für das Reich Gottes.
Wie die
gesamte Bergpredigt haben auch diese Seligpreisungen immer wieder fasziniert,
sogar Nichtchristen. Siehe Gandhi! Andererseits hat die Bergpredigt aber auch –
wegen ihrer Unbedingtheit – viele erschreckt. Kaum eine andere Bibelstelle
fordert so heraus wie die Bergpredigt.
Kein
Wunder, dass man versucht hat, ihre Weisungen zu entschärfen und sie z.B.
als bloße Mönchsregeln abzutun. Aber Jesus wendet sich nicht an einen exklusiven
Kreis. Seine Predigt gilt nicht bloß ein paar besonders tüchtige Elitechristen.
Er meint alle Glaubenden zu allen Zeiten.
Liebe Schwestern und Brüder!
Jünger und
Jüngerin Jesu sein bedeutet, sich immer wieder einüben in jene Grundhaltungen,
die die Seligpreisungen beschreiben. Dazu bedarf es eines ständigen Umsinnens,
Umdenkens und Umkehrens. Denn in den Seligpreisungen werden ja unsere gängigen
Werte umgedreht. Was Jesus verkündet, ist dem, was wir sonst hören und wie man
gewöhnlich lebt, entgegengesetzt.
Jesus
sagt ja nicht: Glücklich sind die Gesunden, die Dynamischen, die Gewinner,
die Erfolgreichen, die Leistungsstarken.
Jesus
sagt genau das Gegenteil. Selig sind die Armen, die Trauernden, die
Gewaltlosen und Barmherzigen.
Jesus
preist die glücklich, die in einer erbarmungslosen Welt versuchen –
wahrscheinlich oft vergebens – Gerechtigkeit, Frieden und Barmherzigkeit zu
schaffen.
„Selig“ nennt er all die, die um ihre eigene Armut wissen und ihre
eigene Bedürftigkeit – in welcher Form auch immer – zu spüren und wahrzunehmen
vermögen, all die, die mit Gott rechnen, ihm vertrauen und sich ganz auf ihn
verlassen.
„Selig“ nennt Jesus nicht jene, die über Leichen gehen, die nur sich
selbst kennen, denen es nur um ihren eigenen Profit und ihr eigenes Prestige
geht und die dabei andere kaltblütig ausnutzen. In Jesus Augen sind sie
arm-selig und finden nur schwer Zugang zum Reich Gottes.
Mit dem
„selig“ meint Jesus diejenigen, die immer wieder an ihre Grenzen
stoßen, die noch verletzlich sind, die sich einzufühlen und mitzufühlen
vermögen, und alle, die vor Gott mit leeren Händen stehen und deswegen offen
sind für das, was Gott schenken kann und schenken will.
Glücklich, ja selig sind, die sich nicht verlassen auf das, was sie
haben und schaffen, machen und leisten, sondern auf das, was sie vor Gott sind:
Menschen, von ihm gewollt, von ihm gerufen, mit Namen sogar. Sie sind Kinder
Gottes. Ihre Würde ist es, von Gott geliebt, von ihm angenommen und sein
Ebenbild zu sein.
Glücklich, ja selig sind, die verwundbar sind und trauern können. Die
nicht zur Tagesordnung übergehen und sagen: Die Welt ist halt so; da kann man
nichts machen. Vielmehr werden sie sich treffen lassen vom Leid anderer. Sie
werden empfindsam sein, mit-leiden und sich solidarisch zeigen. Das ist der
Anfang einer neuen Welt.
Glücklich, ja selig sind, die in einer so gefährlichen Welt keine Waffen
tragen. Auch nicht die Waffen der Zunge und des Geistes. Nicht die Waffen einer
brillanten Rhetorik oder raffinierten Taktik. Die auf das Recht des Stärkeren
verzichten, auf Macht und Gewalt, sondern Werkzeuge der Versöhnung und des
Friedens sind.
Glücklich, ja selig sind, die es nicht nötig haben, Überlegenheit zu
zeigen, aufzutrumpfen, ständig im Mittelpunkt zu stehen und dabei andere in den
Schatten zu stellen. In ihrer Wehrlosigkeit sind sie glaubwürdig. Sie schaffen
Nähe und Zärtlichkeit.
Glücklich, ja selig sind, die leidenschaftlich darauf warten, dass
Gottes Wille geschieht. Sie erkennen die Zeichen der Zeit. Sie sehen tiefer. Sie
lassen sich nicht mit Banalitäten volllaufen. Sie gehen nicht jeder Verlockung
auf den Leim. Sie lassen sich nicht von rein vordergründigen Zielen leiten. Sie
sind aufmerksam für Gottes Winke, für seine Stimme, für seine Zeichen. So bauen
sie mit an einer sinnvollen Zukunft.
Glücklich, ja selig sind, die ein lauteres Herz haben. Die arglos und
gerade denken. Die nicht mit den Wölfen heulen. Die ihrer Intuition mehr trauen
als den Winkelzügen einer Welt der Berechnung, die nur nach Nutzen und Effekt
fragt. Sie werden lernen, in ihrem Innern die wirkliche Sehnsucht zu entdecken,
ihr Raum zu geben und ihr Herz ganz und ungeteilt an Gott zu hängen.
Glücklich, ja selig sind, die erkennen, dass sie bei weitem und nicht in
allem ihres eigenen Glückes Schmid sind, dass die entscheidenden Dinge im Leben
geschenkt sind, und dass vor Gott letzten Endes alle Empfangende sind.
Liebe Mitchristen!
M. Gandhi
hat nach einer Stille der versammelten Menschenmenge die Seligpreisungen
vorgelesen. Dann hat er sie aufgefordert, nach Hause zu gehen und darüber
nachzudenken.
Ob die
Seligpreisungen auch uns über den Gottesdienst hinaus beschäftigen? Es sind
Zusagen, Verheißungen. Es sind Einladungen. Es sind Worte, die in uns das
Vertrauen und die vorbehaltlose Überlassung auf Gott hin erwecken und stärken
wollen. |