50 Tage dauert die Osterzeit – bis Pfingsten. Die ersten
acht Tage nach Ostern bilden in der Liturgie die sogenannte Osteroktav.
Sie wird liturgisch wie ein Hochfest gefeiert und geht heute, „acht
Tage darauf“, am 2. Ostersonntag, dem Oktavtag von Ostern, zu Ende.
In dieser Woche nach Ostern fanden in der frühen Kirche
täglich Eucharistiefeiern statt, an denen die – in der Osternacht –
Neugetauften in ihren weißen Kleidern teilnahmen und die sie die ganze
Woche anbehielten. Am Ende der Woche wurden die weißen Kleider abgelegt.
Das hat diesem Sonntag den Namen „Weißer Sonntag“ gegeben.
An diesem Sonntag wurde und wird auch heute noch oft in
den Pfarrgemeinden die Erstkommunion der Kinder gefeiert. – Und auch
viele von uns, wohl die meisten, sind an diesem Tag zum ersten Mal zur
heiligen Kommunion gegangen.
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Wann war das bei mir?
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Wie viele Jahre ist das her?
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Habe ich noch Erinnerungen daran?
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Ist mir dieser Tag wichtig?
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Denke ich mit Freude und Dankbarkeit daran?
Liebe Schwestern und Brüder!
Papst Johannes Paul II. hat diesem Sonntag, dem ersten
nach Ostern, im Jahr 2000 – bei der Heiligsprechung der polnischen
Ordensfrau Faustina Kowalska – den Namen „Sonntag der göttlichen
Barmherzigkeit“ gegeben.
Fünf Jahre später, 2005, starb er am Vorabend dieses
Sonntags. Und Papst Franziskus sprach ihn 2014 zusammen mit Papst
Johannes XXIII. an diesem Sonntag, dem „Sonntag der göttlichen
Barmherzigkeit“ heilig.
Man kann davon halten, was man will, dass Johannes Paul
II. dem Weißen Sonntag einen neuen bzw. zusätzlichen Namen gegeben hat.
Er tat es jedoch nicht ohne Grund. Denn gerade an diesem Sonntag kommt
im Evangelium das Thema der Barmherzigkeit Gottes deutlich zum Ausdruck.
Da ist zunächst die Passage, wo es heißt, dass Jesus die
Seinen anhaucht und spricht: „Empfangt den Heiligen Geist!“ Dann
sagt Jesus: „Denen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen;
denen ihr sie behaltet, sind sie erhalten.“ – Hier geht es um
Vergebung. Und vergeben, verzeihen, ist die höchste Form der Liebe.
Barmherzigkeit wiederum ist ein ganz zentraler Aspekt der Liebe.
Das hat Papst Johannes Paul II. in seiner Enzyklika „Dives
in misericordia – Über das göttliche Erbarmen“ wunderbar aufgezeigt.
Der charakteristischste Zug im Wesen Gottes ist demnach nicht seine
Gerechtigkeit oder seine Weisheit, auch nicht seine Allmacht oder sonst
etwas, obwohl diese Eigenschaften zu seinem Wesen gehören. Nein, der
markanteste Grundzug im Wesen Gottes, die Eigenschaft
schlechthin, ist seine Barmherzigkeit. Die Barmherzigkeit Gottes aber
ist größer als alle Sünden. Und sie konkretisiert sich vor allem in der
Vergebung.
Die barmherzige Liebe Gottes ruft auch uns zu
Barmherzigkeit und Liebe. So sagt Jesus: „Seid barmherzig, wie euer
Vater im Himmel barmherzig ist“ (Lk 6, 36). „Hättest nicht auch
du Erbarmen haben müssen, wie ich mit dir Erbarmen hatte“ (Mt 18,3
3). Und: „Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer“ (Mt 9, 13).
Liebe Schwestern und Brüder!
Auch im zweiten Teil des heutigen Evangeliums kommt das
Thema Barmherzigkeit zur Sprache, zwar nicht ausdrücklich aber von der
Sache und vom Inhalt her. Wir begegnen da nämlich dem Apostel Thomas. In
unserem Sprachgebrauch hat er oft den Beinamen der „Ungläubige“. Er ist
in der Gefolgschaft Jesu der Zweifler, der Skeptiker.
Mir kommt vor: Wie kaum ein anderer Apostel passt Thomas
in unserer Zeit. Er ist in der Tat wie ein „Zwilling“ zu uns. Er will
nicht blind und vorschnell glauben. Er will sehen, prüfen, be-greifen.
Er will hand-feste Beweise. Er legt Wert darauf, sich selbst zu
überzeugen.
Bei der ersten Begegnung mit dem Auferstandenen war er
allerdings gar nicht dabei. Diese hat er versäumt. Er war abgetaucht.
Dann aber – „acht Tage darauf“ – da schlägt seine Stunde.
Immer noch haben die Jünger die Türen verriegelt. Wieder
tritt Jesus – wie aus dem Nichts – in ihre Mitte, wiederum auch mit
seinem Friedensgruß. Und – als sei er nur für Thomas gekommen – wendet
er sich sofort und direkt an ihn, der, falls er denn glauben sollte, so
knallharte Bedingungen gestellt hat. „Wenn ich nicht …“
Was auffällt: Von Seiten Jesu keine Rüge, kein Tadel,
kein Vorwurf! Jesus staucht ihn wegen seines Unglaubens nicht zusammen.
Er stellt ihn vor den anderen nicht bloß. Er kommt ihm vielmehr
entgegen. Er holt ihn bei seinen Fragen und Zweifeln ab. Er geht auf die
Bedingungen, die Thomas gestellt hat, ein und fordert ihn auf:
„Streck deinen Finger … Streck deine Hand …!“
Ob Thomas der Aufforderung, Jesus zu berühren, gefolgt
ist, wird vom Evangelisten nicht berichtet. Wahrscheinlich schon. Oder
hat es die Berührung – so nah bei Jesus und im Anblick seiner Wunden –
gar nicht mehr gebraucht?
Jedenfalls, viele Bilder, die diese Szene darstellen,
zeigen einen Thomas, der die Seitenwunde Jesu berührt, der sich
ausstreckt, dessen Hand manchmal sogar von Jesus selbst geführt wird.
Liebe Mitchristen!
Wie unendlich viel muss dem Herrn an diesem Thomas
gelegen haben! Er schenkt ihm seine Zuneigung, seine Liebe, sein
Erbarmen. Auch er, der „Nachzügler“, der „Ungläubige“, der „Zweifler“
ist angenommen und aufgenommen in die barmherzige Liebe Gottes. – Auch
aus diesem Grund macht es Sinn, dass der heutige Sonntag den Namen
„Barmherzigkeits-Sonntag“ trägt.
Liebe Schwestern und Brüder!
Jede und jeder von uns ist für Jesus wichtig. Jede, jeder
von uns ist ihm unschätzbar viel wert. ER ist der gute Hirt, der – wie
im Fall des Thomas – dem Verlorenen nachgeht. ER nimmt uns an, auch wenn
unser Glauben schwach und angefochten ist. ER sagt ja zu uns, auch wenn
wir immer wieder versagen. ER gibt keinen auf. ER lässt keinen fallen.
Seine Barmherzigkeit ist stärker. Seine Liebe ist unendlich groß.