Jesus hat
Mut.
Er beruft einen
Zöllner in seine Jüngerschar, wenig später sogar in den Zwölferkreis. Er erwählt
ihn zum Apostel (Mt 10, 3).
Jesus hat
Mut.
Zöllner
galten berufsmäßig als Sünder. Man sah in ihnen Ausbeuter, Betrüger, Blutsauger.
Außerdem galten Zöllner als Kollaborateure der römischen Besatzungsmacht. Sie
verdienten ihr Geld als deren Steuereintreiber.
Zöllner
waren zutiefst verachtet, gemieden, ja regelrecht verhasst. Sie wurden mit
Verbrechern auf eine Stufe gestellt. Ihre Art, Geld zu machen, erlaubte es ihnen
nicht, am religiösen Leben teilzunehmen. Nach jüdischem Recht waren sie aus der
Synagoge ausgeschlossen.
Pharisäer
duldeten in ihren Reihen keine Zöllner. Zu Leuten, deren Unreinheit zum Himmel
stinkt und wo man selbst unrein wird, wenn man mit ihnen Umgang pflegt, zu
solchen wurde strikt Distanz gehalten und sich klar abgegrenzt.
Ausgerechnet
einen Zöllner beruft Jesus in seine
Gefolgschaft.
Hätte es nicht
genügend rechtschaffene Menschen gegeben, die Jesus hätte berufen können?
Und auffällig:
dieser steht sofort auf und folgt Jesus. Kein Zögern, kein Nachfragen,
kein Erst noch, kein Wenn und kein Aber. Es ist als habe Matthäus auf diese
Chance gewartet. Auf der Stelle ist er bereit, alles zu verlassen und seine
Leben zu ändern.
Eine Bekehrung von 0 auf 100.
Oder
war schon einiges vorausgegangen? War in ihm schon einiges vorgegangen? War er
mit seinem bisherigen Leben unzufrieden? Spürte er in sich eine innere Unruhe?
Fühlte er sich unerfüllt, suchend und fragend? Hielt er Ausschau nach etwas ganz
anderem?
Oder
hatte er schon von Jesus gehört? Vielleicht sogar Zachäus gekannt, den
Oberzöllner, und von seiner Begegnung mit Jesus vernommen: „Bei einem Sünder
ist er eingekehrt“, murren die Frommen. Jesus sagt: „Heute ist
diesem Hause Heil widerfahren!“
Ist Matthäus
sich seiner eigenen Heillosigkeit bewusst? Wie kann er frei werden aus dem,
worin er festsitzt? Wie sich herauswinden aus den Dunkelheiten, die ihn
einhüllen?
Wie auch
immer: Er ist wohl zum Nachdenken
gekommen.
Eine Sehnsucht
ist in ihm geweckt worden, eine Sehnsucht nach mehr, nach erfüllterem, nach
heilem und befreitem Leben.
Vielleicht
hat er Jesus auch predigen gehört, z.B. das Gleichnis vom guten Hirten. So
ist Gott. Er geht dem Verlorenen nach und bringt es voll Freude heim,
wenn es sich finden lässt. Bei ihm ist mehr Freude über einen einzigen
Sünder, der umkehrt als über 99 Gerechte, die meinen, sie bräuchten keine
Umkehr.
Oder
das Gleichnis vom barmherzigen Vater. So ist Gott. Bei ihm gibt es
immer einen Weg zurück. Bei ihm ist die Tür immer offen. Es gibt keine
Sünde, die Gott nicht vergeben könnte. Seine Liebe ist größer als alle Schuld.
Die Botschaft vom Ja Gottes zu jedem Menschen, gerade auch zum Verlorenen,
Gescheiterten, von anderen verachtet, abgeschrieben, ausgegrenzt, diese
Botschaft ist Matthäus wohl nicht nur zu Ohren gekommen, sondern hat sein
Herz erreicht und den Boden bereitet für die Gunst der Stunde, den Augenblick
der Begegnung mit Jesus an der Zollstätte.
Da braucht`s
nicht mehr viel. Es genügt der Blick Jesu:
ein Sehen,
das nicht am Äußeren hängen bleibt, sondern tiefer geht, ein Sehen, das
das Verwundete, Verschüttete, Sehnsüchtige wahrnimmt, ein Sehen, das
Ansehen schenkt dem Unansehnlichen.
Es genügt der
Ruf: „Folge mir nach!“ Worte,
die ihn ganz persönlich meinen und ihm bewusst machen, was er eigentlich sucht:
Gemeinschaft, nicht mehr außerhalb stehen, dazu gehören...
Matthäus
sieht seine Chance und ergreift sie. Er wagt es, einen neuen Anfang zu
setzen. Er ist bereit, zu neuen Ufern aufzubrechen. Jetzt zählt nicht
mehr Profit, Prestige und Position.
Jesus
beginnt beherrschend in die Mitte seines Lebens zu treten. Er hört auf ihn und
geht mit ihm. Er wird Jünger Jesu und später Evangelist, der uns die Worte und
Taten Jesu berichtet, des Gesandten Gottes, der auch uns ruft, ihm zu folgen,
ihm zu vertrauen und ganz fest an die Güte und das Erbarmen des Vaters zu
glauben.
Dann gibt
Matthäus ein Mahl. Zöllner und
Sünder essen mit Jesus und den Seinen. Die sich als Sünder wissen suchen seine
Nähe. Sie suchen seine Gemeinschaft. Sie laden ihn zu Gast.
Jesus
nimmt die Einladung an. Er erweist sich solidarisch. Tischgemeinschaft als
Ausdruck von Wertschätzung, Zuwendung, ja beginnender Freundschaft. Er ist ja
gekommen, um Heil und Erlösung zu bringen für alle. Gerade den
Gestrauchelten, Gestrandeten, den Verlorenen und Heillosen gilt seine Liebe. Die
Armen und Kranken liegen ihm besonders am Herzen. Ihnen wendet er sich vor allem
zu. Dadurch bezeugt er das vorbehaltlose Ja Gottes zu jedem Menschen,
auch den Sündern.
Jesus in
schlechter Gesellschaft!
Tischgemeinschaft mit Zöllnern und Sündern! Eine ungeheure Provokation. Ein
Skandal. Die Pharisäer reagieren empört. Jene, die alles tun, um
möglichst genau die Gesetze zu beachten und die sich darum selbst für „gerecht“
halten, das heißt rechtschaffen vor Gott, nehmen Anstoß.
Für sie
ist das Verhalten Jesu total unverständlich, unmöglich, unerträglich! Musste er
soweit gehen?
Aus ihrer
Sicht ist Buße der Schlüssel zur
Gnade Gottes.
Sühne, Opfer,
Wiedergutmachung sind nach ihrer Auffassung unabdingbare Voraussetzung, um das
Heil Gottes zu erlangen. Mit guten Werken und religiösen Leistungen muss man
sich sein Erbarmen verdienen, sich Versöhnung und Heil erwerben.
Jesus
hat ein anderes Bild von Gott. Er denkt und handelt anders: Gott sagt
vorbehaltlos Ja zu einem jeden und nimmt ihn an, so wie er ist, ein
großes Ja, ohne Wenn und Aber, ein Ja, das durch nichts und niemanden
in Frage gestellt und aufgehoben
werden kann. Gott
handelt aus grundsätzlichem Erbarmen.
Jesus
knüpft die Gnade Gottes nicht an Bedingungen. Sein Erbarmen hängt nicht von
Umständen ab. Es ist vorraussetzungslos, grenzenlos, allumfassend, ohne
Schranken und Ausnahmen.
(Aus diesem Geist sollen auch
wir leben und aneinander handeln. „Komm und folge mir!“ Das ist letztlich die
Aufforderung an uns, dem Handeln und Denken Jesu zu folgen.)
Jesus hört das Murren und die Einwände der Pharisäer, auch wenn sie nicht ihn
direkt zur Rede stellen, sondern sich mit ihrem Protest und Ärger an seine
Jünger wenden.
Er antwortet mit drei Sätzen:
„Nicht die
Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken.“
Jesus sieht
sich als Arzt, als Therapeut. Er
sieht sich gesandt für die Kranken, die Heillosen, für alle, die in der Sünde an
sich selbst vorbei leben. „Ich bin gekommen“, sagt Jesus einmal, „um
zu suchen, was verloren war und zu heilen, was verwundet ist.“
Das ist seine
Sendung. Das ist der Wille des Vaters.
Wir sind
eingeladen, bei Jesus Heilung zu
erfahren. „Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen
habt, ich will euch erquicken. Ich will euch stärken, Ruhe verschaffen.“
Wir sind
eingeladen, mit unseren Verwundungen,
Verletzungen und Enttäuschungen zu ihm zu kommen, der gekommen ist, um
die Verlorenen zu suchen und die Verwundeten zu heilen.
Gleichzeitig
sind wir aufgerufen, miteinander
achtsam, heilsam, verständnisvoll, liebevoll umzugehen. „Seid barmherzig, wie
euer Vater im Himmel barmherzig ist!“ „Liebt einander, wie ich euch geliebt
habe!“ Gottes Liebe ruft unsere Liebe. Es ist Liebe zu Gott, wenn wir die
Schwester, den Bruder lieben.
Auch die in
der Seelsorge Tätigen müssen sich
immer wieder fragen, ob und inwiefern ihr Tun wirklich „Seel-Sorge“ ist, dass
sie Menschen nicht geistlich missbrauchen, ausnutzen, klein und abhängig halten,
sondern sich ihrer annehmen, Wunden heilen, aufrichten und zum Leben befreien.
Therapeutische Seelsorge: Das
Christentum ist nicht in erster Linie Askese und Moral, sondern eine mystische
und therapeutische Religion. (Eugen Biser)
Der zweite
Satz lautet:
„Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer.“
Jesus greift hier
ein Wort des Propheten Hosea (6, 6) auf und spitzt es zu: Nicht auf äußere Werke
des Gesetzes kommt es an, sondern auf Liebe und Barmherzigkeit.
„Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer.“
Matthäus bringt diesen Satz zweimal
in seinem Evangelium. Offensichtlich sieht er darin etwas ganz wichtiges.
Barmherzigkeit: Es drückt das Wesen Gottes aus. Es ist das Wesentliche im Wirken Jesu.
Es ist das Kennzeichen des Reiches Gottes, das in Jesus beginnt.
Herzliches
Erbarmen und helfende Liebe ist der
Dienst, den Gott eigentlich will. Ohne Barmherzigkeit, ohne Liebe, die dem
anderen Gutes will und Gutes tut, ist alles Beten, Fasten und Opfern frommes
Getue und unser ganzer Gottesdienst nicht viel wert.
Darauf
weisen die Propheten immer wieder hin in ihrer Kritik an einem veräußerlichten
Kult, an religiösem Funktionieren und routinemäßigen gottesdienstlichen
Vollzügen. Für sie und auch für Jesus ist Erbarmen und verzeihende Liebe
die eigentliche Form von Gottesdienst.
Jesus sagt:
„Wenn du deine Gabe zum Altar bringst und du denkst daran, dass dein Bruder
etwas gegen dich hat, lass deine Gabe liegen, geh hin und versöhne dich mit
deinem Bruder! Dann komm und opfere deine Gabe!“
Gott will
zuerst Erbarmen für den Mitmenschen, dann können wir ihm mit unseren Opfern
nahen.
Jesus
schafft die Opfer nicht ab. Der Satz „Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer“,
ist nicht als Gegensatz gemeint, sondern als Steigerung: Barmherzigkeit
will ich mehr als Opfer. Es geht vor allem um die Barmherzigkeit, um
Mitleid und Erbarmen.
Und eben dies
will auch in unserer Zeit, in unserer Kirche, in unseren Gemeinden und
Gemeinschaften und in meinem persönlichen Christenleben Fortsetzung,
Sichtbarkeit, Ausdruck finden.
Für uns kann
das heißen: Versuchen sich
einzufühlen, möglichst alles Urteilen zu lassen und schon gar nicht verurteilen,
niemanden abschreiben, sondern Not sehen, Verständnis aufbringen, sich
einfühlen, mitfühlen, liebende Zuwendung und herzliches Erbarmen schenken.
Jesus
antwortet mit einem 3. Satz auf den Vorwurf der Pharisäer:
„Ich bin
gekommen, um die Sünder zu rufen, nicht die Gerechten.“
Dieser Satz
ist gleichsam ein Programm der Sendung Jesu.
Die, die schon
richtig sind und sich für recht halten, braucht er nicht aufzurichten, zumal
wenn sie selbst es gar nicht für nötig halten und er bei ihnen gegen
verschlossene Türen klopft.
Doch die
Sünder, die ihr Leben verfehlt haben,
die gescheitert sind, die an sich selbst vorbei gelebt haben, verstehen am
ehesten seine Worte. Sie, die um ihre Armut, Begrenztheit und Heillosigkeit
wissen, sind offen für seine Botschaft. Sie nehmen Gottes Zuwendung an. Sie
sehnen sich nach Erlösung und Heil.
Diese
Antworten Jesu haben vermutlich nicht
nur die Frommen damals geärgert. Sie stellen auch uns vor Fragen:
Auf welcher Seite
stehe ich? Wo ordne ich mich zu?
Fühle ich mich
den Sündern oder den Gerechten zugehörig?
Ganz ehrlich:
Meine ich`s nicht gut? Bin ich nicht recht? Man hat sich nichts vorzuwerfen.
Schließlich hat man Ordnung in seinem Leben. Schließlich bemüht man
sich korrekt und tugendhaft zu sein. Verdient das nicht Lob und Anerkennung?
Muss Gott mit einem nicht zufrieden sein? - Und schon ist das
Herabschauen auf andere und damit Herzenshärte, Stolz und Verachtung nicht weit.
Es scheint eine
urmenschliche Versuchung zu sein, sich auf die vermeintlich gute Seite zu
stellen, sich über andere zu entrüsten und oft nichts, aber auch gar nichts
Gutes an ihnen zu lassen:
„Da ist sowieso
Hopfen und Malz verloren!“ oder „Mit dem oder der ist doch nichts anzufangen!“
oder „Man weiß ja, woher der oder die kommt!“ Oder sogar: „Der/die ist für mich
gestorben!“ Schwarzweißschema: Hier die Guten, dort die Bösen. Schubladendenken.
Wie leicht verfallen wir ihm!
Spüre ich meine engen
Grenzen, meine kurze Sicht? Spüre ich, was mich beugt und lähmt? Spüre ich, wo
ich an mir selbst vorbei lebe? Sehne ich mich danach, von Gott berührt und
verwandelt zu werden? Spüre ich, wie bedürftig ich bin, bedürftig des Heiles,
der Vergebung, des Erbarmens und einer Liebe, die sich auch mir vorbehaltlos
zuwendet und mich bedingungslos annimmt?
Ich kann nur
beten: „Sprich du das Wort, das
tröstet und befreit und das mich führt in deinen großen Frieden!“
Die Berufung des Zöllners
Matthäus,
ist Programm und Zeichenhandlung Jesu. Die Tradition sieht in ihm den Verfasser
des gleichnamigen Evangeliums. Aus dem Geldeintreiber wird ein Verkünder der
Frohen Botschaft.
Was alles ein Blick und ein
Ruf bewirken können!
Und noch etwas:
Kann je ein Mensch noch glauben, dass er der Berufung durch Jesus unwürdig sei,
nachdem sogar ein Zöllner berufen wurde?
Amen