EVANGELIUM
Der Bräutigam
kommt! Geht ihm entgegen!
+ Aus
dem heiligen Evangelium nach Matthäus
In jener Zeit erzählte Jesus
seinen Jüngern das folgende Gleichnis:
1Mit
dem Himmelreich wird es sein wie mit zehn Jungfrauen, die ihre Lampen nahmen und
dem Bräutigam entgegengingen.
2Fünf
von ihnen waren töricht, und fünf waren klug.
3Die
törichten nahmen ihre Lampen mit, aber kein Öl,
4die
klugen aber nahmen außer den Lampen noch Öl in Krügen mit.
5Als
nun der Bräutigam lange nicht kam, wurden sie alle müde und schliefen ein.
6Mitten
in der Nacht aber hörte man plötzlich laute Rufe: Der Bräutigam kommt! Geht ihm
entgegen!
7Da
standen die Jungfrauen alle auf und machten ihre Lampen zurecht.
8Die
törichten aber sagten zu den klugen: Gebt uns von eurem Öl, sonst gehen unsere
Lampen aus.
9Die
klugen erwiderten ihnen: Dann reicht es weder für uns noch für euch; geht doch
zu den Händlern und kauft, was ihr braucht.
10Während
sie noch unterwegs waren, um das Öl zu kaufen, kam der Bräutigam; die
Jungfrauen, die bereit waren, gingen mit ihm in den Hochzeitssaal, und die Tür
wurde zugeschlossen.
11Später
kamen auch die anderen Jungfrauen und riefen: Herr, Herr, mach und auf!
12Er
aber antwortete ihnen: Amen, ich sage euch: Ich kenne euch nicht.
13Seid
also wachsam! Denn ihr wisst weder den Tag noch die Stunde.
Wenn ich eine
Predigt vorbereite, schaue ich mich gern um, was andere zu den biblischen Texten
des betreffenden Sonntages gesagt oder geschrieben haben. Oft bekomme ich dabei
ganz gute Impulse und Gedankenanstöße.
Diesmal bin ich
auf eine Predigt gestoßen, von der ich dachte, die ist so gut, so fantasievoll,
die ist im Aufbau und Gedankengang so gelungen und treffend, die kann ich mir
voll und ganz zu eigen machen, die kann ich ohne Weiteres übernehmen.
Die Predigt
stammt von Wolfgang Raible. Er ist Klinikseelsorger in Stuttgart. Hier ist sie:
Gleichnis mit Variationen
Verkündigung des Evangelium bis zum Vers 10: „…und die
Tür wurde zugeschlossen.“
An dieser Stelle
möchte ich kurz unterbrechen und Sie bitten, Platz zu nehmen. – Jetzt will ich
Ihnen die Geschichte zu Ende erzählen:
Nach einer Weile
kamen die gedankenlosen Jungfrauen mit den brennenden Lampen zurück und
begannen, ans Tor zu klopfen.
„Öffnet uns!“
riefen sie und baten, aber die verständigen Jungfrauen drinnen lachten. „Es
geschieht euch recht“, antworteten sie, „jetzt ist das Tor geschlossen, geht
eure Wege.“ Doch sie weinten und baten: „Öffnet uns, öffnet!“ Und da…
Jesus hielt inne
und lächelte.
„Und da…?“,
fragte Nathanael, der mit offenem Mund zuhörte… „Und da, Rabbi, was geschah da“?
„Was würdest du
tun, wenn du der Bräutigam wärst, Nathanael?“ fragte Jesus…
Nathanael
schwieg. Er sah noch nicht ganz klar, was er tun sollte.
Teils wollte er
sie fortjagen…, teils taten sie ihm leid und er wollte ihnen öffnen…
„Was würdest du
tun, Nathanael, wenn du der Bräutigam wärst?“ fragte Jesus von neuem…
„Ich würde
öffnen…“, sagte er leise…
„Recht getan,
Nathanael“, sagte Jesus froh und streckte seine Hand aus, als ob er ihn segnete…
Das Gleiche tat
auch der Bräutigam. Er rief den Dienern zu: „Öffnet das Tor, dies ist eine
Hochzeit, alle sollen essen und trinken und fröhlich sein! Lasst die
gedankenlosen Jungfrauen hereinkommen und sich die Füße waschen, denn sie sind
weit gelaufen!“
Wie gefällt
Ihnen dieser Schluss?
Mir ausgesprochen
gut! Er bestätigt das Bild eines gütigen Gottes, den Jesus uns immer wieder vor
Augen stellt:
-
wenn er
die Geschichte vom barmherzigen Vater erzählt, der dem verlorenen Sohn alle
Türen öffnet und ihn wieder in sein Haus aufnimmt;
-
wenn er
mehrmals das Wort des Propheten Hosea aufgreift: „Barmherzigkeit will ich,
nicht Opfer“,
-
wenn er
uns den Rat gibt: „Bittet, dann wird euch gegeben, klopft an, dann wird euch
geöffnet.“
Ich
finde diesen Schluss außerordentlich sympathisch.
Er hat nur einen
Schönheitsfehler: Von diesem „Happy End“ steht nämlich nichts in der Bibel. Er
stammt aus dem Roman „Die letzte Versuchung“ von Nikos Kazantzakis, dem großen
griechischen Schriftsteller, der durch „Alexis Sorbas“ weltberühmt wurde.
Ich möchte
einen zweiten Versuch machen, das Gleichnis zu Ende zu erzählen:
Als der Bräutigam
das Klopfen hört, ließ er sich berichten, was geschehen war. Dann zog er die
Brautjungfern mit dem Reserveöl zur Rechenschaft und sagte: „Warum habt ihr euer
Öl nicht mit den anderen geteilt?“
„Es hätte weder
ihnen noch uns gereicht“, antworteten sie.
Darauf entgegnete
der Bräutigam: „Ist nicht das Teilen viel wichtiger als das Licht selbst?“
Und er öffnete
die Tür, schickte die Brautjungfern weg, die nicht bereit waren, ihr Öl zu
teilen, und lud die anderen zu seiner Hochzeitsfeier ein.
Auch
diese Variante finde ich sehr gelungen.
Das ist der
Jesus, den wir kennen. Das entspricht dem, was Jesus den Menschen immer wieder
ans Herz legt:
-
wenn er die Geschichte vom barmherzigen
Samariter erzählt und zur Hilfsbereitschaft auffordert;
-
wenn er sagt:
„Wer dich bittet, dem gib, und wer von dir borgen will, den weise nicht ab“;
-
wenn er
deutlich macht, dass unsere Barmherzigkeit der einzige Maßstab ist, an dem
unser Leben gemessen wird:
„Ich war hungrig,
und ihr habt mir zu essen gegeben… Was ihr für einen meiner geringsten Brüder
getan habt, das habt ihr mir getan.“
Ein Jesus, der
Solidarität predigt und vor Egoismus warnt – das passt. Nur leider finden sich
diese Schlusssätze auch nicht im Evangelium, sondern bei Hermann-Josef Venetz,
einem fantasievollen Schweizer Neutestamentler.
Das echte Ende
der Geschichte ist hart und wenig herzlich:
Später kamen auch
die anderen Jungfrauen und riefen: „Herr, mach uns auf!“ Er aber antwortete
„Amen, ich sage euch: „Ich kenne euch nicht. Seid also wachsam! Denn ihr wisst
weder den Tag noch die Stunde.“
Diese
Version ist unbequem und provozierend.
Und sie gibt uns,
gerade vor dem Hintergrund der beiden anderen Versionen, zwei wichtige Impulse.
Der
Erste: Vertrau
auf einen gütigen Gott, aber bleibe wach für seinen Anspruch!
Er ist nicht nur
der liebe und barmherzige, der verzeiht und ein Auge zudrückt, sondern immer
auch der fordernde und aufrüttelnde Gott, der ernstgenommen und gehört werden
will; der uns fragt, was wir aus unseren Möglichkeiten gemacht haben; der uns
stört in unserer Bequemlichkeit und Gleichgültigkeit.
Und der
zweite Impuls:
Teile, so viel du kannst, aber nicht die Verantwortung für dein Leben!
Für deinen
Ölvorrat – um im Bild zu bleiben – bist du ganz allein verantwortlich. Die
Grundausrichtung deines Lebens, deinen persönlichen Lebensentwurf, deine Ziele,
deine Werte kannst du nicht borgen und ausleihen.
Verhindern, dass
du die Ölkrise kriegst und dein geistliches Leben langsam ausbrennt, dass dein
Christsein nur noch auf Sparflamme brennt – das kannst nur du allein.
Zeigen, dass du
Feuer gefangen hast und dich für die Sache Jesu begeisterst, dass das Licht
deines Glaubens leuchtet – das kann dir niemand abnehmen.
Ob du die
Öl-Tankstellen Gottesdienst, Gebet oder gute Gespräche über Bibel und Glauben
nützt, ob du deinen Ölstand regelmäßig prüfst und Reserven anlegst – das liegt
allein an dir.
Alle drei
Schlussversionen zum Gleichnis von den zehn Brautjungfrauen passen zu Jesus, zu
seiner Botschaft vom gütigen Gott und seiner Aufforderung zum Teilen.
Die Impulse der
unbequemen dritten hinterlassen den tiefsten Eindruck:
Vertrau auf einen
gütigen Gott, aber bleib wach für seinen Anspruch!
Teile, soviel du
kannst, aber nicht die Verantwortung für dein Leben!
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