Wenn jemand stirbt, ein Vater oder eine Mutter z.B., dann
gibt es oft noch eine Abschiedsrede, ein letztes Wort oder einen
Abschiedsbrief. – Da werden keine Belanglosigkeiten mitgeteilt, da kommt
Wichtiges und Richtungweisendes zur Sprache.
Auch von großen Denkern sind uns Abschiedsreden und
Briefe erhalten, angefangen von Sokrates bis zu dem christlichen
Philosophen aus Münster Peter Wust.
Als der an Krebs erkrankte Peter Wust von seinen
Studenten um ein Abschiedswort gebeten wurde, schrieb er: „Wenn Sie mich fragen sollten, bevor ich jetzt
gehe und endgültig gehe, ob ich nicht einen Zauberschlüssel kenne, der
einem das letzte Tor zur Weisheit erschließen könnte, dann würde ich
Ihnen antworten: Jawohl.
Und zwar ist dieser Zauberschlüssel nicht die Reflexion,
wie Sie es von einem Philosophen erwarten möchten, sondern das Gebet.
Das Gebet als letzte Hingabe an Gott gefasst, macht still, macht
objektiv… Die großen Dinge des Daseins werden nur den betenden Geistern
geschenkt.“
– Ein großes Abschiedswort!
Jesus
schreibt keinen Brief, aber er hält auch eine Ansprache an die Seinen.
Er gibt ihnen Trost und macht ihnen Mut.
Dann aber betet Jesus. Er redet nicht „mit“ den Jüngern,
sondern er redet über sie mit dem Vater. Er spricht den Vater an. Jesus
betet. Er bittet für die Seinen, dass sie sein Wort, seine Lehre und
sein Beispiel im Glauben bewahren.
Solcher Glaube ist kein gesichertes Gut. Er ist höchst
angefochten. Auch die Jünger und Jüngerinnen Jesu sind oft bedroht von
Mutlosigkeit angesichts des Bösen in der Welt und in ihrer Umgebung,
untröstlich aufgrund der scheinbaren Gottferne inmitten von Elend, Leid
und Not, und nicht selten enttäuscht auch über manche Mitchristen in der
eigenen Gemeinde und solcher die einen Dienst oder ein Amt ausüben.
Jesus
legt das Schicksal der Jünger in seinem Abschiedsgebet in die Hand des
Vaters. „Ich habe ihnen alles geoffenbart.
Bewahre sie in deinem Namen.“
Bei aller Hoheit und Feierlichkeit in den Worten Jesu ist
dieses „hohepriesterliche Gebet“, wie es genannt wird, doch sehr
persönlich. Es gibt einen intimen Einblick in die innige Beziehung Jesu
zu Gott. Wir spüren seine vertraute Nähe zum Vater.
Sie wird besonders deutlich in dem Satz: „Alles, was mein ist, ist dein und alles, was dein ist,
ist mein.“
Liebe Schwestern und Brüder!
Das Hohepriesterliche Gebet kann zum Vorbild unseres
eigenen Betens werden. Jesu Gebet kreist nicht um ihn selbst. Noch im
Angesicht des Todes gilt es seinen Jüngern und darüber hinaus allen
Menschen, damit auch sie den Vater erkennen und sie eins werden mit
Gott, wie er es ist.
Für Jesus war das Gebet Grundlage all seines Wirkens, die
Wurzel seiner Liebe zu den Menschen, die Quelle seines Glaubens. Deshalb
sollte das Gebet auch das Fundament unseres Lebens werden.
Liebe Mitchristen!
Vom Beten Jesu berichten alle vier Evangelisten.
Oft geschah es, dass Jesus sich von den Menschen
zurückzog in die Einsamkeit, in die Stille der Nacht, auf einen Berg.
Dort betete er – ganz allein. Das Gebet war ihm wichtig.
Das macht er in vielen Hinweisen und Ermahnungen deutlich.
Jesus betete so, dass seine Jünger ihn baten: „Herr, lehre uns beten!“
Wiederholt wird vom spontanen Beten Jesu berichtet.
Einmal
bringt Jesus unvermittelt in den Jubelruf aus: „Vater, ich preise
dich, dass all das den Klugen und Weisen verborgen, den Kleinen und
Unmündigen aber offenbart hast…!“ (Mt 11, 25)
Ein anderes Mal
betet er aus tiefer innerer Not: „Jetzt ist meine Seele erschüttert.
Was soll ich sagen: Vater, rette mich aus dieser Stunde? Aber deshalb
bin ich in diese Stunde gekommen. Vater, verherrliche deinen Namen!“
(Joh 12, 27)
Jesus
liebte und praktizierte offensichtlich das freie Beten.
Auf der anderen Seite heißt es von Jesus: „Er ging nach seiner Gewohnheit am Sabbat in den Tempel.“
Beim Beten Jesu hat man nie den Eindruck, dass er nur ein
Pensum erledigt. Dennoch liebt er auch das Ritual und die
Regelmäßigkeit.
Ich glaube, wir können von Jesus das Zueinander von
Spontaneität und guter Gewohnheit lernen.
Wo nur Lust und Laune, Bedürfnis und Beliebigkeit uns zum
Beten bringen – womöglich sogar unter Berufung, dass nur spontanes Gebet
echt sei – da kann sich kein Gebetsleben entfalten.
Das freie, spontane Gebet ist gut. Aber es ist nicht
ratsam, sich ganz und gar darauf zu verlassen. Das Leben sprudelt nicht
immer. Es gibt auch Durststrecken.
Deshalb ist es wichtig, gute vorgeformte Gebete zu
kennen.
Sie können ein großer Reichtum sein. In Stunden der Leere
und der Not, in Wartesälen und auf langen Autofahrten, in Krankheit, bei
Schlaflosigkeit bis hin zum Sterbebett können sie eine große Hilfe sein.
Liebe Schwestern und Brüder!
Das neue Gotteslob enthält wie das alte im ersten Teil
eine große Sammlung und Auswahl guter und schöner Gebete. Wenn wir die
abgedruckten Psalmen dazu nehmen, haben wir hier einen echten
Gebetsschatz für das persönliche Gebet.
Es sind Gebete großer Gestalten christlicher
Spiritualität durch viele Jahrhunderte, Gebete von Heiligen und manche
Gebete auch von engagierten Christen unserer Zeit.
Wo sich jemand ein solches Gebet zu eigen macht, besteht
die Möglichkeit, dass er auch von der inneren Haltung dieser Menschen
vieles übernimmt.
Ich denke z. B. an das Gebet des Nikolaus von der Flüe „Mein Herr und mein Gott…“ (Gotteslob 9,5), an das
„Atme in mir,
du Heiliger Geist...“ (Gotteslob 7,2), das dem heiligen Augustinus
zugeschrieben wird oder an das Gebet von Pierre Olivaint „Wachse
Jesus, wachse in mir…“ (Gotteslob 6,5).
Jedes Gebet hat verwandelnde Kraft. Wie sagt Peter Wust?
„Das Gebet als letzte Hingabe macht still und objektiv.“
Wer in schwierigen Situationen getan hat, was er konnte,
wer also im Gebet Gott nicht zum Handlanger der Menschen oder zum
Lückenbüßer macht, der kann und darf alles sehr bewusst, aber auch
getrost in Gottes Hände legen. Man kann dadurch eine große Ruhe, innere
Gelassenheit und tiefen Frieden finden.
Es ist ähnlich wie dort, wo ich mich bei einem Menschen
meines Vertrauens ausspreche, ihm alle meine Sorgen und Probleme
mitteile. Äußerlich verändert sich die Not vielleicht nicht. Aber ich
weiß mich aufgehoben bei einem, der mir zugetan ist, der mich versteht,
der mir Wertschätzung entgegenbringt und der ein großes Interesse daran
hat, dass es mir gut geht.
Theresa von Avila
hat einmal gesagt, im Gebet gebe es mindestens zwei Wasserstellen. Die
eine müssten wir selbst graben und dafür sorgen, dass sie regelmäßig
Wasser enthält. Bei der anderen, der besseren, gehe es einfach darum, „zu warten, bis das Wasser aufsprudelt“.
Wem das Beten schwer wird, der sollte einmal versuchen
ohne Worte vor Gott zu verweilen, ruhig werden, still, schweigend da
sein vor dem, in dem, der da ist, willig und vertrauend Ihm das Innere
öffnen, mich ihm hinhalten, mich ihm anvertrauen, eintauchen in seine
Gegenwart.
Eine der schönsten Definitionen von Gebet stammt von
Theresa von Avila: „Beten ist meiner Meinung nach nichts anderes
als das Verweilen bei einem Freund, mit dem ich oft und gern
zusammenkomme, einfach um bei ihm zu sein, weil ich weiß, dass er mich
liebt.“
Die deutsche Mystikerin, Gertrud von Helfta, sagt über
das Gebet:
„Das Gebet, das ein Mensch nach bestem Können verrichtet,
hat große Kraft. Es macht ein bitteres Herz süß, ein trauriges froh, ein
armes reich, ein törichtes weise, ein verzagtes kühn, ein schwaches
stark, ein blindes sehend, ein kaltes brennend.
Es zieht den großen Gott in das kleine Herz, es trägt die
hungrige Seele empor zu Gott, dem lebendigen Quell und bringt zusammen
zwei Liebende: Gott und die Seele.“