I st das nicht seltsam? Jesus beginnt seine
Verkündigung nicht in Jerusalem, der heiligen Stadt seines Volkes, der
Hauptstadt, dem Religionszentrum des Landes. Jesus fängt nicht bei der
religiösen Elite, den Frommen und Gesetzestreuen in Judäa an. Er beginnt sein
öffentliches Auftreten in der Nordwestecke des Landes, in der Provinz Galiläa.
Keine gute Adresse, würden wir heute sagen. Denn
Galiläa war nicht nur geographisch Randzone. Die Galiläer galten auch religiös,
glaubensmäßig als Randsiedler, als nicht ganz sauber, als halbe Heiden, jüdische
Diaspora sozusagen. Sie waren denen in Jerusalem suspekt, wurden von ihnen
gering geschätzt, ja sogar verachtet.
Wie kommt es zu solchem Argwohn?
Das hat mit der wechselvollen Geschichte zu tun, die die Menschen in diesem
Landstrich erlebt haben:
Im 8. Jahrhundert hatten die
Assyrer Galiläa erobert und hielten es besetzt. Viele Bewohner wurden getötet,
andere verschleppt.
An ihrer Stelle wurden heidnische Stämme
angesiedelt. Die Zurückgebliebenen hatten ein grausames Joch. Sie mussten hohe
Steuern und Tribute zahlen.
Dazu kam, dass sie gezwungen wurden, die assyrischen
Götter zu verehren. Und es blieb nicht aus, dass sie sich mit den eingedrungenen
Heiden vermischten. „Galiläa“ hatte von all dem her für die orthodoxen
Juden keinen guten Klang.
Der Prophet Jesaja bezeichnet dieses Land am Nordrand
Israels als Land der Finsternis. Er spricht vom „Volk, das im Dunkeln lebt
und von Menschen, die im Schattenreich des Todes wohnen“.
Sogar Matthäus spricht noch vom
„Galiläa der Heiden“.
Sehen Sie: da, in diesem Gebiet, beginnt Jesus seine
Tätigkeit, bei diesem Mischvolk, das viele fremde Einflüsse aufgenommen hatte
und auf das man von Jerusalem skeptisch und mit Argwohn schaute.
Für dieses Land und seine Menschen erfüllt sich nun die
Prophezeiung des Jesaja: Sie dürfen „ein helles Licht“ sehen.
Das Licht ist Jesus.
Er kommt zu den Verachteten und Verfemten. Ihnen geht ein Licht auf. Bei ihnen
wird es hell. Freude und Hoffnung kehren ein.
Der Apostel Paulus bringt es einmal folgendermaßen auf den
Punkt: „Das Schwache in der Welt hat Gott erwählt, um
das Starke zu beschämen, und das Niedrige in der Welt und das Verachtete in der
Welt hat Gott erwählt...“
Wir sehen das auch an Maria. Sie jubelt im Magnifikat,
dass Gott auf ihre Niedrigkeit geschaut und Großes an ihr getan hat.
Wir sehen das an Dominikus und Franziskus.
Wie oft
hat Gott bei den ganz Armen und Kleinen seinen Geist erweckt und in der Kirche
einen neuen Anfang gemacht?
Hat nicht auch Jesus aus ganz einfachen und kleinen Leuten
in Galiläa seine ersten Jünger berufen? Vielleicht auch deshalb, weil sie
im Gegensatz zu den Etablierten, Einflussreichen und Mächtigen ansprechbar
waren, ein offenes Herz hatten, Suchende, Hungrige waren, nicht eingebildet und
stolz, sondern wirklich „arm im Geist“, demütig, wissend, dass sie
sich vor Gott nicht brüsten und auftrumpfen können, dass sie auf keine
Leistungen und Verdienste pochen können, um so mehr aber bereit und fähig, auf
ihn zu hören, sich auf ihn zu verlassen und ihm zu vertrauen.
In Galiläa also beginnt der Herr
seine Verkündigung.
Doch, liebe Schwestern und
Brüder, das Land der Dunkelheit ist nicht bloß
Vergangenheit. Es ist auch Gegenwart. Es ist überall dort, wo z.B. Krieg, Armut,
Hunger und Rassismus herrscht. Es ist dort, wo auch heute noch ganze
Bevölkerungsschichten ausgebeutet und unterdrückt werden.
Doch nicht nur dort. Denn nicht nur
auf der geographischen Landkarte lassen sich dunkle Orte ausmachen, die auf
Licht warten. Gibt es diese Orte nicht auch in den Seelenlandschaften der
Menschen? Gibt es sie nicht in uns selbst?
„Das Volk, das im Dunkeln lebt“,
das können Menschen sein, die von Angst geplagt sind, in Depressionen stecken,
die Trauer, Hoffnungslosigkeit, Enttäuschung Ungerechtigkeit erleiden. Ihr
drückendes Joch kann eine unheilbare Krankheit sein, eine ausweglose Situation,
eine schlimme Notlage, ein unlösbarer Konflikt, Mobbing am Arbeitsplatz, burnout,
physischer und psychischer Zusammenbruch.
Solche „Schattenreiche des Todes“ spielen in jedes menschliche Leben hinein, mehr oder weniger, länger
anhaltend oder vorübergehend. Ich bin sicher: Jeder von uns kennt sie.
Genauso gut kennt jeder von uns aber auch
die Sehnsucht,
dass die Sonne wieder scheint, die Sehnsucht nach dem Licht am Ende des
Tunnels, die Sehnsucht nach Wärme, Geborgenheit, Verständnis,
Angenommensein, die Sehnsucht nach Boden unter den Füßen, die
Sehnsucht nach Sinn und Ziel und Halt, die Sehnsucht nach erwachender
Lebensfreude und neuem Lebensmut.
Der Evangelist Matthäus sagt und zitiert dabei Jesaja: Die
Sehnsucht der Menschen im Galiläa der Heiden, in diesem Randgebiet, die
Sehnsucht dieser Verachteten, Kleingehaltenen und Unterdrückten, ihre Sehnsucht
hat sich in und mit Jesu Auftreten erfüllt.
Denn „das Volk,
das im Dunkeln lebte, hat ein helles Licht gesehen; denen, die im Schattenreich
des Todes wohnen, ist ein Licht erschienen.“
Liebe Schwestern und Brüder!
Wie brachte Jesus Licht ins dunkle
Land und ins Dunkel der Herzen? - Auf zweifache Weise:
Zum einen durch sein
rettendes und befreiendes Wort. Es macht das Leben hell und reich. Es gibt, wie
es in einem Lied heißt: Trost und Halt in Bedrängnis, Not und Ängsten. Es ist
wie ein Stern in der Dunkelheit.
Zum anderen: bringt Jesus Licht ins Dunkel des Landes und
der Herzen durch seine Taten. Er heilt die Kranken und befreit Menschen aus der
Macht des Bösen.
Jesus lehrt nicht nur. Er verkündet nicht nur die
Botschaft vom Reich Gottes. Das Heil, das Jesus bringt, die neue Nähe Gottes,
die er vermittelt, wird konkret erfahrbar in seinem Tun. Wort und Tat sind
wirksame Zeichen der mit ihm und in ihm angekommenen Herrschaft Gottes. Mit ihm,
in ihm ist Gott selber zu den Menschen gekommen, sein Licht und sein Heil, sein
Erbarmen und sein Trost, seine Gnade und sein Friede. Er ist wirklich der
Immanuel: Gott mit uns.
Später wird Jesus von sich sagen: „Ich bin das Licht der Welt!“ Und:
„Wer mir nachfolgt, wandelt nicht in der
Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.“
Liebe Schwestern und Brüder!
Gottes Wort will und kann auch heute noch Licht in der
Dunkelheit sein, Trost und Halt in Bedrängnis, Not und Angst.
Und seine Gegenwart kann uns Hoffnung und Zuversicht
geben.
Am Ende des Matthäusevangeliums sagt Jesus:
„Seid
gewiss, ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Welt!“ Diese Gewissheit
seiner Gegenwart kann unser Leben hell und froh machen, sie kann uns helfen,
auch trübe Tage und dunkle Stunden zu bestehen, in schwierigen Situationen nicht
zu verzagen, sondern mutig und tapfer aus der Kraft des Glaubens das Leben zu
wagen.
Allerdings, um zu den Schattenreichen und dunklen Orten
heute zu kommen, braucht Gott auch Menschen. Er handelt nicht ohne uns, sondern
nur mit uns.
Und so wie Jesus die Jünger in seine
Nachfolge rief und später aussandte zwei und zwei in alle Städte und Dörfer, um
sein Heilswerk fortzusetzen, das Reich Gottes zu verkünden, den Menschen den
frieden zu bringen, Kranke zu heilen, Dämonen auszutreiben, so
sind auch wir Christen und Christinnen heute gerufen, Licht zu bringen in
dunkle Lande und Seelenlandschaften, Frieden, wo Streit und Zweitracht
herrscht, Hoffnung, wo Resignation oder gar Verzweiflung quält.
Christus will durch uns heute zu den Menschen
kommen.
Wir können und dürfen heute Boten und Botinnen
seiner Liebe sein, Werkzeuge seines Friedens. Wir können durch unsere Nähe die
Nähe Gottes, durch unser Erbarmen, das Erbarmen Gottes, durch unseren Trost den
Trost Gottes und durch unsere Liebe die Liebe Gottes erfahrbar machen.
Christus hat keine Hände nur unsere
Hände, um seine Arbeit heute zu tun. Hände aber, die schenken, erzählen von
Gott, Augen, die sehen, Lippen, die segnen, Worte, die heilen, sie erzählen von
Gott.
Und es erfüllt sich hier
und jetzt: „das Volk, das im Dunkeln lebt sieht ein
helles Licht; die im Schattenreich des Todes wohnen, geht ein Licht auf.“
Christsein
heißt Licht sein. Licht sein ist unsere Berufung.
Amen
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