Das eben
gehörte Evangelium hat es in sich. Es hinterlässt ein zwiespältiges
Gefühl.
Denn die
Worte Jesu klingen hart, fordernd, kompromisslos.
Wer sie
hört, in dem kann sich geradezu Unwille regen und Abwehr hochkommen.
Ist das
nicht eine Überforderung, ja eine Zumutung, was Jesus da verlangt?
Sind
diese Maßstäbe nicht viel zu hoch? Wer kann das schaffen?
Wer hat
einen anderen noch nie einen Dummkopf, Idiot, blöde Kuh oder ähnliches
genannt?
Wer hat
sich im Zorn noch nie gegen seinen Nachbarn oder Kollegen ereifert?
Wer hat
im Ärger über einen anderen noch nie gesagt oder gedacht: „Die oder
den könnte ich würgen.“
Oder:
„den oder die würde ich am liebsten zum
Mond schießen.“
Oder wenn
Jesus sagt: „Wenn dein Bruder etwas gegen dich hat…“
Ich muss
also gar nicht mal etwas gegen ihn haben. Es genügt, wenn er etwas gegen
mich hat,
„…dann lass deine Gabe, geh und versöhn dich…!“
Müssten
wir da nicht alle aufstehen, den Gottesdienst vorläufig beenden und
gehen?
Die
Frage ist: Worum geht es Jesus?
Ein
Schlüssel zum Verständnis des ganzen Textes ist der Satz:
„Wenn
eure Gerechtigkeit nicht viel größer ist als die der Schriftgelehrten
und Pharisäer, kommt ihr nicht in das Himmelreich.“
Die
Schriftgelehrten und Pharisäer nahmen es mit den Geboten sehr genau. Sie
fasteten und opferten. Sie waren erklärte Gegner aller Lauheit und
Mittelmäßigkeit. Sie taten mehr als sie mussten.
Nun
sagt Jesus: „Wenn eure Gerechtigkeit nicht viel
größer ist als die der Schriftgelehrten und Pharisäer…“
Reicht
das nicht aus, was die Pharisäer tun?
Noch mehr
Gebote? Sie noch genauer beachten?
Noch mehr
fasten, opfern, beten?
Sind die
Pharisäer und Schriftgelehrten überhaupt zu übertreffen?
Kann man
die Gebote noch penibler beobachten und korrekter erfüllen?
In diesem
Punkt waren die Pharisäer doch Spitze!
Worum
geht es Jesus?
Es geht
Jesus gar nicht um mehr Gesetze und einen zusätzlichen Katalog von
Pflichten.
Es geht
ihm auch nicht um noch mehr Perfektion in der Beobachtung.
Er will
nicht noch mehr Moral einbläuen oder zusätzlich Druck machen.
Man
könnte sagen:
Jesus
will nicht quantitativ mehr, sondern qualitativ.
Reine
Buchstabengerechtigkeit, rein äußerliches Tun genügt ihm nicht.
Jesus
will etwas tiefer Gehendes, nämlich eine neue Grundhaltung.
Diese
besteht darin, nicht nur einfach das Böse zu meiden und seine Pflichten
zu erfüllen,
sondern
aus einer wahren Leidenschaft für das Gute zu leben.
Auf eine
innere Haltung also kommt es Jesus an, auf das „Herz“.
Die
Beziehung des Menschen zu seinem Mitmenschen, des Mannes zur Frau, des
Glaubenden zu Gott,
diese
Beziehungen werden doch nicht erst durch die schlimmsten Untaten wie
Mord, Ehebruch, Krieg, Meineid gestört und zerstört.
Das
tägliche Leben beweist zur Genüge, wie oft Mord, Ehebruch, Krieg und
Meineid nur das letzte Glied einer Kette von Taten sind, die wir
verharmlosen oder als Bagatelle ansehen.
Wer die
grobe Verletzung der Gebote Gottes vermeiden will, muss ganz vorne
anfangen.
Er muss
auch die vielen kleinen Schritte, die zu Mord, Ehebruch, Krieg und
Meineid führen, meiden.
Es gilt,
schon den Anfängen zu wehren.
Jesus
verdeutlicht, worum es geht, an einigen Beispielen:
Erstens:
Am Leben eines anderen vergehe ich mich nicht erst, wenn ich ihn
physisch töte, sondern auch, wenn ich ihm seelisch schade, indem ich ihm
zürne, ihn beschimpfe, ihn bloßstelle.
Während
das 5. Gebot des Alten Testaments lediglich den vollendeten Mord
untersagt, schärft Jesus ein:
„Jeder, der seinem Bruder auch nur zürnt, soll dem Gericht verfallen
sein.“
Nicht die
äußere Tat macht also schuldig, sondern bereits die hassgeprägte
Haltung.
Nicht
erst das Schlimmste, das Menschen sich antun, Mord und Totschlag, ist
verwerflich,
sondern
das Böse ist bereits da, wo sich im Herzen des Menschen Feindseligkeit
einnistet,
wo
Menschen einander mit Hass und Neid und Missgunst begegnen.
Jesus
verrät damit eine verblüffende Menschenkenntnis.
Einen
anderen tötet nicht erst, wer ihm das Messer in den Bauch stößt,
sondern
ebenso, wer ihn zum Selbstmord treibt, wer ihm das Leben verleidet,
dadurch,
dass er ihn zum Versager stempelt, ihn durch Arbeit zu Tode schindet
oder ihm jede Liebe entzieht.
Wie recht
Jesus hat, wenn er die neue Gesinnung des Menschen betont, bestätigt
auch unsere Sprache.
Wir
sagen z.B.: „Der ist für mich gestorben.“ –
„Die kann ich auf den Tod nicht leiden.“ – „Den mach ich fertig.“ –
„Den
würde ich am liebsten zum Mond schießen.“
Da soll
jemand sagen, diese Redewendungen hätten nichts mit Töten zu tun.
Innerlich
abrüsten! Sich mit dem Bruder, der Schwester versöhnen.
Solche
Versöhnung ist nicht erst dann angesagt, wenn sich in mir feindselige
Gefühle regen,
sondern
schon dann, wenn ich sie beim anderen vermute und wahrnehme.
Und:
Solche Versöhnung, sagt Jesus, ist wichtiger als die größte Opfergabe
und der feierlichste Gottesdienst.
„Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer.“
Als
zweites Beispiel (für die neue Gerechtigkeit) wählt Jesus die eheliche
Beziehung aus.
Ehebruch
liegt Jesus zu Folge nicht erst dort vor, wo jemand mit einem fremden
Partner schläft.
Ehebruch
geschieht bereits dort, wo jemand sich in Gedanken an einen anderen
heranmacht, um ihn oder sie aus der bisherigen Bindung herauszulocken.
Darum
verbietet Jesus nicht erst den vollendeten Ehebruch, sondern bereits das
lüsterne Begehren.
Ehebruch
beginnt bereits im Herzen.
Es gilt
daher nicht nur die äußere Tat zu unterlassen oder sozusagen den
direkten Seitensprung zu vermeiden,
sondern
auch daneben und davor schon einander in der Partnerschaft zugetan,
liebevoll und treu zu sein.
Sagen Sie
es selbst:
Was wäre
das für eine Ehe, wenn beide Partner unter Treue nur verstünden: Kein
Ehebruch, aber alles andere ist erlaubt?
Was wäre
das für eine Kümmerform ehelicher Treue?
Die neue
Gerechtigkeit, die Gesinnung, die Jesus fordert, drängt vielmehr auf
ungeteilte Liebe und Treue des Herzens.
Jesus
greift noch ein drittes Beispiel auf: den rechten Umgang mit der
Wahrheit.
Nicht
erst der Meineid ist verwerflich.
Jedes
Reden, das nicht von Lauterkeit geprägt ist, stammt vom Bösen,
jedes Ja,
das kein Ja ist und jedes Nein, das kein Nein ist.
Deswegen
will Jesus vom Schwören nichts wissen.
Wer
schwört, kokettiert mit der Unwahrheit:
„In diesem Fall kannst du mir absolut vertrauen. Ich schwöre es dir.“
Aber was
ist mit den anderen Fällen? Darf ich in ihnen unzuverlässig und
unwahrhaftig sein?
Jesus
will, dass wir im Innersten, im tiefsten Herzen, und immer und
grundsätzlich wahrhaftig sind.
Jesus
will auch hier wieder das Übel an der Wurzel treffen: im Herzen des
Menschen!
Jesus
richtet seinen Blick in die Tiefen des Menschenherzens.
Dort
möchte er Ordnung schaffen. Dort möchte er dafür sorgen, dass das, was
die menschlichen Verhältnisse vergiftet, ein Ende nimmt und ein anderes,
ein solidarisches Zusammenleben und Miteinander unter den Menschen Platz
greift und Raum hat.
„Selig, die ein reines (ein lauteres) Herz haben (ein Herz ohne Falsch),
denn sie werden Gott schauen.“
Nun kann
immer noch jemand sagen:
Aber sind
das nicht doch zu hohe Maßstäbe? Ist dieser „Numerus Clausus“, den Jesus
für das Reich Gottes aufstellt, nicht doch unerreichbar? Wer kann all
das erfüllen?
Sehen
Sie:
Der
gleiche Gott, der diese radikalen Forderungen stellt, der uns ständig zu
überfordern scheint, ist auch der barmherzige Gott, der nicht unser
Verderben will, sondern unsere Rettung, nicht unseren Untergang, sondern
unser Heil.
Er ist
kein Weltpolizist, kein Staatsanwalt, kein Aufpassergott.
Gott ist
vielmehr wie ein guter Vater und eine liebende Mutter.
Bei ihm
gibt es immer einen Weg zurück. Bei ihm ist die Tür immer offen.
Wo Reue
ist, da ist Vergebung.
Jesus
erzählt einmal vom Gebet zweier Männer:
Der eine
dankt Gott, dass er nicht wie die anderen ist, die Räuber, Betrüger,
Ehebrecher.
Der
andere steht ganz hinten. Er schlägt an seine Brust und betet: „Gott sei mir Sünder gnädig!“
Dieses
Gebet ist Ausdruck der neuen, der größeren Gerechtigkeit, um die es
Jesus in der Bergpredigt geht.
Jesus selbst sagt von sich und seiner Sendung:
„Ich
bin nicht gekommen, die Gerechten zu berufen, sondern Sünder.“
Und im 1.
Johannesbrief steht der wunderbare Satz:
„Klagt uns unser Herz auch an, Gott ist größer als unser Herz. Und er
weiß alles.“
Das ist
einfach nur tröstlich und hoffnungsvoll.
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