Ich bin beim ersten Satz
des Evangeliums hängengeblieben:
„Euer Herz lasse sich
nicht verwirren!“
Eine andere Übersetzung
heißt: „Euer Herz sei ohne Angst!“
Es ist ein Wort Jesu aus
den Abschiedsreden.
Jesus sprach dieses Wort
zu seinen Jüngern am Abend vor seinem Leiden.
Die Kirche lässt uns
dieses Wort heute am 5. Sonntag der Osterzeit hören.
Ist dieses Wort nicht
hoffnungslos lebensfremd in einer Zeit der Unsicherheit und Angst?
Ist dieses Wort nicht
unerhört riskant angesichts des Elends und des Leids in der Welt, dessen
Zeugen wir täglich sind: Kriege und Mord, Terror und Gewalt, weinende
Frauen, verängstigte Kinderaugen, hungernde Menschen?
Klingt in einer Welt, in
der jeden Tag so viel Schreckliches geschieht, die Aufforderung Jesu
nicht unglaublich
„Euer Herz sei ohne
Angst“?
Keine Frage: das
Lebensgefühl vieler Menschen heute ist von Unsicherheit,
Orientierungslosigkeit und Angst geprägt.
Viele Menschen haben
Angst und leben mit der Angst.
Die Angst kann
verschiedene Formen annehmen:
Angst um den Arbeitsplatz
Angst um materielle
Sicherheit
Angst vor Verantwortung
Angst vor der Zukunft
Noch viel existentieller
ist die Angst
um die Kinder
um den Ehepartner
Angst vor Krankheit
Angst vor dem Alter und
seinen Beschwerden
Angst vor Scheitern und
Erfolglosigkeit
Es sind nicht die vielen
kleinen Ängstlichkeiten des Alltags, um die es geht, da sind
Grundängste, die wie ein dunkler Schatten unser Dasein begleiten.
Nicht wenige junge
Menschen haben Angst, sich endgültig und ganz für einen Partner zu
entscheiden, sich zu binden.
Sie haben Angst, neues
Leben weiterzugeben.
Es ist die Angst, die
sich in Fragen zeigt wie:
Lohnt es sich überhaupt
zu leben?
Leben – wozu eigentlich?
Liebe Schwestern und
Brüder!
Gegen die Angst gibt es
nur ein Mittel: Vertrauen!
Als Jesus einst in der
vierten Nachtwache über den See zu den Jüngern kam und sie aufschrien
vor Angst, da hat er ihnen zugerufen: „Habt
Vertrauen! Ich bin es.“
Jetzt, in der Stunde des
Abschieds, wo Ungewissheit und Angst das Herz der Jünger schwer macht,
sagt Jesus zu ihnen:
„Euer Herz sei ohne
Angst!“
Habt keine Angst! Lasst
euch nicht verwirren!
Lasst euch nicht aus der
Fassung bringen!
Dieses Wort, liebe
Schwestern und Brüder, dürfen wir auch auf uns hin hören. Jesus spricht
es auch zu uns.
„Euer Herz sei ohne
Angst!“
Was weckt dieses Wort in
Ihnen?
Ist das nicht ein Wort,
das uns in vielen Situationen berühren und ermutigen kann?
Tut es nicht unendlich
gut, solch ein Wort zu hören?
Ist das nicht ein
Jesuswort, das trägt und das Halt gibt?
„Glaubt an Gott! Und
glaubt an mich“,
sagt Jesus den Seinen in der Stunde des Abschieds weiter.
„Glauben“
heißt aus dem Hebräischen übersetzt „sich fest machen“, gemeint
ist: vertrauen.
Wir können nicht leben
ohne Vertrauen.
Gut ist der dran, der von
Kindesbeinen an Geborgenheit und Vertrauen geschenkt bekommen hat und
der so selbst gelernt hat zu vertrauen.
Wir dürfen und können ein
großes Vertrauen haben in Gott.
Er selbst ist uns in
Jesus nahe gekommen, ein Gott-mit-uns.
Er ist unser Weggefährte
geworden bis in die letzte Ausweglosigkeit unseres Lebens hinein.
In Jesus Christus ist
Gott uns selbst nahe gekommen bis dahin, wo wir – menschlich gesehen –
ganz allein sind und am meisten Angst haben: im Tod!
Das heutige Evangelium
wird oft beim Seelenamt oder am Grab eines Menschen gesprochen.
Es ist ein Trostwort. Es
gibt Hoffnung in aller Trauer und Verlassenheit.
Von Gott, dem Grund
unseres Lebens, kann uns dauerhaft nichts trennen.
Die Zukunft, die er
verheißt, ist größer und bedeutungsvoller als alles, was uns das Leben
schwer machen, was uns zu schaffen machen und ängstigen kann.
Gott ist in aller Angst
da als die Liebe, die größer ist als jede Not und selbst stärker als der
Tod.
Wir können nie tiefer
fallen als in Gottes offene Hände, in Gottes Treue, die uns hält und
birgt.
In diesem Glauben ist uns
Jesus vorausgegangen.
Auch ihm ist die Nacht
der Verwirrung und Angst nicht erspart geblieben.
Sein Glaube, seine
Bindung an den Vater wurde bis zum Zerreißen belastet.
Doch durch sein Vertrauen
auf den Vater und durch seine Hingabe gewann er Leben und Halt.
Er, der Herr, ist bei uns
alle Tage. Er gibt uns die Kraft zum Durchhalten auch in noch so
schweren Zeiten. Er ist das Licht, das uns erleuchtet. Er ist die Kraft,
die uns erfüllt. Er ist der Beistand, der uns nicht verlässt.
„Euer Herz sei ohne
Angst!“
Die große Mystikerin und
Kirchenlehrerin Theresia von Avila hat sich diese Botschaft sehr zu
Herzen genommen.
Tagein, tagaus trug sie
ein Blatt Papier bei sich, das man nach ihrem Tod bei ihr gefunden hat.
Darauf stand (altes Gl
Nr. 5,2):
„Nichts soll dich
ängstigen, nichts dich erschrecken. Alle geht vorüber. Gott allein
bleibt derselbe. Alles erreicht der Geduldige. Und wer Gott hat, der hat
alles. Gott allein genügt.“
(vgl. auch neues Gl. Nr.
8,5)
Und in einem Lied aus
Taize heißt es:
„Meine Hoffnung und
meine Freude, meine Stärke, mein Licht. Christus meine Zuversicht, auf
dich vertrau ich und fürcht mich nicht, auf dich vertrau ich und fürcht
mich nicht!“
Wir können beten:
„Gott, du bist da,
deine Gegenwart umhüllt und durchdringt uns wie die Luft, die wir atmen
und ohne die wir nicht leben können. Rühr uns an mit deinem Geist! Hilf
uns, dir ganz zu vertrauen und immer mehr ohne Angst zu leben. Amen“