Mit dem heutigen 2.
Ostersonntag endet die achttägige Feier des Osterfestes, die sogenannte
Osteroktav.
Traditionell trägt dieser
Sonntag den schönen Namen „Weißer Sonntag“, weil die Neugetauften
in der frühen Kirche an diesem Tag die weißen Kleider wieder abgelegt
haben. In der Osternacht, bei ihrer Taufe – wo sie auch zum ersten Mal
an der Eucharistie teilnehmen durften – haben sie das weiße Kleid
bekommen und dann eine Woche lang getragen.
An diesem Sonntag findet
nach wie vor in vielen Gemeinden auch die Feier der Erstkommunion statt.
Einige Monate lang wurden Kinder, zumeist in kleinen Gruppen und von
Müttern, auf diesen Tag vorbereitet.
Wegen des Ereignisses,
von dem das Evangelium an jedem 2. Ostersonntag (in allen drei
Lesejahren) berichtet, wird dieser Sonntag auch manchmal der „Sonntag
des ungläubigen Thomas“ genannt. Diesem Thomas fühlen wir uns oft
besonders nahe, weil es ihm damals so erging, wie es uns heute auch oft
ergeht, wenn uns nämlich Zweifel plagen und Glauben und Vertrauen uns
schwerfällt.
Seit dem Jahr 2000 heißt
dieser Sonntag auch „Sonntag der göttlichen Barmherzigkeit“.
Papst Johannes Paul II.
hat ihn eingeführt, und zwar bei der Heiligsprechung von Schwester
Faustina Kowalska (1905 - 1938), einer polnischen Ordensfrau.
Wie es heißt, habe Jesus
selbst in einer Vision gegenüber Schwester Faustina die Einführung
dieses Festes gewollt.
Der polnische Papst, in
dessen ehemaliger Diözese Krakau Schwester Faustina lebte und starb, hat
diesem Wunsch schließlich entsprochen.
Bemerkenswert ist, dass
Papst Johannes Paul II. am Vorabend des „Sonntags der göttlichen
Barmherzigkeit“ 2005 gestorben ist. Viele sehen darin keinen Zufall,
sondern ein „göttliches Zeichen“.
Interessant ist auch,
dass dieser Papst, als er seinen Dienst als Nachfolger Petri antrat,
sagte, sein Pontifikat möge „ein großer Lobpreis auf die
Barmherzigkeit Gottes“ werden.
In der Tat: Von Anfang an
bis zum Schluss war seine Zeit als Papst – auf vielfältige Weise – vom
Thema der Barmherzigkeit durchdrungen und erfüllt.
Den großen Auftakt
bildete die Enzyklika „Dives in misericordia deus“ – „Reich ist Gott
an Barmherzigkeit“ (1980).
Darin arbeitet der Papst
ganz klar und wunderbar heraus, dass – „unter den vielen Attributen
und Vollkommenheiten Gottes“ – die Eigenschaft Gottes
schlechthin, die wichtigste und zentralste, seine Barmherzigkeit ist.
Sie ist der charakteristischste Zug im Wesen Gottes, nicht seine
Gerechtigkeit, Weisheit oder Allmacht, obwohl diese Eigenschaften auch
zu seinem Wesen gehören, nein, der markanteste Grundzug in Gottes Wesen
ist sein Erbarmen.
Daneben legte Papst
Johannes Paul II. auch durch seine Gesten und sein Verhalten Zeugnis für
die göttliche Barmherzigkeit ab.
In das Gedächtnis der
Kirche und Welt hat sich vor allem eingeprägt wie er seinen Attentäter
im Gefängnis besucht und ihm verziehen hat.
Ähnliches gilt für die
Nähe, die er allen zuteilwerden ließ, die der Barmherzigkeit besonders
bedürfen, wie z.B. den Aidskranken oder einsamen und alten Menschen.
Seine Barmherzigkeit
drückte sich auch in Zärtlichkeiten aus, z.B. Umarmungen, im Zuhören,
und im interessierten und aufmerksamen Blick vor allem für jene, die
leiden müssen.
Ein weiteres Beispiel für
Barmherzigkeit war die große Bitte um Vergebung im Heiligen Jahr 2000.
Mit der Einführung des
Sonntags der Barmherzigkeit wollte der Papst die Menschheit des 3.
Jahrtausends auf Gottes Barmherzigkeit, seine Güte und Sünderliebe
verweisen, die menschgeworden, sichtbar und greifbar geworden ist in
seinem Sohn Jesus Christus. Er wollte uns vor Augen stellen, dass wir
Christen, ja dass jeder Mensch von der Barmherzigkeit Gottes lebt und
das wir diese Botschaft weiterzugeben und zu bezeugen haben, indem wir
selbst barmherzige Menschen sind und es immer mehr werden.
Es gilt die Welt und
unsere Umgebung mit den Augen der Barmherzigkeit zu betrachten. Wie viel
Missgunst, Neid und Streit entsteht dadurch, dass viele es verlernt
haben, ihre Umgebung mit diesem Blick der Barmherzigkeit zu sehen, mit
Augen der Güte.
Christi Augen waren
barmherzige Augen. Sie sahen die äußere und die innere Not der Menschen.
„Mich erbarmt des
Volkes“
ruft er angesichts der Tausende, die nichts zu essen haben. Und Mitleid
und Erbarmen packte ihn im Blick auf die vielen, die „müde und
erschöpft sind, wie Schafe, die keinen Hirten haben“.
Auch viele der
Gleichnisse Jesu handeln von der Barmherzigkeit Gottes. Man denke
nur an das 15. Kapitel des Lukasevangeliums, das drei Mal hintereinander
das Erbarmen Gottes vor Augen stellt, im Gleichnis vom verlorenen Schaf,
von der verlorenen Drachme und vom verlorenen Sohn bzw. vom barmherzigen
Vater.
Die Barmherzigkeit Jesu
zeigt sich besonders in seiner Zuwendung zu den Sündern und in seiner
Bereitschaft zu vergeben.
Zachäus hat er in seinem
Haus besucht und mit Zöllnern und Sündern gegessen, sehr zum Ärgernis
der Frommen.
Die Ehebrecherin rettet
er vor der Steinigung: „Frau, hat dich niemand
verurteilt? Auch ich verurteile dich nicht.“
In der Auseinandersetzung
mit den Pharisäern fordert er (im Anschluss an Hos 6, 6) „Barmherzigkeit, nicht Opfer“.
Am Anfang der Bergpredigt
preist Jesus auch die Barmherzigen selig und sagt ihnen zu, selbst
Barmherzigkeit zu erfahren.
Weiter fordert er: „Seid barmherzig, wie euer Vater im Himmel barmherzig ist.“ Den
hartherzigen Knecht fragt er: „Hättest nicht auch du Erbarmen haben
müssen, wie ich mit dir Erbarmen hatte?“
Die heilige Faustina hat
Jesus folgende Worte zu sich sprechen hören – und wir dürfen sie hören,
als seien sie an uns gerichtet:
„Ich gebe dir drei
Möglichkeiten, dem Nächsten Barmherzigkeit zu erweisen: erstens die Tat,
zweitens das Wort, drittens das Gebet. In diesen drei Stufen ist die
Fülle der Barmherzigkeit enthalten.“
Der vor ein paar Wochen
verstorbene Kardinal Lehmann hat in einer Predigt vor der Versammlung
der deutschen Bischöfe (Bischofskonferenz 2006) einmal gesagt:
„Erbarmen vermag die
Welt am tiefsten aus den Angeln zu heben. Die sich erbarmende Liebe ist
die stärkste revolutionäre Kraft der Welt. Es enthält ein explosives
spirituelles Potential zur Veränderung der zwischenmenschlichen
Beziehungen und auch der gesellschaftlich-politischen Strukturen.“