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		Wir haben sie gerade 
		gehört, die Passion in verteilten Rollen. Wir haben sie mit Andacht 
		gehört, vielleicht sogar mit Ergriffenheit. Gehört sich ja auch so – am 
		Karfreitag. – Aber vielleicht sollten wir sie eher mit Erschrecken hören 
		als mit Andacht, denn das ist keine „Geschichte von damals“, sondern die 
		Passionsgeschichte, die ist immer noch! Denn der Herr leidet 
		immer noch. Er wird immer wieder aufs Neue gekreuzigt – mitten unter 
		uns. Und in der Passionsgeschichte unserer Tage gibt es immer noch die 
		gleichen Rollen und die gleichen Mitspieler wie damals im Jahr 33. 
		
		
		  
		
		
		Da sind zunächst die 
		vielen, vielen Gleichgültigen und Feigen, jene, die immer gerne 
		die Hände in Unschuld waschen. Die „guten Leute“, die kopfschüttelnd, 
		aber interessiert zuschauen – und die sich nicht rühren – solange nur 
		die anderen draufbekommen und geschlagen werden. Menschen, die keine 
		eigene Meinung haben, die alles geschehen lassen; all das, was nicht zu 
		geschehen bräuchte, wenn diese Menschen nur einmal den Mund auftun 
		würden, um der Gewalt und der Bosheit Einhalt zu gebieten – in der 
		Familie, am Arbeitsplatz, im Bekanntenkreis.  
		
		
		  
		
		
		Dann sind da die 
		Ausreißer, jene, die fortlaufen, wenn es ernst wird; die – so wie 
		Petrus – wenn es darauf ankommt, sagen: Ich kenne diesen Menschen gar 
		nicht! O ja, sie haben seine Predigten gehört; sie waren auch sonntags 
		seine Jünger. Man sah sie in den Prozessionen. Und sie waren begeistert 
		von den Wundern, für die sie weit gefahren sind: Lourdes, Rom, Fatima, 
		Medjogorje… Aber als sie sich persönlich für ihn entscheiden sollten, 
		als sie einmal nachgeben sollten, um einen Streit zu vermeiden; als sie 
		mal mehr abgeben sollten, als ihnen zumutbar erschien; und als sie 
		wenigstens einmal auf ihr Recht verzichten sollten – um des lieben 
		Friedens willen – da ging das doch zu weit. Da waren sie sich doch 
		selbst näher als dem, dem sie in den angenehmen Tagen nachgefolgt waren, 
		als es nichts gekostet hat.  
		
		
		  
		
		
		Und auch an Henkern 
		fehlt es heute nicht. Sie sind immer noch da. Der armselige Rohling zum 
		Beispiel, der seine Wut und seine Komplexe, die er bei der Arbeit und 
		bei den Kollegen nicht loswerden konnte, dann zu Hause bei der Familie 
		austobt. Oder der Schwächling, der sich mit seiner Fahrradkette in der 
		Hand mächtig vorkommt. Die „Guten“, die ihr Land schützen, indem sie in 
		der anonymen Masse und mit maskierten Gesichtern ihre Parolen gegen 
		Menschen schreien, die sie nicht einmal kennen. Und der Gaffer mit 
		seiner Neugierde, der keine Scham und keine Grenzen kennt, wenn es darum 
		geht schmutzige Wäsche zu waschen und seine Lust zu befriedigen. – Und 
		ihnen gegenüber das Opfer – mit seinem Blick voller Trauer und Angst, 
		aber voller Erwartung und Hoffnung: Leidende Gerechte, unschuldig 
		Verfolgte, abgeschobene Alte und Behinderte, Kinder, die alleingelassen 
		und Familien, die in sinnlosen Kriegen auseinandergerissen werden. 
		Menschen, die leiden und trauern, die Hunger haben und vereinsamen.
		 
		
		
		  
		
		
		Menschen, die uns 
		anschauen und fragen: Wer von euch wird für mich Simon von Cyrene sein, 
		oder Veronika? Wer wird sich um mich kümmern? Oder lasst ihr mich hängen 
		an meinem Kreuz? Menschen, in denen der Herr heute uns anschaut und um 
		unsere Hilfe bittet. 
		
		
		  
		
		
		Die Rollen werden 
		verteilt. Jeden Tag aufs Neue. Auch heute. – Und wir müssen wählen. Es 
		ist unmöglich, nicht zu wählen. Und wer nicht wählt, hat sich auch für 
		eine Rolle entschieden – vielleicht sogar für die hässlichste. 
		 
		
		
		„Wer nichts macht, macht 
		mit.“ – Wir müssen wählen.  
		
		
		  
		
		
		Liebe Schwestern und 
		Brüder! 
		
		
		Wir feiern diesen harten 
		Tag, diesen „Wahltag“, den Karfreitag mit einem Gottesdienst. Wir singen 
		und beten. Wir knien vor dem Kreuz Christi. – Und mit all dem glauben 
		wir, Gott einen Dienst zu tun. Oder glauben wir das etwa nicht? – Wir 
		glauben das, weil wir es von Kind auf so gelernt haben und weil die 
		Kirche es so lehrt. Und wir kämen gar nicht auf den Gedanken, dass das 
		falsch sein könnte. Aber wir müssen unserer Karfreitagsstimmung 
		misstrauen. Denn genau das Umgekehrte ist wahr: Nicht wir dienen ihm, 
		sondern er dient uns.  
		
		
		  
		
		
		Nicht wir tragen das Kreuz 
		mit ihm, sondern er erträgt uns. Er erträgt es, dass wir in der Stunde 
		seines Todes Lieder singen, über deren Text wir vielleicht nicht einmal 
		nachgedacht haben. Er erträgt es, dass wir, die wir uns Christen nennen, 
		immer noch in Konfessionen getrennt sind. Er erträgt es, dass wir nach 
		dieser Stunde des Gebetes und der Betrachtung unser Leben so 
		weiterleben, als sei hier nichts geschehen. – Er erträgt es, dass wir 
		unser Leben zweigeteilt haben in ein frommes, kirchliches und in ein 
		alltägliches und geschäftliches Leben. Und wie oft haben diese beiden 
		Leben aber auch gar nichts miteinander zu tun!  
		
		
		  
		
		
		Und warum erträgt er das 
		alles? Sicher nicht, weil wir so gut zu ertragen sind, sondern weil er 
		unser Gott ist. Er ist doch unser Schöpfer. Er hat uns gemacht. Mit 
		Herzblut und Liebe. Als seine Abbilder. Ja, er erträgt uns, weil er uns 
		liebt! „Und weil er die Seinen liebte, liebte er sie bis zum Ende“, 
		so sagt es der Evangelist Johannes.  
		
		
		  
		
		
		Das feiern wir heute. Oder 
		sagen wir besser: IHN feiern wir heute, IHN, der uns liebt, IHN, der an 
		uns mit uns leidet, weil wir aus unseren oft so üblen Rollen nicht 
		herauskommen. Und der alles tut, um uns aus all dem zu erretten. 
		Alles! Und dabei ist er ganz weit gegangen – bis ans Kreuz, ER, unser 
		Erlöser und unser Heil.  
		
		
		  
		
		
		Diese Predigt stützt sich 
		auf Gedanken von Rolf Zerfass und Franz Kamphaus  |