Evangelium
Du
sollst den Herrn, deinen Gott, lieben; deinen Nächsten sollst du lieben
wie dich selbst
+
Aus dem heiligen
Evangelium nach Matthäus
In
jener Zeit
34als
die Pharisäer hörten, dass Jesus die Sadduzäer zum Schweigen gebracht
hatte, kamen sie am selben Ort zusammen.
35Einer
von ihnen, ein Gesetzeslehrer, wollte ihn versuchen und fragte ihn:
Meister,
36welches
Gebot im Gesetz ist das wichtigste?
37Er
antwortete ihm: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem
Herzen, mit ganzer Seele und mit deinem ganzen Denken.
38Das
ist das wichtigste und erste Gebot.
39Ebenso
wichtig ist das zweite: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich
selbst.
40An
diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten.
„Meister, welches Gebot im Gesetz ist das
wichtigste?“
Eine
altmodische Frage – so scheint es. Stellen wir sie ein bisschen anders:
Meister, was muss ich tun, damit mein Leben gelingt, im Ganzen gelingt?
Wie muss ich leben, damit ich glücklich werde? Worauf kommt es in meinem
Leben an?
Eine
höchst aktuelle Frage! Vielleicht die wichtigste überhaupt: Wie lebe ich
richtig? – Jesus gibt eine doppelte Antwort: Damit dein Leben gelingen
kann, sind zwei Dinge wichtig: Einmal, dass Gott in deinem Leben eine
Roll spielt. Dass dein Leben im Glauben an ihn ein festes Fundament hat.
Ebenso wichtig ist, dass du mit deinen Mitmenschen in guter Gemeinschaft
lebst.
Der
zweite Teil der Antwort leuchtet uns sofort ein: Mitmenschlichkeit,
Nächstenliebe: Das ist klar: Menschlich leben, glücklich leben, können
wir nur in guten menschlichen Kontakten mit anderen.
Der
erste Teil der Antwort ist heutzutage viel weniger selbstverständlich.
Gott? – Viele sagen: Wir brauchen ihn nicht. Wir kommen ganz gut ohne
ihn zurecht. Unser Leben bewältigen, mit unseren Problemen fertig
werden, das schaffen wir auch so.
Wir
wollen solche Menschen nicht verurteilen. Es kann viele Gründe geben,
warum ihnen der Glaube abhandengekommen ist oder ganz an den Rand
geraten.
Und
doch die Frage: Ist da nicht Wesentliches verloren gegangen? – Manchmal
bedrückt es mich richtig, wenn ich sehe, wie viele Kinder heute in ihrer
Familie praktisch ohne Glauben aufwachsen. Sie lernen nicht mehr, wie
man betet. Ich frage mich oft bekümmert, ob diesen Kindern nicht doch
etwas Wichtiges fehlt: die Überzeugung, dass unser Leben zutiefst
vertrauenswürdig ist, wert, gelebt zu werden.
Das
ist es ja, was die religiöse Erziehung dem Kind zuallererst vermitteln
soll: Ich bin geborgen. Nicht nur bei meinen Eltern. Sondern wir sind
miteinander geborgen in Gott. Mit all unserer Angst, mit all unserem
Kummer dürfen wir uns an ihn wenden. Er ist da. Er hört uns. Er lässt
uns nicht allein. Er nimmt Anteil an unserer Freude und an unserer
Angst. An allem, was uns bewegt.
Wie
vielen ist heute gerade dieses grundlegende Vertrauen verlorengegangen!
Wie viele haben das Gefühl, ihr Leben sei letztlich sinnlos. Oder ganz
und gar ohne Bedeutung. Ob das nicht auch mit dem Verlust des Glaubens
zu tun hat? Ich bin ziemlich sicher, dass das so ist.
Jesus sagt: Wenn dein Leben gelingen soll, dann sieh zu, dass Gott in
deinem Leben im Mittelpunkt steht. Dann vertraue ihm dein Leben an, mit
all deinen Kräften, mit allem, was du hast. Auch deine Niederlagen, auch
dein Versagen. Denn Gott ist barmherzig, Gott ist groß, groß im
Vergeben.
An
Gott glauben, sich ihm anvertrauen, das heißt für Jesus ganz und gar
nicht, sich von der Welt abwenden. Es heißt vielmehr: sich konsequent
den Menschen zuwenden. „Ebenso wichtig ist das zweite: Du sollst
deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“
An
Gott glauben: das kann man nicht an den Menschen vorbei. Gott lieben und
die Menschen, seine Geschöpfe nicht lieben, das wäre ein Unding. Der
erste Johannesbrief sagt es sehr drastisch: „Wenn jemand sagt: Ich
liebe Gott, aber seinen Bruder hasst, ist er ein Lügner“ (1 Joh 4,
20). Da nimmt er ja im Grunde auch Gott nicht ernst.
Den
Nächsten lieben wie sich selbst – das ist leichter gesagt als getan.
Mancher hat ja schon Schwierigkeiten, sich selbst liebenswert zu finden,
sich selbst zu akzeptieren. Es gibt Menschen, die sich selbst nicht
mögen, sich mit ihrem Charakter nur schwer abfinden können. – Jeder von
uns kennt das aus eigener Erfahrung: dass man plötzlich Dinge an sich
entdeckt, die man nicht leiden kann. Dass man auf erschreckende Weise
böse sein kann, verletzend, lieblos.
Der
Glaube an Gott sagt uns: Du bist liebenswert. So wie du bist. Mit deinen
Schwächen. Mit deinen Fehlern. Mit deinen Grenzen. Mit all dem, was du
an dir selbst nicht magst. Gott nimmt dich an, wie du bist.
Wem
das irgendwann aufgegangen ist – in einer schwierigen, belastenden
Situation, in einer beschämenden Erfahrung von Schuld: ich werde ja
geliebt, ich bin doch wertvoll –, dem wird auch aufgehen, was das heißt:
Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. – Versuch den anderen
anzunehmen, ihn zu verstehen. Mit all seinen Grenzen. Mit seinen
Fehlern. Mit dem, was dich an ihm ärgert. Denn er ist genauso
verletzlich, genauso unsicher wie du. Er wartet genauso wie du darauf,
verstanden, geliebt, ernstgenommen zu werden.
„Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und
mit deiner ganzen Seele und mit deinem ganzen Denken. Das ist das
wichtigste und erste Gebot. Ebenso wichtig ist das zweite: Du sollst
deinen Nächsten lieben, wie dich selbst.“ – In diesen schlichten
Worten ist im Grunde unser ganzer Glaube zusammengefasst. Darum geht’s.
Gott lieben, sich ihm anvertrauen ohne Vorbehalt und ohne Angst – und
den Menschen in Liebe zugetan sein: das ist ein verlässlicher Kompass.
Daran kann man sich halten.
(Diese Predigt orientiert sich an einer
Predigtvorlage von Franz-Josef Ortkemper)
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