Liebe Schwestern und
Brüder!
In der frühen
Christenheit ertönte an Ostern unzählige Male der Ruf:
„Christus ist auferstanden!“ Und die Antwort war
immer die gleiche: „Ja, er ist wahrhaft
auferstanden!“
Ruf und Antwort gehören
bei diesem Ruf untrennbar zusammen. Er ist ein
Glaubensbekenntnis und gleichzeitig ein Freudenruf. Und
zwar so bedeutend, dass Ostern erst durch diesen Gruß,
durch diese Verkündigung zu Ostern wurde.
In der orthodoxen
Christenheit erschallt bis heute – in der Osternacht und
am Ostermorgen – immer wieder dieser Freudenruf:
„Christus ist auferstanden!“ Und die Antwort folgt
unmittelbar: „Ja, er ist wahrhaft auferstanden!“
Liebe Schwestern und
Brüder!
Es ist schon viele Jahre
her, da habe ich eine Erzählung – wohl eine wahre
Begebenheit – gehört, die sich im kommunistischen
Russland zugetragen haben soll. Zu einer Zeit, als der
christliche Glaube noch verboten war. Mich hat diese
Geschichte damals sehr beeindruckt.
Es war im Gefängnis der
Moskauer Geheimpolizei. Eine der Gefangenen erzählte
später von einem Erlebnis, das sie in diesem Gefängnis
hatte:
Eines Abends flüsterte
mir meine junge Mitgefangene in der Zelle zu: „Wissen
Sie, was morgen für ein Tag ist? Morgen ist Ostern!“
– War das Osterfest tatsächlich schon so nahe? Ostern
ist doch Freude für die ganze Menschheit. Nur wir waren
von dieser Freude ausgeschlossen.
Trostlos ging ich am nächsten
Morgen den Korridor entlang. Plötzlich durchbrach ein
Schrei die bedrückende Stille: „Christus ist
auferstanden!“ Wer hat es gewagt, unseren Ostergruß
zu rufen – hier an diesem Ort? Ich sah meine Gefährtin
an. Ihre Augen leuchteten in dem blassen Gesicht. Da
erklang schon die Antwort. Aus jeder Zelle ertönten es
freudig und laut: „Ja, er ist wahrhaft auferstanden!“
Die Wächter waren
sprachlos, vor Staunen versteinert. So etwas hatten sie
noch nie erlebt. Solch eine Frechheit! Sie stürzten sich
auf das junge Mädchen und schleppten sie mit sich.
Nach vier Tagen kehrte
sie in meine Zelle zurück. Das Gesicht sah elend und
abgemagert aus. Man hatte sie die Ostertage in einer
ungeheizten Strafzelle frieren und hungern lassen.
„Ich habe aber doch die Osterbotschaft im Gefängnis
verkündet“, sagte sie mit leuchtenden Augen.
„Alles andere ist gar nicht wichtig!“
Liebe Schwestern und
Brüder!
Über Jahrhunderte, ja,
über zwei Jahrtausende hinweg, durch Zeiten von
Dunkelheit, Hass und Krieg – immer ist diese Botschaft
lebendig geblieben. „Christus ist auferstanden! Ja,
er ist wahrhaft erstanden vom Tod.“
Diese Botschaft hat
Menschen Licht und Hoffnung, Kraft und Mut gegeben – wie
der jungen Frau im russischen Gefängnis.
Aus dieser Botschaft
haben Menschen die Kraft gefunden über sich selbst
hinaus zu wachsen. Sie haben aus dieser Botschaft heraus
gelernt, ihr Leben zu gestalten und zu meistern. Sie
haben gelernt, ihr Schicksal anzunehmen und das Leben zu
bejahen.
Liebe Mitchristen!
Wir sind heute Morgen
vermutlich in sehr verschiedenen Situationen und
Gemütslagen hier:
Manche von uns vielleicht
mit einer fühlbaren Osterfreude im Herzen. – Manche sind
vielleicht hier im Gottesdienst aus Tradition, einer
alten Gewohnheit folgend - ohne eine wirklich innere
Verbindung zur Osterbotschaft. – Manche von uns sind
vielleicht auch hier mit persönlichen Sorgen, in Trauer,
mit Ängsten und Nöten, so wie die Jünger damals nach dem
Tod Jesu. Und Ostern und die Freude und Hoffnung der
Osterbotschaft erreicht nicht oder nur schwer ihr Herz.
– Manche von uns denken vielleicht auch: Wie können wir
bei allem, was in der Welt geschieht Ostern feiern? Wie
können wir in dieser Zeit singen und fröhlich sein?
Angesichts des Krieges in der Ukraine, der Erdbeben in
der Türkei und Syrien, angesichts vieler anderer
Naturkatastrophen, angesichts der Hungersnöte in der
Welt, des Flüchtlingselends, angesichts von Terrorismus
und seinen täglichen Opfern?
Egal wie wir da sind:
Uns allen gilt die Botschaft des Glaubens: „Christus
ist auferstanden, wahrhaft erstanden vom Tod!“ Das
Dunkel der Nacht ist durchbrochen – selbst wenn es nicht
fühlbar sein sollte.
Vor einigen Tagen habe
ich mit Ostergrüßen folgenden Text zugeschickt bekommen,
der mich sehr berührt hat:
„Als die Hoffnung
schon aufgegeben war, als die Trauer sich durchsetzen
wollte – kam Ostern.
Als kein Ausweg mehr
da war, als alles verloren schien – kam Ostern.
Als der Tiefpunkt
erreicht war, als die Angst überhandnehmen wollte – kam
Ostern.
Als die Resignation
sich ausbreitete, als der Glaube schwand – kam Ostern.
Als alles zu scheitern
drohte und man es gar nicht mehr erwartete – kam ER, der
Herr!“ (Thorsten Seip)
Ja, liebe Schwestern
und Brüder!
Wenn wir sagen: Es ist
genug, sagt Gott: Es beginnt!
Wo wir keine Kraft mehr
haben, sagt er: Ich bin da!
Sehen Sie: Das glauben
und singen, das beten und feiern wir heute am
Ostersonntag und jetzt in diesem Gottesdienst.
Ob wir nicht versuchen
könnten, diese Osterbotschaft wieder ein Stück mehr in
unser Leben hineinzunehmen? Denn diese Botschaft ist
lebendig und sie hat die Kraft, Menschen, uns selbst,
lebendig zu machen. – Dann können und dürfen wir uns
wieder auf den Weg machen und zum Leben mitnehmen:
Glaube, Hoffnung und Zuversicht. Jesus lebt – wenn auch
unsichtbar – mit uns, unter uns und in uns.
Rufen wir es einander zu:
„Christus ist auferstanden“ – „Ja, er ist
wahrhaft auferstanden.“ ER, das Licht, das uns
erleuchtet. ER, die Kraft, die uns stärkt. ER, der
Beistand, der uns nicht verlässt.