Liebe Schwestern
und Brüder,
bei der „Passion“, der
„Leidensgeschichte“, gehen meine Gedanken in diesem Jahr unwillkürlich
zu den Menschen in der Heimat Jesu. Seit dem Terrorangriff der Hamas vor
einem halben Jahr und dem darauffolgenden Krieg erleben die Menschen in
Israel eine schlimme Passion: die Opfer selbst, ihre Angehörigen und
Freunde, ja das ganze Land. Aber auch die Menschen im Gazastreifen
erleiden eine schreckliche Passion: unzählige Todesopfer,
Bombardierungen, Flucht und Vertreibung, Hunger und Angst.
Passion damals und heute.
Warum nur ist das so? Warum all das unermessliche Leid, das sich durch
die ganze Menschheitsgeschichte zieht? – Viele Bücher sind geschrieben
worden, um diese Frage zu beantworten. Aber sie genügen nicht, so sehr
man sich auch bemüht.
Auch die Bibel versucht
Antworten auf die Frage nach dem Leid. Der Abschnitt aus dem Buch
Jesaja, den wir in der ersten Lesung gehört haben, gibt im Grunde
genommen keine Antwort. Er beschreibt nur, wie sich der im dritten Lied
besungene, geheimnisvolle Gottesknecht verhält, wie er Schmähungen und
Schläge aushält. Aber eine Antwort, warum er aushalten muss, hören wir
nicht. – Die Liturgie versucht, mit dem Blick auf dem Gottesknecht das
Schicksal Jesu zu begreifen. Doch ist es zu begreifen?
Im Neuen Testament gibt es
verschiedene Versuche, die Passion Jesu, seinen Tod am Kreuz zu
verstehen. Eine davon bietet Paulus im Philipperbrief (zweite Lesung).
Der Tod als Folge von Jesu Gehorsam Gott gegenüber. Andere meinen, der
Tod Jesu sei ein Opfer. Aber braucht Gott wirklich ein Opfer? Was ist
das für eine Vorstellung für Gott, der Opfer braucht? Wieder andere
sprechen von Erlösung. Aber Erlösung wovon? – Waren die Juden damals zur
Zeit Jesu nicht fromme Menschen, die die Psalmen beteten, die
Wallfahrten nach Jerusalem unternahmen, im Tempel Tiere opferten, die
Feste feierten wie z.B. das Passahfest?
Die Passion Jesu bleibt ein
Geheimnis, genauso wie die Erfahrung von Leid, das zu allen Zeiten
Menschen anderen Menschen zufügen. Warum und wozu? Und dazu ein Gott,
der all das geschehen lässt? Er sei im Leiden gegenwärtig, ist auch ein
Versuch, damit klarzukommen. Manchen hilft diese Antwort.
Liebe Schwestern
und Brüder,
für mich sind – wie schon
für die Menschwerdung Jesu, so auch für sein Leiden und Sterben – die
Sätze aus dem Glaubensbekenntnis ein Schlüssel zum Verständnis: „für
uns und um unseres Heiles willen.“
Schon beim letzten
Abendmahl sagt Jesus: „Das ist mein Leib, der für euch hingegeben
wird.“ Und: „Das ist mein Blut, das für euch und für alle
vergossen.“
Und beim schmerzhaften
Rosenkranz beten wir: „der für uns Blut geschwitzt hat, der für uns
gegeißelt und mit Dornen gekrönt worden ist; der für uns das schwere
Kreuz getragen hat; und der für uns gekreuzigt worden ist.“ –
Christus hat uns geliebt und sich für uns hingegeben. Für uns! Aus
Liebe!
In der Normandie befindet
sich in einer Dorfkirche eine Kreuzigungsgruppe aus der Zeit der Gotik.
Das Altargemälde mit der Kreuzigungsszene ist durch eine Besonderheit
ausgezeichnet, die fast gar nicht auffällt, aber einen tiefen
theologischen Sinn verrät. Da, wo über dem Kreuz sonst die Inschrift
steht „INRI“, da stehen hier die beiden Worte: „pro nobis“
(für uns).
In den beiden Worten
„pro nobis“ leuchtet die Sinnmitte der gesamten Existenz Jesu auf.
Diese zwei kleinen Wörtchen „pro nobis“ erschließen uns den Sinn
des Lebens, Leidens und Sterbens Jesu. Was in und mit Jesus geschehen
ist, steht unter dem Gesetz des Weizenkorns, des Brotbrechens, dem
radikalen Einsatz des „für uns“.
Liebe Schwestern und
Brüder!
Jesu Leben war Proexistenz.
Seinen Höhepunkt erhält dieses Eintreten für uns in Jesu Lebenshingabe
am Kreuz. Das Kreuz ist nicht das Scheitern des Lebenswerkes Jesu. Es
ist vielmehr die Erfüllung seiner Sendung.
Jesus ging seinem Tod
bewusst entgegen. Er rechnete mit einem gewaltsamen Tod. Mehrmals sagt
er sein Leiden und seinen Tod voraus, was sogar bei seinen engsten
Freunden auf Unverständnis stößt: „Das möge Gott verhüten!“
Das Leiden Jesu und sein
Sterben am Kreuz sind also keine Zufallsereignis, kein Hineinstolpern in
ein unvorhergesehenes Missgeschick. Einmal sagt Jesus: „Niemand
entreißt mir mein Leben, sondern ich gebe es aus freiem Willen.“
Jesus sucht nicht das
Kreuz. Er kennt auch Todesangst. Aber er weicht nicht aus. Jesus nimmt
also mit voller Einsicht und freiwillig das Kreuz auf sich. Für uns!
Aus Liebe!
Und auf dieses „für uns“
und auf diese Liebe kann man nur froh und dankbar mit Liebe antworten:
Liebe zu Jesus, Liebe zu Gott, Liebe zum Nächsten.
Vergessen wir auch nicht,
dass Leid und Not und Tod nicht das Letzte sind, sondern Auferstehung
und Leben.
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