In der Normandie befindet sich in einer Dorfkirche eine
Kreuzigungsgruppe aus der Zeit der Gotik.
Das Altargemälde mit der Kreuzigungsszene ist durch eine
Besonderheit ausgezeichnet, die fast gar nicht auffällt, aber einen
tiefen theologischen Sinn verrät.
Da, wo über dem Kreuz sonst die Inschrift INRI steht,
stehen die beiden Worte: pro nobis (für uns).
In den beiden Worten „pro nobis“ leuchtet die Sinnmitte
der gesamten Existenz Jesu auf.
Diese zwei kleinen Wörtchen „pro nobis“ erschließen uns
den Sinn des Lebens, Leidens und Sterbens Jesu.
Was in und mit Jesus geschehen ist, steht unter dem
Gesetz des Weizenkorns, des Brotbrechens, dem radikalen Einsatz des „für
uns“.
Jesu Leben war Proexistenz. Seinen Höhepunkt erhält
dieses Eintreten für uns in Jesu Lebenshingabe am Kreuz.
Das Kreuz ist nicht das Scheitern des Lebenswerkes Jesu.
Es ist vielmehr die Erfüllung seiner Sendung.
Jesus ging seinem Tod
bewusst entgegen.
Er rechnete mit einem
gewaltsamen Tod.
Mehrmals sagt er sein
Todesschicksal voraus, was sogar bei seinen engsten Freunden auf
Unverständnis stößt:
„Das möge Gott
verhüten!“
Das Leiden Jesu und sein
Sterben am Kreuz sind also kein Zufallsereignis, kein Hineinstolpern in
ein unvorhergesehenes Missgeschick.
Einmal sagt Jesus: „Niemand entreißt mir mein Leben, sondern ich gebe es aus freiem
Willen.“
Jesus sucht nicht das Kreuz. Er kennt auch Todesangst.
Aber er weicht nicht aus.
Jesus nimmt also mit voller Einsicht und freiwillig das Kreuz auf sich.
Das Kreuzesopfer als freie Tat des Herrn ist Hingabe an
Gott, an den Willen des Vaters in Gehorsam und Liebe.
Schon für den Zwölfjährigen ist es das oberstes Gebot:
„in dem zu sein, was seines Vaters ist“ (Lk 2, 49).
Und zu Petrus sagt er: „Du
denkst nicht, was Gott will, sondern was die Menschen wollen.“
Im Philipperhymnus heißt es:
„Er
erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz.“
Jesus ruft uns in seine Nachfolge.
Er will, dass wir seinen Weg mitgehen.
Dazu gehört auch das Kreuz. Dazu gehört, dass wir, was
immer unser Leben durchkreuzt, was quer kommt, was uns zusetzt und
belastet, sofern wir es nicht ändern können, annehmen: das Kreuz der
Krankheit, der Angst, die Gebrechen des Alters, Einsamkeit, Verkennung
und Missachtung, die alltäglichen menschlichen Ärgernisse, die Geduld
mit dem anderen und das Sich-gegenseitige-Ertragen.
Es gibt keine Leben ohne Kreuz und Leid.
Den einen begleitet es ein ganzes Leben,
beim anderen schleicht es sich heimlich ein,
einen dritten trifft es überfallartig.
Wir brauchen uns das Kreuz nicht u suchen.
Wir brauchen uns kein Kreuz zu zimmern.
Das Kreuz ist einfach da. Es begegnet uns in vielerlei
Weise.
Ja-Sagen zum Kreuz, zum unvermeidlich Schweren und
Harten, sofern es nicht zu ändern ist, wo das jemand fertig bringt, da
hat das Leid bereits ein Stück weit seine Bitternis verloren.
Wer sich jedoch gegen das Kreuz sträubt, macht es doppelt
so schwer.
Mit dem Kreuz dem Herrn nachfolgen, das ist der Weg, der
das Leid wendet.
Von Kardinal Faulhaber stammt das Wort:
„Nah beim Kreuz ist nah bei Gott.“