EVANGELIUM
Alle aßen und
wurden satt
+ Aus dem heiligen Evangelium nach Matthäus
In jener Zeit,
13als
Jesus hörte, dass Johannes enthauptet worden war, zog er
sich allein von dort mit dem Boot in eine einsame Gegend zurück.
Aber die Volksscharen hörten davon und folgten ihm zu Fuß aus den Städten nach.
14Als
er ausstieg, sah er die vielen Menschen und hatte Mitleid
mit ihnen und heilte ihre Kranken.
15Als
es Abend wurde kamen die Jünger
zu ihm und sagten: Der
Ort ist abgelegen und es ist schon spät geworden. Schick die Leute weg,
damit sie in die Dörfer gehen und sich etwas zu essen
kaufen!
16Jesus
aber antwortete: Sie brauchen nicht wegzugehen. Gebt ihr ihnen zu
essen!
17Sie
sagten zu ihm: Wir haben nur
fünf Brote und zwei Fische hier.
18Er
antwortete: Bringt sie mir
her!
19Dann
ordnete er an, die Leute sollten sich ins Gras setzen. Und er nahm die
fünf Brote und die zwei Fische, blickte zum Himmel auf, sprach den Lobpreis,
brach die Brote und gab sie den Jüngern; die Jünger aber gaben sie den Leuten
20und
alle aßen und wurden satt. Und sie
sammelten die übrig gebliebenen Brotstücke ein, zwölf Körbe voll.
21Es
waren etwa fünftausend Männer, die gegessen hatten, dazu noch Frauen und Kinder.
Johannes der Täufer
ist tot. Er wurde gewaltsam umgebracht.
Die Nachricht vom
Tod des Täufers erschüttert Jesus.
Der Verlust des
Freundes geht ihm nahe. Damit gilt es erst einmal fertig zu werden. Trauerarbeit
ist angesagt.
Da ist aber auch
die Ahnung, dass sich im Schicksal des Täufers sein eignes Schicksal abzeichnet,
dass es ihm genauso ergehen wird. Auch das gilt es zu verkraften.
In
dieser Situation
sehnt sich Jesus nach Stille, nach Ruhe, nach Alleinsein. Er flieht die Menge,
den Lärm. Er zieht sich in die Einsamkeit zurück.
Aber die Menschen
suchen ihn. Sie laufen ihm in Scharen nach. Sie sind tief gerührt von seiner
Verkündigung und von seiner Ausstrahlung, aber auch weil sie erfahren haben, wie
er hilft und rettet, wie er Gebeugte aufrichtet, Kranke heilt, das Böse
vertreibt und neues Leben schenkt.
Und so breiten
die Menschen erneut ihre ganze Not vor ihm aus.
Und Jesus lässt
sich anrühren und ergreifen. Es heißt: „Als er die vielen Menschen sah, hatte
er Mitleid mit ihnen.“
Das Leid, die
Not, das Elend der Menschen packt ihn zuinnerst.
Schon das, liebe Mitchristen, ist Frohe Botschaft, auch für uns heute! – Jesus sieht
die Menschen. Er nimmt sie wahr. Er geht nicht achtlos an ihnen vorüber. Er
lässt sich anrühren. Er stellt dafür sein eigenes Ruhebedürfnis vorübergehend
(siehe Mt 14, 23) zurück. Jetzt widmet er sich den Menschen, nimmt sich für sie
Zeit, und nimmt sich ihrer an.
Liebe
Mitchristen!
Auch ich, auch
wir, jeder von uns kann und darf zu ihm kommen mit seiner Not, mit seinen Sorgen
und Ängsten, mit seiner Sehnsucht nach Heil und Heilung. ER sieht uns. ER kennt
uns.
ER weiß um uns.
Und ER ist da für uns.
Als es Abend wird
machen sich die Jünger Sorgen. Es sind Tausende versammelt. Was machen mit all
diesen Menschen? Woher Brot nehmen für so viele?
Der einzige
Ausweg: „Schick sie weg!“ Das wäre die Einfachste aus der Sicht der
Jünger. Dann hätten sie das Problem vom Hals.
Jesus sagt kurz
und bündig: „Sie brauchen nicht weggehen.“
Und gibt dann den
atemberaubenden Auftrag: „Gebt ihr ihnen zu essen!“ – Doch sie haben nur
fünf Brote und zwei Fische. Mehr nicht! Das reicht kaum für sie selbst.
Liebe
Schwestern und Brüder!
Die
Brotvermehrung wurde in der Vergangenheit schon sehr unterschiedlich ausgelegt.
Und auch heute gibt es verschiedene Interpretationen.
Eine der
häufigsten ist diejenige, die in dem Appell gipfelt: Teilen! Das, was wir haben,
teilen! Nicht raffen, gieren, geizen. Teilen! Geben! Nach dem Motto: „Wenn
jeder gibt, was er hat, dann werden alle satt.“ Teilen! Und so den Hunger
überwinden.
Diese
Interpretation
geht oft davon aus, dass die Jünger, als Jesus sagt: „Gebt ihr ihnen zu
essen!“ einfach mal anfingen das Brot zu brechen, das sie hatten, und
auszuteilen.
Ihr Beispiel habe
dann Schule gemacht. Als die Menschen das Tun der Jünger sahen, hätten alle
angefangen, ihre heimlichen Vorräte auszupacken und mit-zu-teilen. So geschah
es, dass am Ende alle satt und zufrieden waren und sogar noch zwölf Körbe übrig
blieben.
Der Appell – bei
dieser sozialen Auslegung der Brotvermehrung – wird dann gewöhnlich dahin
erweitert: Warte nicht auf die andern, sei nicht verzagt wegen des Wenigen, wage
mutig einzusetzen, was du hast, auch wenn es dir klein und gering und ungenügend
vorkommt. Und du wirst Wunderbares erleben.
Fang an,
riskiere, investiere! Dein Beispiel kann ansteckend wirken. Es mag auch andere
animieren, nicht zu horten und zu bunkern, sondern freigebig und großzügig zu
sein.
Eine
weitere Deutung
der Brotvermehrung zielt in eine andere Richtung und hat mehr spirituellen
Charakter: Sie greift ein Wort von Jesus auf, das lautet: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein.“
Die Menschen –
zumindest hierzulande – sind zumeist satt, was aber nicht heißt, dass sie auch
glücklich sind. Sie leiden und hungern nach Lebenssinn. Der Mensch lebt eben
nicht nur vom Kühlschrank und vom Bankkonto. Der eigentliche Hunger ist tiefer.
Brot und Fisch stehen symbolisch für Zuwendung und Güte, für Liebe und Erbarmen,
Bejaht- und Angenommensein.
Diese
Deutung
entspricht der Antwort, die – in der Geschichte von der Rose – Rainer Maria
Rilke seiner Freundin gegeben hat.
Rilke hatte in
die Hand einer Bettlerin eine Rose gelegt. Daraufhin war die Bettlerin eine
Woche lang nicht mehr an ihrem gewohnten Platz. Rilke sagte: „Man muss dem
Herzen schenken, nicht nur der Hand.“ Und auf die Frage seiner Begleiterin,
wovon die Bettlerin all die Tage gelebt habe, da niemand ihr etwas gab, sagte
der Dichter: „Von der Rose“.
All
diese Deutungen
haben etwas für sich und sind sehr verständlich. Aber wenn es so gewesen wäre,
warum berichtet es der Evangelist dann nicht?
Eine
weitere Deutung
betont das Wunder und hält an ihm fest.
Deuten die vielen
Wunderberichte in den Evangelien nicht darauf hin, dass die Wundertätigkeit Jesu
eine Realität war?
Blinde, die
sehen; Lahme, die gehen; Aussätzige, die rein werden; Taube, die hören und Tote,
die aufstehen?
Wenn
Jesus einen Lazarus von den Toten auferweckte und er selbst aus dem Grab
erstand, sollte er dann nicht mit 5 Broten und 2 Fischen eine große
Menschenmenge sättigen können?
Soll das
für Jesus, den Sohn Gottes, nicht möglich sein? „Für Gott ist nichts
unmöglich“, heißt es an verschiedenen Stellen der Heiligen Schrift.
Außerdem
fällt auf, dass
die Brotvermehrung sechs Mal in den Evangelien erzählt wird. Bei Markus und
Matthäus kommt sie doppelt vor, einmal als Speisung der 5.000, das andere Mal
als Speisung der 4.000. Soll das immer ein Märchen sein oder nur reine
Symbolgeschichten, frei erfunden, ohne realen Hintergrund im Leben Jesu?
Liebe
Schwestern und Brüder!
Lang und
ausführlich kann man darüber spekulieren und diskutieren, wie die Brotvermehrung
vor sich ging, wie von fünf Broten und zwei Fischen so viele Menschen satt
werden konnten.
Etwas
anderes ist es,
die Brotvermehrung im Zusammenhang mit dem Mahl zu sehen, das Jesu im Kreis der
Seinen am Abend vor seinem Leiden gefeiert hat. Das wäre der eucharistische
Bezug und der eucharistische Hintergrund. Als die Evangelisten die verschiedenen
Erzählungen der Brotvermehrung in ihre Evangelien aufgenommen haben, da wurde in
den Gemeinden ja bereits die Eucharistie gefeiert.
Es fällt
auf, wie
ausführlich und fast wortgetreu bei den Brotvermehrungen erzählt wird, wie Jesus
das Brot nimmt, zum Himmel aufblickt, den Lobpreis spricht, die Brote bricht und
sie den Jüngern gibt. Der Anklang an den Abendmahlsbericht ist – sowohl im
Handlungsablauf als auch im Wortlaut – unverkennbar. Die Parallele ist
offensichtlich und kein Zufall. Da wird ganz bewusst eine Brücke gespannt und
ein Verbindung hergestellt.
So
gesehen sind
die mehrfach berichteten Speisungen von Tausenden von Menschen Voraus-Zeichen
dafür, was es heißt: „Ich bin das Brot des Lebens!“ – Ich gebe mich für
euch! Ich bin für euch da! Oder – wie es Jesus dann in der Brotrede im
Johannesevangelium sagt: „Wer zu mir kommt, wird nicht mehr hungern, und wer
an mich glaubt, wird nicht mehr dürsten.“
Das
heißt und bedeutet auch:
Jesus, das Brot des Lebens, will nicht unseren leiblichen Hunger stillen – die
Eucharistie ist kein bloßes Sättigungsmahl – , sondern unseren Hunger nach
dauerhaftem Glück, nach unzerstörbarer Gemeinschaft, nach endgültiger Zukunft.
Das Brot, das Jesus selber ist und in dem er sich selbst uns gibt, will unseren
Glauben nähren, unsere Hoffnung stärken und unsere Liebe antreiben.
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