„Wenn eure
Gerechtigkeit nicht weit größer ist als die der Schriftgelehrten und der
Pharisäer, werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen.“
„Nicht weit
größer…“
Oh je, mögen
jetzt manche denken.
Was will Jesus
denn noch?
Waren die
Schriftgelehrten und Pharisäer nicht absolut Spitze, was die Gesetze und die
Gerechtigkeit angeht? Haben sie sich nicht unsäglich viel Mühe gegeben?
Haben sie sich
nicht unwahrscheinlich angestrengt
und sich ganz
schwer ins Zeug gelegt?
Ist das überhaupt
noch zu überbieten?
„Wenn eure
Gerechtigkeit nicht weit größer ist als die der Schriftgelehrten und der
Pharisäer, werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen.“
Noch mehr? Noch
strenger? Noch genauer? Noch enger?
Keine Angst,
liebe Schwestern und Brüder!
Nicht noch mehr,
auch nicht noch strenger, noch penibler, sondern tiefer, innerlicher, radikaler.
„Radikaler“ im
Sinne von den Dingen an die Wurzel gehen.
„Radix“,
lateinisch, heißt die Wurzel. An die Wurzel, an den Ursprung gehen, dorthin, wo
alles anfängt.
Jesus will nicht
quantitativ mehr, sondern qualitativ.
Ihm kommt es auf
die innere Haltung an, auf die Einstellung, auf das Herz.
Dann genügt es
nicht, mal gerade so die Gebote zu beobachten, vorschriftsmäßig zu leben. Und
wenn etwas in den Geboten nicht vorkommt, dann hat man Glück gehabt und dann kann
man machen, was man will, sondern Jesus schaut tiefer.
Reine
Buchstabengerechtigkeit, rein äußeres Tun genügt nicht. Rein formale Erfüllung
der Gebote ist zu wenig.
Zum
Beispiel:
Am Leben eines
anderen vergehe ich mich nicht erst,
wenn ich jemanden
physisch töte.
Mord und
Totschlag fängt schon viel früher an:
im Herzen, in den
Gedanken und Worten.
Wenn sich böse
Gedanken breit machen, wenn sich Zorn, Hass und Wut einnisten und festsetzen,
wenn ich andere mit Schimpfworten belege: Dummkopf, Idiot, blöde Kuh, Depp,
Rindvieh, wenn sich im tiefsten Inneren so viel Aggression breitmacht, dass man
einem anderen mit seinen Worten die Würde nimmt, da fängt es bereits an.
Deshalb
gilt es, den
Anfängen zu wehren,
nicht dem Hass
Raum zu geben, sondern dem Frieden,
nicht der
Rechthaberei, sondern der Barmherzigkeit,
nicht der
Vergeltung, sondern der Vergebung.
Nicht erst die
äußere Tat macht schuldig, sondern bereits die hassgeprägte Haltung.
Einen anderen
tötet nicht erst, wer ihm ein Messer in den Bauch stößt, sondern auch, wer ihn
z.B. zum Selbstmord treibt, oder wer ihn durch Arbeit zu Tode schindet, oder wer
an ihm durch üble Nachrede, böses Geschwätz, Verleumdung und schlimme Gerüchte
Rufmord begeht.
Wie Recht
Jesus hat, verrät unsere Sprache:
Wir sagen
z.B.: „Der oder die ist für mich gestorben.“
„Den oder die
kann ich auf den Tod nicht leiden.“
„Den
mache ich fertig.“ - „Die würde ich am liebsten zum Mond schießen.“ – Da soll einer sagen,
diese Redewendungen hätten nichts mit töten zu tun!
Nicht noch mehr,
nicht noch strenger, sondern tiefer, innerlicher, radikaler.
Es geht nicht
darum noch strenger zu werden, sondern gütig und barmherzig zu sein.
Es geht nicht
darum, noch mehr zu machen, noch mehr zu leisten, sondern das, was wir sowieso
schon tun, mit mehr Liebe tun, mit mehr Achtsamkeit, mit mehr Respekt vor dem
anderen.
Und dann,
liebe Schwestern und Brüder, kommt im Evangelium noch eine spannende Sache, die
Szene vor dem Altar mit den Opfergaben:
„Wenn dir
einfällt, dass dein Bruder etwas gegen dich hat, dann lass deine Gabe vor dem
Altar liegen; geh und versöhne dich mit deinem Bruder, dann komm und opfere
deine Gabe.“
Es ist
interessant,
dass Jesus nicht sagt, wenn du etwas gegen deinen Bruder hast, sondern wenn dein
Bruder etwas gegen dich hat, dann ist vor dem Opfer, dann ist vor
Gebet und Gottesdienst erst Versöhnung dran.
Es genügt also,
wenn mein Bruder etwas gegen mich hat.
Ich muss gar
nichts gegen ihn haben.
Was
machen wir jetzt
mit unseren Opfergaben, liebe Schwestern und Brüder? – Sollen wir die Messfeier
hier abbrechen?
Sollen wir jetzt
alle erst nach Hause gehen, in die Nachbarschaft, an den Arbeitsplatz, ins
Vereinshaus und uns versöhnen? – Sollen wir die Opfergaben stehen lassen?
Oder sie doch
bringen und die heilige Messe weiterfeiern?
Nun, ich
denke, wir bringen sie.
Wir bringen sie
IHM, der uns Versöhnung schenkt.
Wir bringen sie
IHM, der unsere Versöhnung geworden ist,
IHM, der uns zu
Hilfe kommt in unserer Schwachheit,
IHM, der ergänzen
u. vollenden kann, was bei uns noch fehlt.
IHM, der uns
erträgt und annimmt – trotz unserer Schuld.
Denn
„größer als alle Schuld ist deine Liebe“, haben wir gesungen. Und: „Lass uns glauben an deine Liebe, voll Vertrauen kommen zu dir“, zu IHM, der
unser Friede ist, unsere Versöhnung und unser Heil.
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