Ein Frosch lebte seit langer Zeit im
Brunnen. Er wurde in ihm geboren und aufgezogen. Er war ein zarter
kleiner Frosch.
Eines Tages fiel ein anderer Frosch, der
zuvor im Meer gelebt hatte, in den Brunnen. Der Frosch des Brunnens
fragte den Neuankömmling: „Wo kommst du her?“
Der
Frosch des Meeres antwortete: „Ich komme vom
Meer.“
Der
Frosch des Brunnens fragte weiter: „Wie groß
ist das Meer?“
„Sehr groß!“
Der Frosch des Brunnens streckte seine
Füße aus und fragte:
„Ist das Meer so groß?“ – „Viel größer!“
Da
hüpfte der Frosch von der einen Seite zur anderen hin und fragte: „Ist das Meer so groß wie mein Brunnen?“
„Mein Freund“,
sprach der Frosch des Meeres, „wie kannst du
das Meer mit einem Brunnen vergleichen?“
Da
rief der Frosch des Brunnens: „Nichts kann
größer sein als mein Brunnen. Wahrlich nichts kann größer sein. Dieser
Kerl ist ein Lügner. Man muss ihn hinauswerfen.“
Diese Geschichte fiel mir ein, liebe
Schwestern und Brüder, als ich mich – im Blick auf die Predigt – mit dem
heutigen Evangelium befasste.
„Gekreuzigt, gestorben und begraben!“
Tot ist tot. Was anderes gibt’s gar
nicht!
Thomas ist nicht bereit, noch einmal
einer Illusion nachzujagen und nachher umso mehr enttäuscht zu sein.
Hat er nicht alles auf Jesus gesetzt?
Hat er nicht alles verlassen und ist ihm
nachgefolgt?
Doch er, für den er alles aufgegeben
hatte und auf den er all seine Hoffnung gesetzt hatte, Jesus, der
große Menschenfreund und leidenschaftliche Gotteskünder, Jesus,
der Heilsbringer und Messias, er war grausam hingerichtet worden.
Schmählich ist er am Kreuz gestorben.
Der Karfreitag, das Kreuz, war die größte
Pleite, eine Riesenenttäuschung, die Katastrophe.
Und jetzt soll er leben? Der Gekreuzigte
soll leben?
Das könnt ihr einem anderen erzählen. Und
ihr könnt es mit noch so leuchtenden Augen und strahlenden Gesichtern
erzählen:
Das soll glauben, wer will. – Ich nicht!
Ob seine Freunde – wie er am Nullpunkt
der Hoffnung, total enttäuscht – sich das nicht einbilden?
Ob der unerträgliche Schmerz über den
Verlust ihres Herrn und Meisters ihnen nicht einen Streich spielt?
Ob es sich bei der angeblichen
Erscheinung des Auferstandenen nicht um ein Wunschbild handelt?
Ist das Ganze nicht eine Projektion,
Flucht in einen Traum?
„Wenn ich nicht die Male der Nägel an
seinen Händen sehe und wenn ich meinen Finger nicht in die Male der
Nägel und meine Hand in seine Seite lege, glaube ich nicht.“
Ich muss ehrlich sagen:
Mir ist dieser Thomas sehr sympathisch.
Ich kann gut verstehen, dass er Fragen
stellt, dass er Zweifel anmeldet, dass er Beweise haben will, handfeste
Beweise.
Thomas ist ein nüchterner Mensch, ein
Realist.
Er will nicht blind und vorschnell
glauben.
Er ist vorsichtig, skeptisch, kritisch.
Er will sich nur auf die eigene
Sinneswahrnehmung verlassen und auf sonst nichts.
Nur dem eigenen, gesunden
Menschenverstand trauen und sonst niemandem.
Er will sich selbst überzeugen.
Andernfalls glaubt er nicht.
Ist Thomas nicht einer von uns?
Ich denke wir können uns ganz gut in ihn
hineinversetzen.
Es fällt uns, meine ich, nicht schwer,
uns mit unseren Fragen und Zweifeln in ihm wieder zu finden.
Denn wir alle befinden uns in der Lage,
dass wir nicht „sehen“ und doch glauben sollen. Leicht fällt es
nicht immer.
Außerdem leben um uns Menschen, die
anders denken, die nicht mehr glauben, die uns Fragen stellen, uns
vielleicht auch in Frage stellen, uns vielleicht auch belächeln oder
sogar verspotten wegen unseres Glaubens.
Liebe Schwestern und Brüder!
Bei der Erzählung vom so genannten
ungläubigen Thomas sprechen mich drei Dinge besonders an:
Erstens:
Thomas darf weiterhin unter den Jüngern sein.
Er wird nicht ausgeschlossen.
Zweitens:
Er selbst ist am folgenden Sonntag da. Er befindet sich im Jüngerkreis,
als der Auferstandene sich erneut zu den Seinen kommt.
Das zeigt seine Ehrlichkeit. Das zeigt
die Bereitschaft des Thomas, sich überzeugen zu lassen.
Und
Drittens:
Jesus verurteilt Thomas nicht wegen seines Unglaubens und seiner
Zweifel.
Er geht ihm nach. Er kommt ihm entgegen.
Er geht sogar auf seine Bedingungen ein:
„Streck deinen Finger aus – hier sind
meine Hände!
Streck deine Hand aus und leg sie in
meine Seite!“
Wie unendlich viel musste dem Herrn an
Thomas gelegen sein!
Liebe Schwestern und Brüder!
Jede/jeder von uns ist für Jesus wichtig.
Jede/jeder ist ihm unschätzbar viel wert.
Er ist der gute Hirt, der dem Verlorenen
nachgeht.
Er nimmt uns an, auch wenn unser Glaube
schwach ist und angefochten.
Er sagt ja zu uns, auch wenn wir immer
wieder versagen.
Er gibt keinen auf. Er lässt keinen
fallen.
Seine Liebe ist stärker.
Sollte uns das nicht froh machen und
ermutigen?
Sollten wir daraus nicht lernen und uns
auch um Geduld bemühen im Umgang miteinander, einander versuchen
anzunehmen, wie Jesus den Thomas angenommen hat?
Zum
Schluss
noch etwas, was mir den Apostel Thomas sympathisch macht:
Sein großartige Bekenntnis:
„Mein Herr
und mein Gott“.
Ich liebe es, dieses kurze, aber aus der
Tiefe des Herzens kommende, anbetende Ostergebet des gläubig gewordenen,
auf die Knie gesunkenen Apostels.
Und so wie wir uns im ungläubigen Thomas
mit seinen Zweifeln und seiner Glaubensnot wieder finden können, so
können wir uns auch dieses wunderbare Gebet zueigen machen.
Jede Kniebeuge vor dem Allerheiligsten
kann ein Zeichen des Thomasglaubens sein und im Thomasgebet Ausdruck
findet: „Mein Herr und mein Gott.“
Ich hatte einen Mitbruder, inzwischen ist
er gestorben, der hat bei jeder Wandlung, wenn der Priester nach den
Einsetzungsworten die Hostienschale und den Kelch erhoben hat, leise
gebetet: „Mein Herr und mein Gott!“
Das hat auf mich Eindruck gemacht. Und
oft mache ich es auch. Vielleicht tun Sie es heute, in dieser heilige Messe,
auch einmal, wenn Sie daran denken, und sprechen bei der Wandlung:
„Mein Herr und mein Gott.“
Sie können, wenn sie möchten, heute auch
einmal beim Kommunionempfang auf das Wort des Priesters oder des
Kommunionhelfers mit „Mein Herr und mein Gott“ antworten?
„Der Leib Christi“.
Statt „Amen“: „Mein Herr und mein Gott.“
Kommt nicht Jesus auch heute noch in
heiliger Kommunion – wie durch verschlossene Türen – zu uns, kehrt ein
bei uns, lässt sich von uns berühren, ja wird sogar eins mit uns?
Welche Nähe! Welche Gnade! Welches Glück!
Welche Freude und Kraft geht da von ihm
aus!
„Mein Herr und mein Gott.“
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