Liebe Schwestern und
Brüder!
Was machen die Jünger
nach der Himmelfahrt Jesu?
Sie gehen in Quarantäne.
Ja, sie haben richtig gehört. Die Jünger Jesu gehen in Quarantäne. Sie
schotten sich ab, sie schließen sich ein. Freiwillig, ungezwungen. Und
doch nicht ganz freiwillig. Denn sie haben Angst.
Nach der Himmelfahrt
Jesu
kehren die Jünger nach Jerusalem zurück, gehen ins Obergemach hinauf und
schließen sich ein, aus Angst vor den Menschen, aus Angst vor Ablehnung,
aus Angst, es könnte ihnen ebenso ergehen wie ihrem Meister. Mitgehangen
– mitgefangen.
Liebe Schwestern und
Brüder!
In den Wochen, als die
Corona-Krise auf ihrem Höhepunkt war, mussten viele Menschen in ihr
„Obergemach“ und da bleiben. Sie lebten unzugänglich für ihre Verwandten
und Freunde, abgeschottet von ihren nächsten Angehörigen. Die
Abschottung wurde von außen befohlen. Aber oft genug spielte auch da
Angst eine Rolle, die Angst vor Ansteckung.
Für die Menschen
in den Alten- und Pflegeheimen sowie für die vom Corona-Virus
Infizierten auf den Intensivstationen der Krankenhäuser war die
Situation besonders schlimm. Kein Besuch, keine Händedruck, keine
Umarmung! Manch einer musste allein und verlassen sterben.
In anderen Ländern
– wie z. B. Spanien – gab es eine totale Ausgangssperre für ganze Städte
und Regionen. Da ging es uns hier in Deutschland – und vor allem auch im
ländlichen Bereich – vergleichsweise gut. Da haben viele Menschen viel
Schlimmeres auf sich nehmen und durchmachen müssen.
Das Gute war,
dass wenigstens per Telefon oder per Skype noch Kontakt mit Freunden und
Verbindung zu Verwandten möglich war. Dennoch haben viele an dem
aufgezwungenen Abgeschnitten- und Isoliert-Sein gelitten. Wir selber
waren die rigorosen Einschränkungen vielleicht auch irgendwann leid.
Sie wissen, liebe
Schwestern und Brüder,
dort, wo Menschen über einen längeren Zeitraum ganz eng beieinander
leben und sozusagen ganz nah aufeinander hocken, ohne ausweichen zu
können, ohne eine Abwechslung, da kommt es leicht zu Gereiztheit und
Aggressionen. Irgendwann geht man sich gegenseitig auf die Nerven. Dann
kann schon eine Kleinigkeit einem aufregen und zur Weißglut bringen.
Dann braucht‘s oft nicht mehr viel und das Fass läuft über, es platzt
einem der Kragen oder der Gaul geht mit einem durch. Und schon ist Feuer
unterm Dach, Krach und Streit.
So gesehen wundert’s mich nicht, dass in der
Corona-Krise, wie statistisch bewiesen ist, häusliche Gewalt und
Missbrauch besonders gegenüber Frauen und Kindern stark zugenommen
haben.
Liebe Mitchristen!
Wie war das eigentlich im
Obergemach in Jerusalem? Wie haben die Jünger ihre Quarantäne
ausgehalten? – Lukas erzählt uns: „Sie alle“ – nämlich die
Apostel, die namentlich aufgezählt werden – „verharrten dort einmütig
im Gebet zusammen mit den Frauen und mit Maria, der Mutter Jesu, und
seinen Brüdern.“ (Apg 1, 14)
Sonderbar,
die Jünger und Jüngerinnen Jesu gingen sich anscheinend nicht auf die
Nerven. Von Auseinandersetzungen, von Zwietracht und Streit ist keine
Rede. „Einmütig“, so hebt Lukas hervor, verharrten alle im
Gebet.
Wie lässt sich diese
Einmütigkeit erklären?
Den Schlüssel liefert uns
Lukas, wenn er vom gemeinsamen Gebet spricht. Sehen Sie: Die Jünger und
Jüngerinnen Jesu waren nicht total aufeinander fixiert. Sie waren offen
für eine andere, für eine größere Wirklichkeit. Sie öffneten sich für
Gott.
Ich bin überzeugt, dass
diese Offenheit für Gott im Gebet sie ganz stark und ganz tief verbunden
hat. Es entstand eine „Einmütigkeit“. Sie waren eines Sinnes, eine
Seele. In der Tiefe spürten sie eine innere Verbindung. Und so
vermochten sie auch die enge Nähe auszuhalten.
Liebe Schwestern und
Brüder!
Wenn wir gemeinsam beten,
können wir mitten in Enge und Angst die Öffnung nach oben erleben.
Gemeinsames Beten führt zusammen, es stärkt das Miteinander von
Ehepaaren, von Familien und Gemeinschaften. Ja, im Gebet gibt es
Verbundenheit über hunderte von Kilometern.
Das gemeinsame Beten und
Singen und Gottesdienstfeiern verbindet uns auch mit den Engeln und
Heiligen im Himmel. Es verbindet uns mit der Kirche vor Ort und mit den
Schwestern und Brüdern im Glauben auf der ganzen Welt, besonders auch
mit denen in Not und Bedrängnis.
Und dann sind wir nicht
mehr allein. Ja, es stimmt: Wer glaubt ist nicht allein. Dann fühlt man
sich nicht mehr ausgegrenzt und isoliert, sondern man fühlt sich
zugehörig, mit hineingenommen, verbunden mit Menschen gleicher
Gesinnung.
Liebe Schwestern und
Brüder!
Die Jünger bleiben im
Obergemach bis der Heilige Geist auf sie herabkommt. Jesus hat ihn
verheißen und versprochen. Auf ihn warten sie. Ihn ersehnen und erflehen
sie.
An Pfingsten
trauen sich die Jünger dann heraus aus ihrer Enge. Sie trauen sich auf
die Menschen zuzugehen, vor denen sie kurz vorher noch Angst hatten. An Pfingsten sehen wir dann auch, wie der Heilige Geist die Jünger
fähig macht, eine neue Sprache zu sprechen, eine Sprache, die alle
verstehen.
Ich denke, so dürfen auch
wir vertrauen, dass der Heilige Geist uns nach der Corona-Krise eine
neue Sprache schenkt, eine Sprache, die uns miteinander verbindet, eine
Sprache, die nicht bewertet und verurteilt, sondern versöhnt, eine
Sprache, die nicht niederzieht und runtermacht, sondern aufbaut und
aufrichtet, eine Sprache, die uns nicht ängstigt, sondern ermutigt.
Liebe Schwestern und
Brüder!
Rufen wir in diesen Tagen
der Pfingstnovene den Heiligen Geist an, dass er uns hilft, hinter die
Krise zu schauen und uns zu fragen, was sie uns sagen und zeigen will.
Jede Krise ist auch eine Chance. Wir können daraus lernen.
Möge der Heilige Geist
uns helfen, zu erkennen, was Gott uns durch diese Krise mit ihren
gravierenden Folgen lehren will. Mögen wir erkennen, wo Umkehr nötig
ist, wo Veränderungen angesagt sind, Wandel, Aufbruch, ein neuer Anfang,
damit wir hinterher nicht in allem weitermachen wie zuvor und alles beim
Alten bleibt.
Normalität ja! Wir alle
sehnen uns danach. Werfen wir jedoch vor lauter Lockerungstaumel
Rücksicht und Vorsicht nicht über Bord. Eine andere Normalität, eine
neue! Ich denke, in den vergangenen Wochen und Monaten konnten wir etwas
von diesem Neuen lernen und einüben:
-
Eine neue
Solidarität:
Vorsicht, Umsicht, Rücksichtnahme, Hilfsbereitschaft, Verständnis,
Achtsamkeit und Geduld.
-
Eine neue
Nachdenklichkeit:
Innehalten und entschleunigen. Nicht weiterrasen, hetzen, eilen,
gieren, geizen. Innehalten, umsinnen, die innere Balance finden,
Ruhe und Gelassenheit. Mehr Wir und weniger Ich.
-
Und vielleicht
auch eine neue Offenheit für Gott:
Ihm wieder mehr Raum geben, still werden, seine Nähe suchen im
Gebet, auf ihn hören, seinem Wort im Glauben folgen, sich ihm
anvertrauen.
Oft verstehen wir seine Wege nicht. Er aber weiß den Weg für uns.
Liebe Schwestern und
Brüder!
Lassen wir uns von IHM an
der Hand nehmen! Lassen wir uns von IHM führen und leiten. ER ist das
Licht, das uns erleuchtet. ER ist die Kraft, die uns erfüllt. ER ist der
Beistand, der uns nicht verlässt. ER die Liebe, die uns birg und hält,
heute und immer. Amen.