Liebe Wallfahrerinnen
und Wallfahrer, Schwestern und Brüder im Glauben!
Zu unserer
Wallfahrtskirche hier in Zell gehört die Kerzenkapelle, die von außen
her zugänglich ist. Vor einer Pieta, der Statue der schmerzhaften
Muttergottes, können die Besucher und Beter Opferlichter entzünden. Sie
können außerdem auf leere Zettel Anliegen schreiben, Bitten, Fürbitten
oder auch Dank. Diese Gebetsanliegen werden dann bei der Wallfahrtsmesse
am Samstagmorgen erwähnt und zur Gabenbereitung auf den Altar gelegt.
Etwas Ähnliches gibt es
auch in anderen Pfarr- oder Wallfahrtskirchen. Während meines letzten
Urlaubs in Oberbayern fand ich in einer Klosterkirche neben dem
Betschemel vor der Pieta und einem Ständer für Opferlichter ein
Fürbittbuch.
Die Besucher sind
eingeladen, persönliche Gedanken und Gebete in das Buch zu schreiben.
Ich war ein wenig
neugierig und habe mal eine Weile in dem Buch geblättert und gelesen.
Dabei begegnete ich vielfältigem Leid, mannigfachen Sorgen und großer
menschlicher Not. Mir kam das Sprichwort in den Sinn:
„Not lehrt beten!“
Ich begegnete dem von
Sorgen bedrängten Familienvater, dem jungen Arbeitslosen, der Schülerin
in angstvoller Prüfungssituation, der Witfrau, die kürzlich ihren Mann
verloren hat, der alleinerziehenden Mutter mit ihren Problemen, dem
Liebeskummer einer Studentin und der an Krebs erkrankten
Ordensschwester.
Mobbing am Arbeitsplatz
kommt ebenso vor wie Alkoholsucht und ihre Folgen, Suizidversuch,
Fehlgeburt, Beinamputation, Bypass-Operation, Lebensangst, erlittenes
Unrecht, Enttäuschung und finanzielle Sorgen.
Nichts bleibt in diesem
Buch ausgespart. Manche Menschen - so bekennen sie darin - „wissen
nicht mehr ein und aus“ und sind ganz niedergedrückt und
verzweifelt.
Auf einer Seite hielt ich
beim Blättern nachdenklich inne. Da standen ganz groß - quer über eine
ganze Seite - nur fünf Buchstaben geschrieben: WARUM? Das
hat mich sehr betroffen gemacht.
Ich schaute von dem
Fürbittbuch auf zu Maria, der Pieta, zum Bild der Schmerzensmutter.
Maria mit dem Leichnam ihres Sohnes auf dem Schoß.
Hat er nicht auch am Kreuz
dieses „Warum“ laut gerufen? Und was mag in Maria vorgegangen
sein, als sie ihren Sohn am Kreuz sterben sah? Was mag sie empfunden
haben, als sie seinen zerschundenen Leib in ihre Arme nahm?
Es ist die Szene des
Karfreitagabends. Maria ist erfüllt von unendlichem Schmerz und tiefer
Trauer. Wo ist da Gott? Erfüllt er so seine Verheißungen? Warum das
alles? Solches Leid macht sprachlos, ratlos, ohnmächtig.
Maria unter dem Kreuz. Der
rechte Seitenaltar in unserer Wallfahrtskirche zeigt die Szene. Er zeigt
die Trauer, den Schmerz, die Ohnmacht der Mutter. “Maria im Leid“
steht auf dem Altarsockel.
Man muss sich
einmal vorstellen: Er, dem die Herrschaft über
das Haus Jakob verheißen war, der, von dem der Engel sagte: er wird Sohn
des Höchsten genannt werden, ihn sieht die Mutter schmählich
hingerichtet am Schandpfahl zwischen zwei Verbrechern sterben. - Wie mag
da Maria zumute gewesen sein? War da nicht eine gewaltige Spannung
zwischen den Worten des Engels bei der Verkündigung und der Kreuzigung
ihres Sohnes auf dem Gipfel des Leidens?
„Auch deine
Seele wird ein Schwert durchbohren“, hatte
der Greise Simeon vorausgesagt. Was für einen Stich im Herzen, welch ein
furchtbarer Schmerz mag es gewesen sein als Jesus, ihr Sohn, am Kreuz
schrie: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du
mich verlassen?“
Aber Maria hielt stand,
sie hielt das WARUM aus, sie hielt das Leid aus, den Schmerz, die
Dunkelheit. Unter dem Kreuz, liebe Schwestern und Brüder, hat uns Maria
den Weg ins Standhalten, Durchhalten, Aushalten gezeigt und letztlich
den Weg ins Vertrauen. Sie hat auf die Kraft dessen vertraut, von dem
sie im Magnifikat singt: Sein Name ist heilig und sein Erbarmen währt
von Geschlecht zu Geschlecht. Maria hat geglaubt, dass Leid und Tod
nicht das letzte Wort haben.
Wenn wir also
fragen, wie bewältigt Maria ihre Schmerzen,
wie wird sie fertig mit dem Leid, dann liegt die Antwort in Mariens
gläubigem Vertrauen und in ihrem liebenden Sich-Überlassen.
Über dem Leben
Mariens steht das Ja: „Mir geschehe nach
deinem Wort!“ Dieses Ja vom Morgen der Verkündigung hat Maria
durchgehalten und ist ihm treu geblieben bis zum Abend des Karfreitags,
wo sie den toten Sohn auf ihrem Schoß trägt.
Mich wundert`s nicht, dass
gerade das Bild der Pieta das christliche Herz so anzieht und anspricht.
Mich wundert`s
nicht, dass Menschen vieler Generationen sich
im Bild der schmerzhaften Mutter wiederfinden, sich verstanden fühlen,
hier Trost und Rat suchen und Zuflucht und Hilfe finden.
Maria selbst
hat ja erlebt, was Menschenherzen bewegt.
Sie weiß, was Armut
ist und Not. Sie kennt Arbeit und Sorge. Sie hat die Last und Mühsal des
Lebens erfahren. „Angst und Jammer, Qual und
Bangen, alles Leid hielt sie umfangen, das nur je ein Herz durchdrang.“
Und wir dürfen sicher
sein, liebe Schwestern und Brüder, Maria versteht uns. sie kann helfen
und trösten.
Ihr dürfen wir alles sagen
und bringen, was uns zu schaffen macht, was uns zusetzt, was uns
bedrückt und belastet, unsere eigenen Anliegen und die der Angehörigen
daheim, auch die Gefahren und Probleme der großen Welt und der Kirche in
unserer Zeit.
Nicht dass sich
schlagartig alles ändert, was unser Leben schwer macht: Krankheit oder
Arbeitslosigkeit, Spannungen in der Familie, Krisen in der Ehe,
sonstiger Ärger, Sorgen und Ängste.
Das alles ist auch nach
einer Wallfahrt nicht unbedingt ganz anders. Das alles ist nicht gleich
weggewischt. Aber wir können erbaut und gestärkt werden. Wir können
ermutigt in den Alltag zurückkehren, ausgerüstet mit neuem Mut, mit
neuer Kraft und starker Hoffnung.
Viel ist schon
gewonnen, wenn wir - wie Maria - an Gott nicht
irre werden, sondern uns IHM anheimstellen, uns IHM anvertrauen, uns in
IHM festmachen, in IHM einen tragenden Grund und Halt finden.
Viel ist schon
gewonnen, wenn wir wieder besser Ja sagen
können zu uns selbst, zu unserer Situation, zu unseren Mitmenschen, zu
unserem Beruf und zu dem Platz, an den Gott uns gestellt hat.
Bitten wir die
Gottesmutter, dass wir - wie sie - die Kraft
haben, unsere Liebe und unseren Glauben durch alle Anfechtungen
durchzuhalten, in den Dunkelheiten des Lebens nicht zu verzagen und
unser ganzes Vertrauen immer wieder auf Gott zu setzen.
Bitten wir
um eine tiefe Hoffnung, einen lebendigen Glauben und eine treue Liebe in
allen Wechselfällen des Lebens. Gott führt und leitet.
„Und denen, die Gott lieben, gereicht alles zum Guten.“ (Röm 8)
Als Christen
glauben und bekennen wir: Leid und Tod haben
nicht das letzte Wort. Und wie Gott Maria aufgenommen hat in den Himmel
und ihr ewige Freude, Glück und Seligkeit geschenkt hat, so dürfen auch
wir darum beten, dass er uns durch Leiden und Kreuz zur Herrlichkeit der
Auferstehung führt. Was sich an Maria schon erfüllt hat, ist auch uns
verheißen. Christus nimmt auch uns in seinen Ostersieg hinein. Mit Maria
hat er den Anfang gemacht. So ist sie das große Zeichen der Hoffnung für
uns alle.
Übrigens,
in dem Fürbittbuch, von dem ich am Anfang erzählte, fand ich nicht nur
Klagen, Bitten Anliegen und Hilferufe, sondern auch Erhörungen,
Bekenntnisse und sehr viel Dank.
Eine der schönsten
Eintragungen lautete: „Lieber Gott, ich habe
hier Trost und Hilfe gefunden. Danke, danke für alles!“