Es kommt vor, dass Menschen ihren
Mitmenschen Tiernamen geben.
In Freundschaften und Partnerschaften
werden Tiernamen gern als Kosenamen verwandt,
z. B. „mein Mäuschen“ oder einfach
„Mausi“ oder auch „mein Häschen“, „meine Taube“.
Tierische Bezeichnungen haben wir auch,
wenn wir jemanden nicht mögen oder wenn jemand uns missfällt oder
ärgert.
Dann sagen wir „die blöde Kuh“ oder
„so ein Rindvieh“.
„Dummer Esel“, „alter Affe“, „neugierige Ziege“, „armes Schwein“, „sei
kein Frosch“
sind weitere solche Ausdrücke.
Auch die Bibel benennt dann und wann
Menschen mit Tiernamen.
Z. B. „Viele Stiere umgeben mich,
Büffel von Baschan umringen mich, reißende, brüllende Löwen.“
Gemeint sind böse Menschen: Übeltäter,
Feinde, Frevler, Verfolger.
Jesus selbst nennt Herodes einen
„Fuchs“ und zur heidnischen Frau sagt er eine jüdische Redewendung
aufgreifend:
„Es ist nicht recht, das Brot den Kindern
wegzunehmen und den Hunden“ (das heißt den Heiden) vorzuwerfen.“
Für Jesus selbst hat die Heilige Schrift auch
einen Tiernamen, nämlich “Lamm“, „Lamm Gottes“.
Johannes der Täufer nennt Jesus so. Er
bezeichnet ihn als „das Lamm Gottes, das die Sünder der Welt
hinwegnimmt.“
Die Liturgie hat das Wort übernommen.
In jeder heiligen Messe hat es seinen festen
Platz unmittelbar vor dem Kommunionempfang.
Es ist nahe liegend, dass viele Lieder
zum Brotbrechen das Motiv und die Bezeichnung aufgreifen.
Selbst in die Kunst hat das Lamm Eingang
gefunden.
Auf dem berühmten Isenheimer Altar in
Colmar ist es abgebildet.
Im Mittelpunkt dieses großartigen
Kunstwerkes ist die Kreuzigung Jesu dargestellt.
Zur Rechten des Gekreuzigten steht –
historisch unzutreffend, aber sachlich richtig – die Gestalt Johannes
des Täufers.
Seine rechte Hand weist mit übergroßem
Zeigefinger auf den, der am Kreuz hängt,
auf Christus, das Lamm Gottes, das die
Sünde der Welt hinwegnimmt.
Zu Füßen des Täufers befindet sich ein
kleines Lamm.
Es trägt einen Kreuzstab und aus seinem
Herzen fließt Blut in einen Messkelch,
Herzblut aus der Seitenwunde.
Grünewald malt kein Historienbild.
Er malt Heilsgeschichte,
Glaubensgeschichte:
Der hier gekreuzigt wird, das Lamm
Gottes, er ist der, der sich für uns aus Liebe hingegeben hat
und dessen liebende Lebenshingabe in
jeder heiligen Messe gegenwärtig wird.
Johannes der Täufer hält auf dem Bild des
Isenheimer Altares auf seinem linken Arm ein großes, aufgeschlagenes
Buch: das Alte Testament.
Das Bild des Lammes entstammt dem
Propheten Jesaja, genauer gesagt dem 4. Lied vom Gottesknecht.
Ein wesentliches Merkmal dieses
Gottesknechtes ist seine Gewaltlosigkeit.
Er schlägt – für viele unverständlich –
nicht zurück, er wehrt sich nicht.
Von ihm heißt es:
„Wie ein Lamm, das man zum Schlachten
führt, und wie ein Schaf angesichts seiner Scherer, so tut auch er
seinen Mund nicht auf.“
Sehen Sie:
Wenn Johannes der Täufer Jesus als
„Lamm Gottes“ bezeichnet, dann deutet er schon zu Beginn des
öffentlichen Wirkens das Todesschicksal Jesu an.
Er, Jesus, ist der verheißene
Gottesknecht, von dem Jesaja spricht.
Wie ein Lamm lässt er sich zur
Schlachtbank führen.
Wehrlos lässt er sich zum Opfer
ungerechter Gewalt machen.
Beim Stichwort „Lamm“ denken wir
unwillkürlich an „Opferlamm“.
In der Tat spielen Lämmer im jüdischen
Opferkult eine wichtige Rolle.
Lämmer wurden regelmäßig im Tempel als
Opfergabe dargebracht.
Am jüdischen Pessach-Fest schlachtete
jede Familie ein Lamm.
Beim Auszug aus Ägypten rettete das Blut
der geopferten Lämmer vor dem Todesengel.
Das Blut wurde als Schutzzeichen an die
Türpfosten gestrichen.
Das Lamm ist hier Symbol der Befreiung
aus Abhängigkeit und Not,
Symbol der Rettung des Gottesvolkes aus
bedrückender Herrschaft.
Noch etwas ist interessant:
Am Versöhnungstag praktizierten die
gläubigen Juden ein großes Sühneritual.
Dabei musste ein Bock stellvertretend für
die Sünden des Volkes sein Leben lassen.
Ihm wurden symbolisch alle Sünden
aufgeladen.
Dann wurde dieser Sündenbock in die Wüste
geschickt, um dort umzukommen und nie wieder
zurückzukehren.
Immer war das Opfern von Lämmern ein
Zeichen und Mittel für die Befreiung von Schuld.
Sowohl das Alte Testament als auch andere
Religionen waren davon überzeugt, dass es solcher Opfer bedürfe,
um Gott gnädig zu stimmen, um seinen Zorn
über die Sünden und Verfehlungen der Menschen zu besänftigen,
ja um sich loszukaufen durch eine
besondere Gabe.
Bedeutsam ist auch, dass Jesus – dem
Johannesevangelium zufolge – genau zu der Stunde starb als im Tempel
die Paschalämmer geschlachtet wurden.
Das will sagen: Jesus ist das Zeichen des
Heiles.
Er ist der Retter aus der Knechtschaft
von Sünde und Tod.
Er ist das Osterlamm des Neuen Bundes.
Eine wichtige Erkenntnis und Einsicht, ja
der Glaube der frühen Christen war:
Es braucht keine Lämmer und Opfer mehr,
um Vergebung der Sünden zu erwirken. Das alles ist nicht mehr nötig.
Denn Jesus hat uns losgekauft mit seinem
Blut. ER nimmt die Sünde hinweg. ER befreit aus aller Schuld.
Nicht der Mensch muss sich die Vergebung
seiner Schuld mühsam schaffen – Gott bietet sie ihm an.
Gott schenkt sie ihm in Jesus Christus.
An die Stelle des eigenen Tuns, tritt das
Empfangen.
An die Stelle der eigenen Leistung Gottes
Gnade.
An die Stelle der vielen Lämmer das eine
Lamm Gottes.
Sehen Sie:
Wenn die Urkirche nach Tod und
Auferstehung Jesu das Bild vom Lamm prägte, hat sie auf diese Weise eine echte
Frohbotschaft zum Ausdruck gebracht.
Vielleicht ist uns das Bild vom Lamm
Gottes heute fremd geworden.
Aber in der Heiligen Schrift und in der
Liturgie kommt es häufig vor.
Und die Aussage, die damit verbunden ist,
hat nach wie vor etwas ungeheuerlich Befreiendes an sich:
„Christus hat uns geliebt und sich für
uns hingegeben.“
Wenn der Priester in der Messe vor der
heiligen Kommunion die unscheinbare Hostie erhebt, den Leib Christi,
und auf ihn als das Lamm verweist, das
die Sünde hinwegnimmt,
dann ist das wirklich die
frohmachende Botschaft schlechthin.
„Durch seine Wunden sind wir geheilt.“
Wir sind erlöst und befreit.
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