EVANGELIUM
Zu den Alten ist
gesagt worden - ich aber sage euch
+ Aus
dem heiligen Evangelium nach Matthäus
In jener Zeit sprach
Jesus zu seinen Jüngern:
20Darum
sage ich euch: Wenn eure Gerechtigkeit nicht weit größer ist als die der
Schriftgelehrten und Pharisäer, werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen.
21Ihr
habt gehört, dass zu den Alten gesagt worden ist: Du sollst nicht töten; wer
aber jemand tötet, soll dem Gericht verfallen sein.
22aIch
aber sage euch: Jeder, der seinem Bruder auch nur zürnt, soll dem Gericht
verfallen sein.
27Ihr
habt gehört, dass gesagt worden ist: Du sollst nicht die Ehe brechen.
28Ich
aber sage euch: Wer eine Frau auch nur lüstern ansieht, hat in seinem Herzen
schon Ehebruch mit ihr begangen.
33Ihr
habt gehört. dass zu den Alten gesagt worden ist: Du sollst keinen Meineid
schwören, und: Du sollst halten, was du dem Herrn geschworen hast.
34aIch
aber sage euch: Schwört überhaupt nicht.
37Euer
Ja sei ein Ja, euer Nein ein Nein; alles andere stammt vom Bösen.
Einen Abschnitt
aus der Bergpredigt haben wir soeben gehört.
Und, liebe
Schwestern und Brüder, geht es Ihnen auch so?
Was Jesus hier
sagt und fordert, hört sich unheimlich hart, sehr scharf und äußerst radikal an.
Welch ein
Anspruch! Welch große Herausforderung!
Ist das überhaupt
zu schaffen? Sind wir da nicht hoffnungslos überfordert? Müssen wird dauernd mit
einem schlechten Gewissen herumlaufen, weil wir dem Ideal, das Jesus aufzeigt,
nie und nimmer entsprechen? Klingt die Botschaft Jesu im heutigen Evangelium
nicht arg wirklichkeitsfremd und fern jeder Realität?
Oder verkündet
Jesus hier eine Sondermoral für wenige Auserwählte? Vielleicht für Heilige? Oder
für kontemplativ lebende Mönche und Nonnen in streng asketischen
Ordensgemeinschaften?
Aber Jesus
richtet seine Worte nicht an eine religiöse Elite oder an einzelne religiöse
Profis, sondern an alle seine Jünger und Jüngerinnen, auch an Sie und an mich.
Wir sind gemeint!
Außerdem:
Widerspricht sich Jesus nicht selbst? Sonst tritt er doch jeder Gesetzesmoral
scharf entgegen, z. B. „der Sabbat ist für den Menschen da, nicht der Mensch
für den Sabbat!“
Hier jedoch
fordert er eine noch größere Gerechtigkeit als die der Schriftgelehrten und
Pharisäer.
Haben die
Schriftgelehrten und Pharisäer denn nicht ihren ganzen Ehrgeiz eingesetzt, alle
Gesetze und Gebote auf Komma und Strich genauestens zu befolgen und ja kein Jota
auszulassen? Also noch vollkommener, noch strenger, noch penibler? Geht das
überhaupt? Und ist das denn erstrebenswert?
Andererseits:
Geschah das Beobachten von Vorschriften und das Einhalten der vielen Gebote und
Verbote nicht oft formal und oberflächlich? War das nicht oft
Buchstabengerechtigkeit, ein Abhaken von Pflichten und Aufgaben? Aber wie sah es
dahinter und darunter aus? Wo war das Herz?
Liebe
Schwestern und Brüder!
Worum geht es
Jesus? Wir können sagen: Es geht ihm um die innere Einstellung. Es geht ihm um
die Haltung, mit der wir unseren Mitmenschen begegnen. Nicht erst die äußere
Handlung, die einen anderen schädigt, ist verwerflich, sondern das Übel beginnt
viel früher. Die böse Tat hat ihre Wurzel viel tiefer, nämlich in den Gedanken,
in den Worten und zutiefst im Herzen des Menschen. Eine nur formale und äußere
Beobachtung der Gebote ist zu wenig. Die Mindeststandards einhalten genügt
nicht.
Das zeigt Jesus
beispielhaft an drei Geboten. Auffallend ist, dass alle drei Beispiele, die
Jesus wählt, um die in seinen Augen größere Gerechtigkeit zu veranschaulichen,
aus dem zwischenmenschlichen Bereich stammen. Jesus ist anscheinend überzeugt:
Wenn Gott der ist, der Heil für alle Menschen will, dann muss sich dieses Heil
darin spiegeln, wie wir miteinander umgehen.
Erstes
Beispiel: „Du sollst nicht töten!“
Wo beginnt
Gewalt? Wenn die Fäuste und die Fetzen liegen? Beginnt Gewalt nicht viel früher?
Wann beginnt Mord
und Totschlag? Wenn ich auf jemanden mit dem Messer losgehe oder ihm den Kopf
einschlage?
Gewalt beginnt
doch nicht erst dort, wo jemand zuschlägt, draufhaut oder zusticht, sondern
schon bei den kleinen Nadelstichen vorher, beim Schimpfwort, bei der
Beleidigung, bei der Verleumdung, wenn ich einen anderen bloßstelle oder ihn
blamiere. Schon beim bösen Wort beginnt es.
Und wer genau
hinschaut, muss sagen, sogar noch früher. Denn schon bevor ein Schimpfwort oder
eine Beleidigung über meine Lippen kommt, habe ich ja im Herzen bereits Hass,
Zorn, Groll aufkommen lassen. Eigentlich beginnt Gewalt schon da, wo ich
schlecht und herabsetzend über den anderen denke.
Zweites
Beispiel: „Du sollst nicht die Ehe brechen.“
Wer sich keinen
Seitensprung zuschulden kommen lässt, ist das schon ein guter Ehegatte?
Jesus geht es
auch hier wieder um mehr und tiefer liegendes.
Er fordert einen
so unbedingten Willen zur Treue, dass nicht einmal treulose Gedanken oder
Phantasien darin einen Platz haben. Ehebruch ist das Äußerste, das Letzte.
Endpunkt einer schleichenden Gleichgültigkeit und Entfremdung. Zerrüttung und
Schuld beginnen früher. Jesus sagt, wer eine verheiratete Frau auch nur lüstern,
in verführerischer Absicht, anschaut, (um sie „auszuspannen“ und in Besitz zu
nehmen) der hat im Herzen bereits Ehebruch begangen.
Jesus will
deutlich machen, wo auch hier die Wurzeln der Sünde liegen und unseren Blick
dafür schärfen. Es gilt nicht nur die Spitze des Eisberges im Auge behalten,
sondern auch die tieferliegenden Gefahren zu sehen, sich davor in acht zu nehmen
und sie nicht zu verharmlosen. Auch hier genügt es nicht, nur die
Mindeststandards zu befolgen. Es gilt bereits den Anfängen zu wehren und zum
Beispiel den kleinen Beziehungsstörungen im Miteinander Beachtung zu schenken.
Denn wenn sie sich häufen und anwachsen, können sie mit der Zeit zu Schlimmem
führen und im Schiffbruch und in der Katastrophe enden.
Drittes
Beispiel: „Du sollst keinen Meineid schwören.“
Keinen Meineid
leisten ist schon was, gewiss. Jesus aber geht weit darüber hinaus. Er verbietet
den Eid generell.
Auch hier genügt
es nicht, nur die Mindeststandards zu befolgen. Jesus fordert vielmehr die
uneingeschränkte und bedingungslose Wahrhaftigkeit. Es geht ihm um eine
Wahrhaftigkeit, die das Schwören gänzlich überflüssig macht, wenn und weil jeder
sich auf mein Wort verlassen kann, weil man mir auch so – ohne Eid und Schwur –
glauben kann.
Jesus will, dass
wir im tiefsten Herzen immer und grundsätzlich wahrhaftig sind. Unser Denken,
Reden und Tun soll immer von Lauterkeit, Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit geprägt
sein.
Das ist, liebe
Mitchristen, gerade heutzutage angesichts der vielen Lügen und Unwahrheiten in
den Medien, angesichts der „Fake-News“ und „alternativen Fakten“, angesichts von
Hetze und Hass im Netz ein ganz aktuelles Thema.
Für jede
menschliche Gesellschaft ist es entscheidend und wichtig, dass man sich
aufeinander verlassen und darauf vertrauen kann, dass ein gegebenes Wort
eingehalten wird und ein Handschlag Gültigkeit hat.
Jesus sagt ganz
klar und deutlich: „Euer Ja sei ein Ja und euer Nein ein Nein! Alles andere
ist vom Bösen.“ Es geht also um Authentizität, Wahrhaftigkeit und
Glaubwürdigkeit.
Liebe
Schwestern und Brüder!
Es reicht nicht,
nur die Mindeststandards zu befolgen. Wie weit darf gehen? Was ist gerade noch
erlaubt? Was muss ich unterlassen, um nicht bestraft zu werden?
Ein gutes
Beispiel dafür scheint mir der barmherzige Samariter zu sein. Er hatte Mitleid
mit dem ausgeplünderten und halb tot daliegenden. Und er hat erste Hilfe
geleistet. Er hätte aber vom Gesetz her den Überfallenen nicht unbedingt in die
Herberge bringen müssen. Er hätte nicht auch noch die Pflege bezahlen und sogar
auf der Rückreise noch mal vorbeischauen und sich nach ihm erkundigen müssen. Er
tut mehr als das Mindeste. Er tut mehr als er muss. Er geht weit darüber hinaus.
Er hat ganz viel Empathie, Mitgefühl und Hilfsbereitschaft.
Der Priester und
der Levit, die kalt vorbeigehen, handeln wahrscheinlich nach ihren
Reinheitsgeboten sogar vorschriftsmäßig, äußerlich korrekt und doch handeln sie
nicht richtig. Gott erwartet mehr als eine weiße Weste und keinen Dreck am
Stecken.
Im
Schuldbekenntnis der heiligen Messe bekennen wir nicht nur, dass wir Böses getan,
sondern auch Gutes unterlassen haben. Wir bekennen nicht nur, dass wir im Tun,
in den Werken gesündigt haben, sondern auch in Gedanken und Worten.
Sehen Sie, liebe
Schwestern und Brüder, Jesus fordert uns in den drei Beispielen auf, tief in uns
hineinzuschauen: auf unser Leben, auf unser Handeln, auf unser Sprechen und
besonders auch auf unsere Motivationen, unsere (Hinter)-Gedanken, die
Beweggründe und Gefühle.
Bei all dem geht
es Jesus um eine von Gottes Liebe erfüllte, gelingende und glückliche
Lebensführung und ein gedeihliches Miteinander im Zusammenleben mit anderen.
Was Jesus will
und worum es ihm geht, können wir meines Erachtens zusammenfassen und auf den
Punkt bringen mit einem Wort aus seinem Mund, das ebenfalls in der Bergpredigt
steht und das die „Goldene Regel“ genannt wird: „Alles, was ihr von anderen
erwartet, das tut auch ihnen!“ (Mt 7, 12)
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