Exerzitien mit P. Pius

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Gott und den Menschen lieben

30. Sonntag im Lesejahr A; Mt 22, 34 - 40

Evangelium

Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben; deinen Nächsten sollst du lieben wie dich selbst

+ Aus dem heiligen Evangelium nach Matthäus

In jener Zeit

34als die Pharisäer hörten, dass Jesus die Sadduzäer zum Schweigen gebracht hatte, kamen sie am selben Ort zusammen.

35Einer von ihnen, ein Gesetzeslehrer, wollte ihn versuchen und fragte ihn: Meister,

36welches Gebot im Gesetz ist das wichtigste?

37Er antwortete ihm: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit deinem ganzen Denken.

38Das ist das wichtigste und erste Gebot.

39Ebenso wichtig ist das zweite: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.

40An diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten.

 

 

 

„Meister, welches Gebot im Gesetz ist das wichtigste?“

Eine altmodische Frage – so scheint es. Stellen wir sie ein bisschen anders: Meister, was muss ich tun, damit mein Leben gelingt, im Ganzen gelingt? Wie muss ich leben, damit ich glücklich werde? Worauf kommt es in meinem Leben an?

 

Eine höchst aktuelle Frage! Vielleicht die wichtigste überhaupt: Wie lebe ich richtig? – Jesus gibt eine doppelte Antwort: Damit dein Leben gelingen kann, sind zwei Dinge wichtig: Einmal, dass Gott in deinem Leben eine Roll spielt. Dass dein Leben im Glauben an ihn ein festes Fundament hat. Ebenso wichtig ist, dass du mit deinen Mitmenschen in guter Gemeinschaft lebst.

 

Der zweite Teil der Antwort leuchtet uns sofort ein: Mitmenschlichkeit, Nächstenliebe: Das ist klar: Menschlich leben, glücklich leben, können wir nur in guten menschlichen Kontakten mit anderen.

 

Der erste Teil der Antwort ist heutzutage viel weniger selbstverständlich. Gott? – Viele sagen: Wir brauchen ihn nicht. Wir kommen ganz gut ohne ihn zurecht. Unser Leben bewältigen, mit unseren Problemen fertig werden, das schaffen wir auch so.

 

Wir wollen solche Menschen nicht verurteilen. Es kann viele Gründe geben, warum ihnen der Glaube abhandengekommen ist oder ganz an den Rand geraten.

 

Und doch die Frage: Ist da nicht Wesentliches verloren gegangen? – Manchmal bedrückt es mich richtig, wenn ich sehe, wie viele Kinder heute in ihrer Familie praktisch ohne Glauben aufwachsen. Sie lernen nicht mehr, wie man betet. Ich frage mich oft bekümmert, ob diesen Kindern nicht doch etwas Wichtiges fehlt: die Überzeugung, dass unser Leben zutiefst vertrauenswürdig ist, wert, gelebt zu werden.

 

Das ist es ja, was die religiöse Erziehung dem Kind zuallererst vermitteln soll: Ich bin geborgen. Nicht nur bei meinen Eltern. Sondern wir sind miteinander geborgen in Gott. Mit all unserer Angst, mit all unserem Kummer dürfen wir uns an ihn wenden. Er ist da. Er hört uns. Er lässt uns nicht allein. Er nimmt Anteil an unserer Freude und an unserer Angst. An allem, was uns bewegt.

 

Wie vielen ist heute gerade dieses grundlegende Vertrauen verlorengegangen! Wie viele haben das Gefühl, ihr Leben sei letztlich sinnlos. Oder ganz und gar ohne Bedeutung. Ob das nicht auch mit dem Verlust des Glaubens zu tun hat? Ich bin ziemlich sicher, dass das so ist.

Jesus sagt: Wenn dein Leben gelingen soll, dann sieh zu, dass Gott in deinem Leben im Mittelpunkt steht. Dann vertraue ihm dein Leben an, mit all deinen Kräften, mit allem, was du hast. Auch deine Niederlagen, auch dein Versagen. Denn Gott ist barmherzig, Gott ist groß, groß im Vergeben.

 

An Gott glauben, sich ihm anvertrauen, das heißt für Jesus ganz und gar nicht, sich von der Welt abwenden. Es heißt vielmehr: sich konsequent den Menschen zuwenden. „Ebenso wichtig ist das zweite: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“

An Gott glauben: das kann man nicht an den Menschen vorbei. Gott lieben und die Menschen, seine Geschöpfe nicht lieben, das wäre ein Unding. Der erste Johannesbrief sagt es sehr drastisch: „Wenn jemand sagt: Ich liebe Gott, aber seinen Bruder hasst, ist er ein Lügner“ (1 Joh 4, 20). Da nimmt er ja im Grunde auch Gott nicht ernst.

 

Den Nächsten lieben wie sich selbst – das ist leichter gesagt als getan. Mancher hat ja schon Schwierigkeiten, sich selbst liebenswert zu finden, sich selbst zu akzeptieren. Es gibt Menschen, die sich selbst nicht mögen, sich mit ihrem Charakter nur schwer abfinden können. – Jeder von uns kennt das aus eigener Erfahrung: dass man plötzlich Dinge an sich entdeckt, die man nicht leiden kann. Dass man auf erschreckende Weise böse sein kann, verletzend, lieblos.

Der Glaube an Gott sagt uns: Du bist liebenswert. So wie du bist. Mit deinen Schwächen. Mit deinen Fehlern. Mit deinen Grenzen. Mit all dem, was du an dir selbst nicht magst. Gott nimmt dich an, wie du bist.

 

Wem das irgendwann aufgegangen ist – in einer schwierigen, belastenden Situation, in einer beschämenden Erfahrung von Schuld: ich werde ja geliebt, ich bin doch wertvoll –, dem wird auch aufgehen, was das heißt: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. – Versuch den anderen anzunehmen, ihn zu verstehen. Mit all seinen Grenzen. Mit seinen Fehlern. Mit dem, was dich an ihm ärgert. Denn er ist genauso verletzlich, genauso unsicher wie du. Er wartet genauso wie du darauf, verstanden, geliebt, ernstgenommen zu werden.

 

„Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deinem ganzen Denken. Das ist das wichtigste und erste Gebot. Ebenso wichtig ist das zweite: Du sollst deinen Nächsten lieben, wie dich selbst.“ – In diesen schlichten Worten ist im Grunde unser ganzer Glaube zusammengefasst. Darum geht’s. Gott lieben, sich ihm anvertrauen ohne Vorbehalt und ohne Angst – und den Menschen in Liebe zugetan sein: das ist ein verlässlicher Kompass. Daran kann man sich halten.

 

 

(Diese Predigt orientiert sich an einer Predigtvorlage von Franz-Josef Ortkemper)

 

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