Ein
kleiner Junge kommt am Abend in die Küche zu seiner Mutter, die gerade
das Essen macht, und gibt ihr ein Stück Papier.
Die
Mutter trocknet ihre Hände an ihrer Schürze ab und liest, was ihr Sohn
auf den Zettel geschrieben hat:
Den Rasen
gesprengt: 3 Mark!
Die ganze
Woche mein Bett gemacht: 2 Mark!
Zum
Kaufmann gegangen: 50 Pfennig!
Beim
Autowaschen geholfen: 2 Mark!
Mit
Brüderchen spazieren gegangen als du beim Frisör warst: 1 Mark
Das
Unkraut im Garten ausgezupft: 2 Mark!
Im
Rechnen eine „1“ geschrieben: 5 Mark!
Macht
zusammen 15 Mark und 50 Pfennig!
Da stand
der Kleine nun erwartungsvoll vor seiner Mutter.
Und
tausend Erinnerungen kamen ihr in den Sinn.
So nahm
sie einen Bleistift, drehte den Zettel um und schrieb darauf:
Ich trug
dich neun Monate, dafür will ich keinen Pfennig!
Ich
wachte an deinem Bett, dafür will ich keinen Pfennig!
Ich
weinte um dich und auch dafür will ich keinen Pfennig!
Insgesamt
kostet dich all meine Liebe von mir keinen Pfennig!
Als der
Kleine das gelesen hatte, standen dicke Tränen in seinen Augen.
Er sah
seine Mutter an und sagte: „Mami, ich hab dich so lieb.“
Dann nahm
er den Bleistift und schrieb mit großen Buchstaben:
ALLES
BEZAHLT!!
Wahrscheinlich kennen sie diese Geschichte, dieses Lied, das in den 70er
Jahren gesungen wurde.
Egal was
Sie davon halten, ob ihnen diese Geschichte gefällt oder nicht, es
steckt auf jeden Fall eine gute Portion Lebensweisheit darin.
Nicht
alles lässt sich aufrechnen. Freundschaft, Liebe, Treue, Güte, Hingabe
lassen sich nicht verdienen und sind letztlich unbezahlbar.
Vieles im
Leben ist reines Geschenk.
Und doch
haben wir natürlich unsere Maßstäbe, wir vergleichen, stellen Rechnungen
auf, haben Ansprüche und Forderungen.
Eine Hand
wäscht die andere. Wer eine Leistung erbringt, will in der Regel den
Gegenwert erhalten, in welcher Währung auch immer. Das gilt für
Schulnoten genauso wie für die Autowäsche. Das gilt für das Gehalt und
das Honorar genauso wie für die Handwerkerrechnung. Selbst bei
Geschenken denken wir oft sofort an eine Gegenleistung und fühlen uns zu
Dank verpflichtet. Wie du mir, so ich dir.
Wie
wohltuend anders endet da die Geschichte von dem kleinen Jungen und
seiner Mutter. Sie macht uns darauf aufmerksam, dass nicht alles
verrechnet werden kann und darf. Es gibt auch das Gratis, das Umsonst,
das „aus Liebe“.
„Insgesamt kostet dich all die Liebe von mir keinen Pfennig!“
Das gilt
gerade auch für die wichtigsten und zentralen Bereiche menschlichen
Lebens. Für Güte und Treue, für Vertrauen und Hoffnung kann es keine
Preisschildchen geben, auch nicht für die Geduld, das Zuhören, das
Zeithaben oder das Verzeihen.
Liebe
Schwestern und Brüder!
Der
Gutsbesitzer im heutigen Evangelium zahlt allen Tagelöhnern, egal ob sie
10 Stunden oder nur eine Stunde gearbeitet haben, den vollen Tageslohn.
Alle bekommen einen Denar.
Gerecht
ist das nicht. Der Gutsherr verstößt ganz klar gegen das
Leistungs-Lohn-Prinzip. Den Unmut und Protest derer, die den ganzen Tag
und dazu noch in größter Hitze gearbeitet haben, können wir gut
nachvollziehen. Würden wir anders reagieren?
Nun,
liebe Schwestern und Brüder, worum geht es im Evangelium?
Jesus will nicht sagen, wie Lohnpolitik und Tarifrunden heute aussehen
sollen. Es geht nicht um unsere Gesellschaftsordnung. Es handelt sich
vielmehr um ein Gleichnis vom Reich Gottes. „Das Himmelreich ist wie…“
Jesus
will seinen Zuhörern damals und uns heute nahebringen, wie Gott ist und
worin sein Sinnen und Handeln besteht, nämlich in einer umwerfenden,
unbegreiflichen Güte.
Gott ist
wie der Gutsbesitzer, der immer wieder den Weg zum Marktplatz auf sich
nimmt, um Menschen zu werben, zu rufen und in seinen Dienst zu nehmen.
Mit den ersten vereinbart er einen Denar als Lohn. Den anderen sagt er,
dass er ihnen geben will, was recht ist. Bei der Lohnauszahlung am Abend
bekommen auch die Arbeiter, die nur eine Stunde Arbeitsmöglichkeit
hatten, also die mit schlechten Karten, die immer übrig geblieben sind,
die Schwachen und Zukurzgekommenen den Tageslohn von einem Denar, das
heißt ihren täglichen Lebensunterhalt. Er gibt ihnen das, was sie
brauchen, um mit ihrer Familie davon leben zu können. Er tut es aus
freien Stücken, ohne Gegenleistung. Er tut es aus Güte.
Soll er
nicht gut sein dürfen, wann er will und sooft er will?
Ist
dieses Gutsein Sünde? Liegt die Sünde nicht vielmehr bei denen, die sich
beschweren? Sie sind neidisch. Sie sind noch am Vergleichen und Rechnen.
Sie gönnen den anderen nicht, dass sie beschenkt werden, dass sie Güte
erfahren.
Gott aber
ist kein rechnender Geschäftspartner. Er ist mehr als gerecht. Er ist
großzügig, weitherzig.
Gott ist
gut. Er hat ein Herz für die Armen und Schwachen.
Wenn wir
einmal die Perspektive nicht der Arbeiter der ersten Stunde einnehmen,
die Rolle der Guten, der Frommen, der Leistungsstarken, sondern wenn wir
uns einmal mit denen der letzten Stunde identifizieren, dann erfahren
wir dieses Gleichnis als Frohe Botschaft. Dann dürfen wir uns glücklich
schätzen, dass Gott ein Gott ist, der uns ruft und annimmt, auch wenn
wir nicht viel vorzuweisen haben, ein Gott, der uns liebt, auch wenn wir
nie genug geglaubt, gehofft, geliebt habe.
Brüder
und Schwestern!
Sind wir
nicht alle immer wieder in der Situation der Arbeiter, die über ihren
Anspruch hinaus beschenkt werden? Sind wir nicht immer wieder angewiesen
auf Gottes Güte, sein Erbarmen, seine Gnade?
Sehen
Sie: Diese von Jesus erfundene Geschichte ist die wahrste Geschichte,
die es gibt. Sie sagt uns:
Es gibt
einen, dessen Liebe unser Messen und Rechnen weit hinter sich lässt. Es
gibt einen, dessen Verhalten alle Maßstäbe irdischer Gerechtigkeit
übersteigt. Es gibt einen, der nicht heimzahlt, sondern vergibt, der
nicht nachrechnet, sondern schenkt, der nicht einheimst, sondern
weggibt, der nicht kalkuliert, sondern gut ist, der nicht kleinlich ist
und knausert, sondern großzügig und voll Liebe.
Das zu
verkünden war das Anliegen Jesu.
Er selbst
hat uns geliebt und sich für uns hingegeben.
Ist das
nicht eine wahrhaft frohe Botschaft?
Wenn Gott
so ist, wie Jesus ihn uns schildert, dann brauche ich keine Angst zu
haben, auch wenn ich nicht viel vorzuweisen habe. Dann muss ich mir
seine Liebe nicht sauer verdienen. Ich darf sogar mit leeren Händen zu
ihm kommen. Ich darf auch mit meiner Schwachheit und meinem Versagen zu
ihm kommen, und darf aufatmen und neue Hoffnung schöpfen. Denn Gottes
Maß der Liebe ist maßlose Liebe.
Und wie
der kleine Bub in der Anfangsgeschichte angerührt und überwältigt ist
von der Liebe seiner Mutter und sich an ihr ein Beispiel nimmt, so
können und sollen wir uns immer wieder neu öffnen und vom Geist Jesu
berühren lassen, versuchen, immer mehr in seine Gesinnung
hineinzuwachsen, seine Konturen anzunehmen, aus seiner Liebe zu leben
und sie von ganzem Herzen weiterzugeben.
„Seid barmherzig, wie euer Vater im Himmel barmherzig ist“,
sagt Jesus. Und: „Liebt einander, wie ich euch
geliebt habe!“
Gottes
Liebe ruft unsere Liebe. |