Passion
Das Leiden unseres Herrn
Jesus Christus
+ Das
Leiden unseres Herrn Jesus Christus nach Lukas.
…
54 Darauf
nahmen sie ihn fest, führten ihn ab und brachten ihn in das Haus des
Hohepriesters. Petrus folgte von Weitem.
55 Mitten
im Hof hatte man ein Feuer angezündet und Petrus setzte sich zu den
Leuten, die dort beieinandersaßen.
56 Eine
Magd sah ihn am Feuer sitzen, schaute ihn genau an und sagte: Der war
auch mit ihm zusammen.
57 Petrus
aber leugnete es und sagte: Frau, ich kenne ihn nicht.
58 Kurz
danach sah ihn ein anderer und bemerkte: Du gehörst auch zu ihnen.
Petrus aber sagte: Nein, Mensch, ich nicht!
59 Etwa
eine Stunde später behauptete wieder einer: Wahrhaftig, der war auch mit
ihm zusammen; er ist doch auch ein Galiläer.
60 Petrus
aber erwiderte: Mensch, ich weiß nicht, wovon du sprichst. Im gleichen
Augenblick, noch während er redete, krähte ein Hahn.
61 Da
wandte sich der Herr um und blickte Petrus an. Und Petrus erinnerte sich
an das Wort, das der Herr zu ihm gesagt hatte: Ehe heute der Hahn kräht,
wirst du mich dreimal verleugnen.
62 Und
er ging hinaus und weinte bitterlich.
…
Petrus hatte ein lebhaftes
Naturell. Er war ein ganz vitaler Mensch, sehr spontan, impulsiv, leicht
zu großen Worten neigend, begeisterungsfähig, der geborene Wortführer.
Er fand stets ein Wort,
wenn die anderen Jünger schwiegen. Immer schritt er schnell zur Tat,
wenn seine Gefährten noch verstummten – vor lauter Staunen oder Schreck.
Als Jesus den Jüngern den
reichen Fischfang schenkte, war es Petrus, der mit geradezu
südländischem Temperament niederfiel und bekannte: „Herr geh weh von
mir! Ich bin ein Sünder.“
Als Jesus im Morgengrauen
über das Wasser schritt und sagte: „Ich bin es!“ Da geriet bei
Petrus das Blut in Wallung. Und er wollte auf der Stelle und so schnell
wie möglich bei Jesus sein. So stieg er wagemutig – mitten im Sturm –
aus dem Boot und eilte über das Wasser auf Jesus zu, bis er sank und um
Hilfe schrie.
Als Jesus einmal seine
Jünger fragte: „Wollt auch ihr gehen?“ – Da war es Petrus, der
antwortete: „Herr, wohin sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen
Lebens.“
Als erster spricht er das
großartige Messiasbekenntnis. Doch schon kurz darauf nennt Jesus ihn
„Satan“, der sich den Plänen Gottes widersetzt, der nicht denkt, was
Gott will, sondern was die Menschen wollen.
Als Jesus im Kreis der
Seinen – schon innerlich bedrückt – sein Leiden und seine Verlassenheit
ansagt, da betont Petrus spontan und ein wenig großspurig und
selbstsicher: „Und wenn alle abfallen und fliehen – ich nie!“
Als Jesus ihm darauf
antwortete, gerade er werde ihn noch in dieser Nacht dreimal verleugnen,
steigerte sich Petrus zu der Beteuerung: „Und wenn ich mit dir
sterben müsste, ich werde dich nie verlassen!“ Und in der Tat: Bei
der Gefangennahme Jesu greift er zum Schwert, haut drein und ist bereit
für seinen Herrn und Meister zu kämpfen. – Aber dann kommt die bitterste
Stunde seines Lebens, die schmähliche Verleugnung, die Jesus ihm
voraussagte.
Wie kam es wohl dazu? Was
ging in Petrus vor?
„Steck dein Schwert in die
Scheide!“ hatte Jesus ihn ermahnt.
Ob Petrus nicht tief von
seinem Meister enttäuscht war? Jetzt wäre es doch möglich, jetzt der
Augenblick günstig. Wann, wenn nicht jetzt nach dem triumphalen Einzug
in Jerusalem? Jetzt wäre doch der Zeitpunkt, dass der Messias seine
ganze Macht offenbart und zeigt, wer er wirklich ist und was er drauf
hat.
Aber er tut so gar nichts,
um sich aus seiner prekären Situation zu befreien. Im Gegenteil: Er
lässt sich widerstandslos gefangen nehmen, hilflos und wehrlos lässt er
sich abführen. Warum unternimmt er nicht, um sich zu retten. Warum tut
er nichts, um endlich sein Reich aufzurichten?
Und seine Getreuen?
Überlässt er sie nicht einem ähnlichen Schicksal? – Welten brechen für
Petrus zusammen. Düsternis überkommt ihn. Ob Jesu Weg doch nicht sein
Weg ist?
Und wenn der Meister
selbst nichts zu seiner Rettung tut, warum sollte er sich dann noch
weiter zu ihm bekennen und auch noch sein Leben aufs Spiel setzen? Wenn
der offenbar sich selbst aufgibt, warum sollte er, Petrus, nicht
wenigstens seine eigene Haut retten? Ist einem das Hemd nicht näher als
der Rock?
Petrus bekommt es mit der
Angst zu tun, als er Jesus gefangen und gebunden sieht. Und als er als
ihm zugehörig erkannt wird, da flucht und schwört er, nichts mit ihm zu
tun zu haben, ja, diesen Menschen nicht einmal zu kennen. Er distanziert
sich. Er verleugnet er ihn. Er lässt den Meister fallen.
Aber der Herr lässt ihn
nicht fallen! Hatte Jesus nicht gleichsam Vorsorge für Petrus getroffen:
„Ich habe für dich gebetet, dass dein Glaube nicht erlischt… Und wenn
du dich bekehrt hast, dann stärke deine Brüder!“
Jesus lässt Petrus nicht
fallen. Was tut Jesus im Augenblick des Verrats? Beim Evangelisten Lukas
heißt es: „Da wandte sich der Herr um und blickte ihn an.“ – Der
Blick geht durch und durch. Dreimal kräht ein Hahn. Petrus erinnert sich
an das, was Jesus gesagt hatte. Und er geht hinaus und weint.
Der Blick Jesu bringt
Petrus zu Einsicht und Reue.
Was für ein Blick! Ich
stell mir vor: Ein sorgender, liebevoller, gewinnender Blick, kein
vorwurfsvoller und verurteilender Blick. Kein Blick, der den Schwachen
und Versager abschreibt. – Diesen Blick kann Petrus nie vergessen!
Reue überkommt ihn. Tränen
steigen auf. Petrus ist fähig umzukehren. Isaak von Ninive, ein
Kirchenlehrer des Ostens sagt: „Wer seine Sünden kennt, ist größer
als einer, der einen Toten erweckt. Wer eine Stunde lang über sich
selbst weinen kann, ist größer als einer, der die ganze Welt
unterrichtet. Wer seine eigene Schwachheit kennt, ist größer als einer,
der die Engel schaut.“
Petrus ist fähig,
umzukehren. Er nutzt seine Chance – so wie er früher schon mal die Hand
Jesu ergriffen hat, als das Wasser über ihm zusammenschlug und er
unterzugehen drohte.
Bei Martin Buber findet
sich das Wort: „Die große Schuld des Menschen sind nicht die Sünden,
die er begeht. Die Versuchung ist mächtig und seine Kraft gering. Die
große Schuld des Menschen ist, dass er in jedem Augenblick die Umkehr
tun kann und nicht tut.“
Gott gibt jedem seine
Chance bis zuletzt. Gott schreibt keinen Menschen ab. Versagen,
Feigheit, Untreue müssen nicht das letzte sein. Umkehr ist immer
möglich. Denn es gibt keine Sünde, die Gott nicht verzeihen könnte. Bei
ihm gibt es immer einen Weg zurück. Bei ihm ist die Tür immer offen.
Im ersten Johannesbrief
steht das schöne Wort: „Klagt uns unser Herz auch an. Gott ist größer
und er weiß alles.“ – Seine Liebe ist größer als alle Schuld.
Für Petrus war dieses
Erlebnis lange eine offene Wunde. Wir erfahren noch einmal davon Ende
des Johannesevangeliums: „Liebst du mich?“ Dreimal frägt der
Auferstandene. „Da wurde Petrus traurig.“ Und er bekennt:
„Herr, du weißt alles, du weißt aber auch, dass ich dich liebe.“
Gott verlangt nicht, dass
wir nie schwach werden. Es ist unmöglich, ohne Schuld zu leben. Niemand
bringt das fertig, auch der größte Heilige nicht! Aber er will, dass wir
mit gutem Willen stets neu anfangen. – Jeder Tag ist ein neuer Anfang.
Und gerade auch im Bußsakrament wird uns immer wieder der neue Anfang
geschenkt. Dieses Sakrament ist – wie nichts sonst – der Ort, wo wir der
barmherzigen Liebe Gottes begegnen.
Seien aber auch wir selbst
bereit, einander den Blick der vergebenden Liebe zu schenken, das
verzeihende Wort zu sprechen und einer dem anderen den neuen Anfang zu
gewähren.
In seinem Brief an die
Gemeinde in Kolossä schreibt der Apostel Paulus: „Vergebt einander,
wenn einer dem anderen etwas vorzuwerfen hat. Wie der Herr euch vergeben
hat, so vergebt auch ihr.“ |