Ich kann mir vorstellen, liebe
Schwestern und Brüder, dass manche Leute in Jerusalem zusammengezuckt sind, als
nicht nur Kinder, sondern auch Männer und Frauen damit anfingen, ihre Kleider
auszuziehen und auf dem Boden auszubreiten, damit das Eselsfüllen des Jesus von
Nazareth nicht durch den Straßenstaub zu traben braucht. – Muss das sein? Hätte
es nicht gereicht, wenn alle ihr Hosianna-Lied gesungen und mit den Palmzweigen
gewunken hätten? Dies hätte doch genügt als Empfang für einen König…
Später, im Haus des Pharisäers
Simon, passiert noch einmal etwas Übertriebenes. Eine Frau kommt und schüttet
ein ganzes Fläschchen Parfüm über Jesus aus. Wie unsinnig! Man weiß, was ein
solches Fläschchen kostet. Wieviel Hungrige hätte man damit satt bekommen! Aber
Jesus nimmt die Frau in Schutz: „Arme habt ihr immer bei euch, und ihr könnt
ihnen Gutes tun, so oft ihr wollt; mich aber habt ihr nicht immer. Sie hat
getan, was sie konnte“ (Mk 14, 7).
Diese Reaktion Jesu ist
erstaunlich. Wir wissen von seinem einfachen und anspruchslosen Lebensstil. Hat
er nicht die Leute, die sich ihm anschließen wollten, vor dem gewarnt, was sie
erwartet? „Die Füchse haben ihre Höhlen und die Vögel ihre Nester, aber der
Menschensohn hat nichts, wo er seinen Kopf hinlegen kann“ (Mt 8, 20). – Nun
also diese überschwängliche Frau mit dem kostbaren Parfüm. Wie verträgt sich das
miteinander?
Nun, wer die Evangelien im Ganzen
aufmerksam liest, wird von Jesu Verhalten nicht überrascht sein. Denn Jesus hat
offensichtlich große Sympathie für Leute, die nicht kleinlich sind. – Bei seinem
ersten öffentlichen Zeichen verwandelt er nach dem Johannes-Evangelium sechs
Krüge Wasser in Wein, das sind rund sechshundert Liter. Das ist nicht gerade
wenig für eine durchschnittliche Hochzeitsgesellschaft, zumal sie ja nicht mehr
am Anfang des Festes steht. – Die Arbeiter im Weinberg bekommen alle den vollen
Tageslohn, auch wenn sie erst eine Stunde vor Feierabend eingestellt worden
sind. – Bei der Brotvermehrung bleiben noch zwölf Körbe voll übrig.
Was mit diesen Angaben gesagt
werden soll, ist leicht erkennbar: Es ist vielmehr da als das, was unbedingt
gebraucht würde. Jesus bewegt sich nicht am Existenzminimum entlang. „Gebt,
dann wird auch euch gegeben werden. In reichem, vollem, gehäuftem,
überfließendem Maß wird man euch beschenken; denn mit dem Maß, mit der ihr
messt, wird auch euch zugeteilt werden“ (Lk 6, 38).
Diese Aufforderung zur
Großzügigkeit kann irritieren. Wir sind eher auf kühles Abwägen der
Kosten-Nutzen-Relation ausgerichtet. Wenn einer sich großzügig gibt, werden wir
leicht misstrauisch: Welches Interesse hat er dabei? Was will er damit
erreichen? Dass einer etwas ohne Hintergedanken schenkt, erscheint kaum
glaubhaft und macht verlegen. Wir halten unsere Beziehungen zu anderen lieber im
Gleichgewicht. Zu Weihnachten und zum Geburtstag zum Beispiel tauschen wir
Geschenke aus – immer in angemessener Größenordnung und Preislage. Wer dabei aus
dem Rahmen fällt, ist entweder verliebt oder ein Angeber, oder er weiß nicht,
was sich gehört.
Liebe Schwestern und Brüder!
Wer nur in solchen vordergründigen
Kategorien der Nützlichkeit und Rentabilität denken kann, ist wohl ein armer
Mensch. Ihm bleiben wesentliche Vorgänge der menschlichen Wirklichkeit
verschlossen. So wichtig es ist, unsere Vernunft zu gebrauchen, klar und
folgerichtig zu denken, nüchtern und bedächtig abzuwägen, entschlossen und mutig
zu entscheiden – dies ist eben nicht alles, was unser Leben menschlich und
lebenswert macht. Was sind alle Reichtümer dieser Welt gegen das überströmende
Glück, lieben zu dürfen und geliebt zu werden? Was ist alle Not dieser Welt
gegen die Erfahrung, dass da einer ist, dessen Trost stärker ist als alle
Dunkelheit? Alle Kalkulationen der Nützlichkeit verblassen vor der glücklichen
Erfahrung, dienen zu dürfen und sich in Hingabe anbetend zu verschwenden.
Im Johannesevangelium heißt es
kurz vor der Fußwaschung über Jesus: „Da er die Seinen liebte, die in der
Welt waren, liebte er sie bis zum Ende.“ Damit ist nicht nur eine Zeitangabe
gemacht, sondern eine qualitative Aussage gemeint: Jesus liebte sie bis zum
Äußersten. Er liebte sie so, wie man es intensiver, umfassender nicht tun kann.
– Und er stirbt nicht nur für sie, er gibt sich ihnen auch zur Speise. In einem
Lied heißt es: „Nehmt, sprach er, trinket, esset, das ist mein Fleisch und
Blut, damit ihr nie vergesset, was meine Liebe tut.“
Liebe Schwestern und Brüder!
Jeder von uns ist auf vielfältige
Weise Gebender und Empfangender. Vor Gott aber sind wir alle und allemal nur
Beschenkte. Er schaut nicht auf unsere Leistung. Ihm geht es nicht um Verdienst
und Rentabilität. Er zählt, rechnet und kalkuliert nicht. – Er kennt unsere
Armut, unsere Not und unsere Schuld. Aber er speist uns nicht mit Almosen ab. Er
gibt uns alles, was er hat: den Sohn. Diese verschwenderische Liebe Gottes ist
der eigentliche Inhalt, den die Heilige Woche feiert. Und das Kreuz Jesu ist
unsere einzige Hoffnung.
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