EVANGELIUM
Frau, dein
Glaube ist groß!
+ Aus
dem heiligen Evangelium nach Matthäus
In jener Zeit
21zog
Jesus sich in das Gebiet von Tyrus und Sidon zurück.
22Und
siehe, eine kanaanäische Frau aus jener Gegend zu ihm und rief: Hab Erbarmen mit
mir, Herr, du Sohn Davids! Meine Tochter wird von einem Dämon gequält.
23Jesus
aber gab ihr keine Antwort. Da traten seine Jünger zu ihm und baten: Schick sie
fort, denn sie schreit hinter uns her.
24Er
antwortete: Ich bin nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt.
25Doch
sie kam, fiel vor ihm nieder und sagte: Herr, hilf mir!
26Er
erwiderte: Es ist nicht recht, das Brot den Kindern wegzunehmen und den Hunden
vorzuwerfen.
27Da
entgegnete sie: Ja, Herr! Aber selbst die kleinen Hunde essen von den
Brotkrumen, die vom Tisch ihrer Herren fallen.
28Darauf
antwortete ihr Jesus: Frau, dein Glaube ist groß. Es soll dir geschehen, wie du willst.
Und von dieser Stunde an war ihre Tochter geheilt.
Um eine Evangeliumsstelle zu verstehen, kann es
manchmal ganz gut und hilfreich sein (wie es z. B. im Bibliolog und im
Bibliodrama geschieht), sich in eine biblische Person hineinzuversetzen, sich -
so gut es geht - mit ihr zu identifizieren und sich ihre Situation zu eigen zu
machen. Ich habe es einmal versucht und bin in die Rolle der kanaanäischen Frau
aus dem heutigen Evangelium „hineingeschlüpft.“
Mich hätten sie am liebsten eingemauert, mich und
mein Kind. „Erspar uns den Anblick!“ „Rede nicht immerzu von deiner kranken
Tochter!“ „Halte sie von unseren Kindern fern!“
Mauern – Mauern – Mauern, wohin ich auch kam.
Schweigen – abgewandte Blicke – Abwehr.
Aber mein Kind sollte leben dürfen! Ich bin seine
Mutter! Ich wollte kämpfen für meine Tochter!
Da kam Jesus vorbei und ich schrie ihm nach:
„Und wenn ich mich in den Staub werfe vor dir
– Jesus – Sohn Davids, erbarmst du dich? Hilfst du mir?“
Ja, ich bin unmöglich, ich weiß es. Ich bin
grenzenlos unmöglich. Ich laufe dir nach, ich schreie, ich vergesse meine Würde
als Frau, ich gehe zu weit, ich gehöre ja nicht zu euch. Ich bin dir lästig,
Jesus!
Er schwieg.
Seine Jünger waren entsetzt über mich. Ihnen war
die Frau, die alle Tabus brach, peinlich. „Tu doch was“, sagten sie,
„sie schreit so fürchterlich!“ Aber Jesus wollte nicht. Er wollte nur für
die da sein, die schon zu ihm gehörten. Fremde galten nichts.
„Herr, hilf mir!“ schrie ich. „Du
kannst es! Ich liege vor dir im Staub und weine. Vielleicht winsele ich wie eine
Hündin. Und darum fällt dir das ein mit den Kindern, denen man das Brot nicht
wegnehmen sollte, um es den Hunden zu geben. Gut Jesus – dann bin ich eben eine
Hündin, die von den Abfällen von euren Tischen lebt. Aber lass mich leben,
Jesus, mit meiner Tochter! Mache sie heil!“
Die Jünger hielten den Atem an. Und Jesus?
Er sah mich an – das hätte er nicht erwartet, das
nicht! Dass eine kommt und ihm so widerspricht. Er sah mich an. Und er mauerte
mich nicht mehr. Er entzog sich mir nicht. Er nannte es Glauben, was mich so
stark machte im Kampf mit ihm.
„Frau“ sagte Jesus zu mir, „dein Glaube
ist groß. Dir geschehe, wie du willst!“
Ich habe meinen Gott gefunden, und er hat mich
und mein Kind erlöst.
Liebe Schwestern und Brüder!
Haben Sie es gemerkt? In der Begegnung mit der
kananäischen Frau geschieht etwas ganz Wichtiges und Gravierendes: Jesus geht
auf, dass er nicht nur zu den „verlorenen Schafen des Hauses Israel“ gesandt
ist, sondern auch zu den Heiden. Er sieht sich nicht mehr nur als „Messias der
Juden“, sondern als „Heiland und Erlöser aller Menschen“. In der Begegnung mit
dieser Frau lernt und erkennt Jesus, dass seine Sendung universalen Charakter
hat.
Jesus tut also einen Schritt über eine Schwelle,
den er zunächst nicht tun wollte. – Und es ist eine Frau, die ihn dazu bringt,
eine Heidin. Eine Mutter, die für ihr krankes Kind bittet. Und die um ihrer
Tochter willen keine Abweisung und keine Demütigung scheut.
Ich muss sagen: Mir ist diese heidnische Frau
sehr sympathisch. Ich bewundere ihr Dranbleiben und nicht Locker‑Lassen. Mir
imponiert ihre Beharrlichkeit, ja Hartnäckigkeit, mit der sie mit Jesus um die
Erfüllung ihrer Bitte ringt. Die Frau gibt nicht auf. – Und am Schluss lobt
Jesus ihren großen Glauben, ihr unbändiges und unerschütterliches Vertrauen.
Mögen auch wir nicht zu schnell resignieren und
aufgeben, wenn wir einmal nicht sofort und auf die Weise, wie wir es uns
wünschen, Erhörung finden. – Möge Gott auch den Glauben in uns – durch alle
Widerstände hindurch – mehren und unser Vertrauen stärken.
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