Liebe Schwestern
und Brüder!
Haben Sie noch die 1.
Lesung im Ohr, die aus der Apostelgeschichte?
Was hatten Sie für einen
Eindruck, als Sie da die Beschreibung des Lebens und der Situation der
Urgemeinde in Jerusalem hörten?
Ich frage mich, ehrlich
gesagt, ob das alles so stimmt, ob das wirklich so war. Mir kommt das
ziemlich dick aufgetragen vor. Eigentlich zu schön, um wahr zu sein.
Werden da die christlichen Anfänge nicht ganz stark idealisiert?
Verklärt da Lukas 30/40 Jahre später nicht die sogenannten guten alten
Zeiten?
Umgekehrt
kann einem beim Hören dieser Lesung aus der Apostelgeschichte auch der
Seufzer aus der Seele aufsteigen: Wenn’s doch heute bloß auch so wäre!
Oder zumindest so ähnlich wie damals?
Damals: „Immer mehr wurden im Glauben zum Herrn geführt, Scharen von Männern
und Frauen.“ – Damals: ein enormer Aufschwung, Aufbruch,
Neuanfang. Gemeindegründungen in Palästina, Kleinasien, Griechenland und
in Rom. – Damals, es klingt fast euphorisch, „geschahen durch
die Hände der Apostel viele Zeichen und Wunder im Volk“. Es heißt
sogar: „Alle wurden geheilt.“ Klingt das nicht übertrieben?
Außerdem
ist von großer Einmütigkeit die Rede. Anscheinend gab es keine
Auseinandersetzungen und internen Konflikte, keinen Zwietracht, kein
Streit, sondern Einheit, große Geschlossenheit, ein ganz starkes
Gemeinschaftsgefühl.
Und heute?
Wie sieht es da aus, zumindest hierzulande?
Glaubensschwund,
wachsender Glaubensverlust. Entchristlichung der Gesellschaft, nicht nur
Entkirchlichung, sondern auch Entchristlichung. Immer ungünstigere
Bedingungen für die Weitergabe des Glaubens. Das religiöse Klima fehlt.
Das Umfeld wird immer heidnischer, gottloser.
Dazu der gravierende
Mangel an Priester- und Ordensberufen. Aber auch Gläubigenmangel. Immer
leerere Kirchenbänke. Immer mehr, die der Kirche den Rücken zukehren.
Liebe Schwestern
und Brüder!
Machen wir uns nichts
vor:
Die Volkskirche ist passé. Die gibt es längst nicht mehr. Das Interesse
am Christentum nimmt ab. Dafür wird der Islam immer heimischer und
stärker. Die Kirchen erleben einen massiven Imageverlust.
Kirchenmüdigkeit macht sich breit.
Wenn dann auch noch
Affären und Skandale dazukommen – Bau- und Finanzskandale wir in Limburg
oder Eichstätt und besonders schlimm, der Missbrauchsskandal, die
schrecklichen Missbrauchsfälle – dann geht innerhalb von wenigen Wochen
zugrunde, da geht in kurzer Zeit kaputt, was über Jahrzehnte mühsam
aufgebaut wurde. Damit einher geht ein massiver Glaubwürdigkeitsverlust
der Kirche. Und das kratzt am Selbstbewusstsein der Gemeinden und der
einzelnen Gläubigen.
Doch geben wir selbst
der Kirche noch eine Chance?
Der Jesus-Bewegung hier bei uns, der Gemeinschaft der Gläubigen hier und
heute? Oder ist die Krise – wie für das Volk Israel der Aufenthalt in
der Wüste – auch ein Ort der Läuterung, der Reinigung?
Was wir heute meines
Erachtens brauchen,
sind „Dennoch-Christen“ bzw. „Trotzdem-Christen“,
Christen, die nicht blind sind für die gegenwärtige kirchliche
Situation, und trotzdem bleiben. Menschen, die mit der Kirche fühlen,
vielleicht auch an ihr leiden, und die dennoch nicht gehen! „Dennoch-Trotzdem-Christen“.
Gläubige, die trotz Finanzaffären und Missbrauchsfällen immer noch zur
Kirche gehen, zu ihr stehen, ihre Mitarbeit nicht aufkündigen, sondern –
dennoch und trotz allem – der Kirche die Treue halten, sich einbringen,
sich engagieren, in den Pfarreien aktiv sind und ein lebendiges
Gemeindeleben mitgestalten. „Dennoch-Trotzdem-Christen“!
Menschen, die nicht austreten aus der Kirche, sondern auftreten
in der Kirche!
Was wir brauchen
ist ein neues missionarische Bewusstsein, eine neue Evangelisierung, ein
offensives Christentum. Auch zur Zeit der Apostel und der frühen
Christen hat sich der Glaube nicht durch Leisetreterei, falsche
Rücksichtnahme und scheue Zurückhaltung ausgebreitet, sondern dadurch,
dass die Christgläubigen ihren Glauben nicht verborgen hielten,
sozusagen im Safe versteckten und aufbewahrten, sondern sich mutig dazu
bekannten, davon Zeugnis gaben, auch wenn es ihnen Nachteile und Spott,
Diffamierung und Diskriminierung einbrachte.
Allerdings:
Nur Ergriffene ergreifen. Nur Überzeugte können überzeugen. Nur selbst
Angezogene können andere anziehen und anstecken. In mir selbst muss
brennen, was ich in anderen entzünden möchte. So gesehen, kann jeder und
jede dazu beitragen, dass der Glaube Kreise zieht, übergreift, sich
ausbreitet und wächst.
Wichtig ist,
dass wir uns nicht einbunkern und uns nicht hinter bunte Kirchenfenster
zurückziehen – kein Sakristei-Christentum! –, dass wir vielmehr – von
IHM gesandt – hinausgehen, die Netze wieder und wieder auswerfen, säen,
säen und nochmal säen – auch wenn viel der Anstrengung und Mühe
vergeblich scheint und so viel der Saat auf harten Boden und in die
Hecken fällt oder von den Vögeln aufgefressen wird.
Seien wir gewiss:
Auch heute fällt ein Teil auf guten Boden, auch heute gibt es Menschen,
die suchen und fragen, die offene Hände und ein offenes Herz haben.
Noch etwas:
In der frühen Kirche war auch nicht alles Gold, was glänzt. Glauben wir
das bloß nicht! Der kurze Abschnitt aus der Apostelgeschichte ist nur ein Fragment.
Schon damals gab es äußere Bedrohungen und innere Gefährdungen. Und wenn
wir in der Apostelgeschichte weiterlesen oder auch in die Briefe des Apostels Paulus
schauen, dann ist da auch von Meinungsverschiedenheiten, Parteiungen und
Streit die Rede. Von wegen heile Welt!
Liebe Schwestern
und Brüder!
Heute wie damals
geschieht die Ausbreitung des Glaubens dort, wo es heilsame Begegnungen
zwischen Menschen gibt, wo Unterdrückung der Befreiung weicht, wo Licht
und Hoffnung in Dunkelheit und Angst aufleuchten, wo Liebe gegen alle
Lieblosigkeit und Glaube und Vertrauen gegen alle Perspektiv- und
Sinnlosigkeit vermittelt wird.
Heute wie damals
sind die Gründe für die Ausbreitung und Anziehungskraft des Glaubens die
gleichen: Zeichen des Heiles und der Heilung, der Geist der Einheit und
Liebe, die Glaubwürdigkeit derer, die sich Christen nennen und die
Gemeinschaft der Kirche bilden.
Denken wir daran: „Christus hat keine Hände, nur unsere Hände, um
seine Arbeit heute zu tun. Er hat keine Füße, nur unsere Füße, um seine
Botschaft zu den Menschen zu bringen. Er hat keine Lippen, nur unsere
Lippen, im Menschen von ihm zu erzählen.“
Christus will gegenwärtig
sein in unserer Zeit durch uns.
(Einige Gedanken und
Formulierungen verdanke ich einer Predigtvorlage von Daniel Hönermann)