Exerzitien mit P. Pius

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Gott, der wahre Hirt seines Volkes

(34. Sonntag im Lesejahr A - Christkönigssonntag; Ez 34, 11 - 12.15 - 17a)

Erste Lesung

 

Ihr, meine Herde, ich sorge für Recht zwischen Schaf und Schaf

 

Lesung

aus dem Buch Ezéchiel

 

11So spricht Gott, der Herr: Siehe, ich selbst bin es, ich will nach meinen Schafen fragen und mich um sie kümmern.

12Wie ein Hirt sich um seine Herde kümmert an dem Tag, an dem er inmitten seiner Schafe ist, die sich verirrt haben, so werde ich mich um meine Schafe kümmern und ich werde sie retten aus all den Orten, wohin sie sich am Tag des Gewölks und des Wolkendunkels zerstreut haben.

15Ich, ich selber werde meine Schafe weiden und ich, ich selber werde sie ruhen lassen – Spruch Gottes, des Herrn.

16Die verloren gegangenen Tiere will ich suchen, die vertriebenen zurückbringen, die verletzten verbinden, die schwachen kräftigen, die fetten und starken behüten. Ich will ihr Hirt sein und für sie sorgen, wie es recht ist.

17aIhr aber, meine Herde – so spricht Gott, der Herr —, siehe, ich sorge für Recht zwischen Schaf und Schaf.

 

 

 

Geht es Ihnen auch so, liebe Schwestern und Brüder, dass Sie sich freuen, wenn Sie einer Schafherde mit einem Hirten begegnen?

Für mich jedenfalls hat der Anblick immer etwas Schönes, etwas Erfreuliches und Wohltuendes.

Wie kommt’s? – Vielleicht ist es das Friedvolle und Beruhigende, das das Bild einer Schafherde ausstrahlt. Vielleicht schwingt aber auch ganz viel Sehnsucht mit, Sehnsucht nach Geborgenheit, Sehnsucht nach Behütet- und Umsorgt-Sein.

 

Am 27. April 2008 ist zwischen Fulda und Würzburg ein Schnellzug mit 200 km/h in einem Tunnel in eine Schafherde gerast. Wie durch ein Wunder kam keiner der Fahrgäste zu Tode. Es gab mehrere Schwerverletzte und eine ganze Reihe Personen mit leichten Blessuren. Viele kamen mit dem Schreck davon.

Doch wie konnte das passieren? Angesichts der dezimierten Schafherde und vieler verstümmelter Tierkadaver stellte sich die Frage nach den Verantwortlichen. Wo war der für die Schafe Zuständige? Wo war der Hirt, der Hüter der Tiere, dem die Schafe zur Obhut anvertraut waren?

 

Das Verwunderliche und Widersprüchliche war, dass in diesem Unglücksfall der zuständige Hirte seiner Verantwortung und Fürsorgepflicht offensichtlich nicht nachgekommen ist, jedenfalls nicht so, wie wir das mit dem Bild eines Hirten verbinden und auch von einem Hirten eigentlich erwarten.

Bei einem Hirten, der seine Aufgabe ernst nimmt und auf den man sich verlassen kann, bei einem Hirten, der wirklich Hirte ist, darf man davon ausgehen, dass er für die ihm anvertraute Herde sorgt, dass er die Tiere auf gute und sichere Weide führt, dass er sie vor Gefahren schützt und sich zu jeder Zeit um sie kümmert.

 

Liebe Mitchristen!

Hirte-Sein ist seit Tausenden von Jahren der Inbegriff von Fürsorge. Eine alte Darstellung aus Mesopotamien zeigt einen Hirten, wie er mit einem Spieß gegen einen Löwen vorgeht. Der nämlich will die Kuh angreifen, die gerade kalbt. Hirte-Sein heißt kämpfen gegen eindringende Feinde, gegen zerstörerische Mächte. Hirte-Sein heißt beschützen, hegen und pflegen, hüten und fördern, zärtlich und kraftvoll zugleich.

Im ganzen Orient – so auch in Palästina – wurde das Bild vom Hirten, der die ihm Anvertrauten führt und leitet, der für sie sorgt und sich um sie kümmert, nicht nur auf Gott, sondern auch auf die Herrscher des Volkes übertragen, auf Fürsten, Könige und Priester. Und so durchzieht das Bild und die Rede vom Hirten das ganze Alte Testament. Aber auch im Neuen Testament klingt das Hirten-Motiv an vielen Stellen an.

 

Heute, liebe Mitchristen, haben wir in der ersten Lesung einen kleinen Abschnitt bzw. Ausschnitt aus der großen Hirtenrede des Propheten Ezechiel gehört. – Allerdings handelt es sich nicht um eine Dank- und Lobrede, sondern um eine Schelt- und Drohrede. Der Prophet als Sprachrohr Gottes übt scharfe Kritik. Denn die „Hirten des Volkes“, gemeint sind die politischen Führer Israels, haben auf der ganzen Linie versagt. Sie haben Führung und Fürsorge vergessen und nur Augen für das eigene Wohl gehabt.

 

Sie „weiden nur sich selbst“, spricht Gott durch den Propheten. Sie kennen nur sich, haben nur ihre Karriere, ihre Selbstdarstellung, ihre Macht und ihr eigenes Wohlergehen im Sinn. Diejenigen, für die sie da sein und für die sie sorgen sollten, sind ihnen, völlig egal. Es sind schlechte Hirten. Sie kümmern sich nicht um ihre Schafe. Im Gegenteil: Sie beuten die Herde, die auf ihre Umsicht und Vorsicht, auf ihren Schutz und ihre Fürsorge angewiesen ist, rücksichtslos aus und sehen in ihr nur ein Mittel zum eigenen Zweck.

Und so lässt der Prophet Gott sprechen: „Die schwachen Tiere stärkt ihr nicht, die Kranken heilt ihr nicht, die Verletzten verbindet ihr nicht und die Starken misshandelt ihr.“ (Ez 34, 4)

 

Doch Gott ist das Volk nicht gleichgültig. Er macht der Herrschaft der schlechten Hirten ein Ende. „Ich rette meine Schafe aus ihrem Rachen, sie sollen nicht länger ihr Fraß sein.“ (34, 10)

ER, Gott selbst, macht sich auf den Weg, um seine verlorenen Schafe zu suchen, sie auf gute Weide zu führen und sich um sie zu kümmern. „ICH, ICH SELBST…“ ER kümmert sich so, wie man es von einem wahrhaft guten Hirten erwarten darf. Und ER tut es mit Hingabe und Leidenschaft. Ja, ER ist der wahre und gute Hirt.

(Hier setzen die Verse der heutigen Lesung ein!)

 

Anders als die Machthaber in Jerusalem, die die Herde im Stich gelassen haben, so dass sie sich in alle Richtungen zerstreut hat und zu einer leichten Beute für die wilden Tiere geworden ist, will Gott sein Volk neu sammeln und immer in seiner Mitte bleiben.

 

(Im Hintergrund steht die Hoffnung auf die Rückkehr aus der babylonischen Gefangenschaft. Diese Rückkehr aus der Verbannung in das eigene Land wird in den beiden – in der Lesung leider weggelassenen Versen 14 und 15 – ausdrücklich versprochen: Die Berge und Täler Israels sollen von neuem zum guten Weideland für die Vertriebenen werden.)

 

Gott selbst also nimmt das Heft in die Hand. Gott selbst wird für all das sorgen, was die pflichtvergessenen und selbstsüchtigen Machthaber in Jerusalem versäumt haben.

Er wird „die verloren gegangenen Schafe suchen, die vertriebenen zurückbringen, die schwachen kräftigen, die fetten und starken behüten.“ (V.16) Er sorgt dafür, dass sich alle wirklich sicher fühlen können und schaut danach, dass jedem das Seine zukommt.

 

Welch ein großartiges Gottesbild!

Welche Achtsamkeit und Aufmerksamkeit! Welche Fürsorge und Liebe für die Schafe!

Ein Bild voller Herzenswärme, das anspricht und berührt.

Der Evangelist Johannes hat es bewusst aufgegriffen und in der großen Rede vom guten Hirten (Joh 10) auf Jesus übertragen.

ER hat in seinem Leben gezeigt, was Liebe ist. ER hatte ein Herz für die Schwachen, die Armen, die Kranken, die Ausgestoßenen und die Sünder. Ein weites Herz, ein treues Herz, ein gütiges Herz.

Frühchristliche Darstellungen zeigen Jesus als Hirten, der behutsam ein Lamm auf seinen Schultern trägt. Als guter Hirt gibt er sein Leben hin für seine Schafe. Jesus selbst, „das Lamm Gottes“ und der „gute Hirt“ in einem, zeigt bewegend die Erlöserliebe Gottes.

 

Liebe Schwestern und Brüder!

Ob wir für andere Hirten und Hirtinnen waren, ob wir die Schwachen (im Evangelium die Hungernden, Kranken, Obdachlosen, Gefangenen und Unbekleideten) wahrgenommen, uns ihrer angenommen, uns fürsorglich ihnen zugewandt, uns um sie gekümmert und ihnen Herz und Hände geöffnet haben, ob wir uns auch für die Rechtlosen stark gemacht haben und für sie eingetreten sind, das wird am Ende unseres Lebens die große und alles entscheidende Frage sein.

 

So gesehen, ist jede und jeder – egal ob hauptamtlich, ehrenamtlich oder sonst was – gefragt, wenn es um „Pastoral“ geht, um Hirten­kunst und Hirtensorge. Sie zu erlernen, sie zu üben und auszuüben, kraftvoll und zärtlich zugleich, darauf kommt es an.

 

Jedenfalls, am Abend unseres Lebens wird es die Liebe sein, nach der wir gefragt werden, die praktische, konkrete Nächstenliebe.

Nicht von ungefähr sind die leiblichen und geistigen Werke der Barmherzigkeit (siehe Gl. 29,3) das Kennzeichen, aber auch der Maßstab und der Prüfstein, sozusagen die Checkliste unseres Lebens als Christen mitten in der Welt.

 

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